Taxi fahrende Philosophen
Die Argumente gegen die Ausbildung von mehr eigenen Akademikerinnen und Akademikern sind zahlreich. Besonders beliebt sind diese beiden: Erstens: Wir brauchen nicht generell mehr Akademiker, nur in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Zweitens: Die Geisteswissenschaftler(innen) sind nur deshalb nicht arbeitslos, weil sie in irgendeinem Job landen, für den sie völlig überqualifiziert sind.
Was ist dran an diesen Vorwürfen? Das Bundesamt für Statistik (BFS) hält ein paar Zahlen bereit. Die sogenannte Ausbildungsadäquanz gibt an, ob man im Job seine Ausbildung braucht. Laut BFS arbeiteten 2013 vier von fünf Uni-Masterabsolventen (-innen) in einem Job, für den es einen Hochschulabschluss braucht. An der Spitze liegt die Medizin (98 Prozent), dicht gefolgt von Recht (94 Prozent). Es folgen unter anderem Naturwissenschaften (86 Prozent), Wirtschaftswissenschaften (82 Prozent), Geistes- und Sozialwissenschaften (78 Prozent) und interdisziplinäre Wissenschaften (75 Prozent). Das heisst: Knapp ein Viertel der Geistes- und Sozialwissenschaftler(innen) braucht die Hochschulausbildung nicht für den Job.
Weil der Anteil der Frauen in den Geistes- und Sozialwissenschaften drei Viertel beträgt und zum Beispiel in Wirtschaftswissenschaft nur ein Viertel, sind auch mehr Frauen als Männer davon betroffen.
60 Prozent der Geisteswissenschaftler arbeiten im öffentlichen Sektor, die Hälfte von ihnen als Lehrerinnen und Lehrer. In der Privatwirtschaft arbeiten 40 Prozent, und genau von diesen sind nach fünf Jahren 42 Prozent überqualifiziert. Kein Wunder also, entsteht in der Privatwirtschaft das Bild überqualifizierter Geisteswissenschaftler.
Ist das nun ein alarmierender Befund? Zuerst stellt sich die Frage, was in den Geisteswissenschaften überhaupt «überqualifiziert» bedeutet. Die Geisteswissenschaften sind keine Ausbildungen, die präzise auf einen Beruf hinsteuern. Ist der Journalist, der zunächst in einer Regionalzeitung seine Sporen abverdient, bevor er zu einer Qualitätszeitung wechselt und dort Ressortleiter wird, die ersten fünf Jahre überqualifiziert?
Es soll hier nichts schöngeredet werden. Doch eine Erweiterung der Perspektive lohnt sich. In Europa ist die Schweiz das Land, in dem am wenigsten Akademikerinnen und Akademiker überqualifiziert sind. Zudem ist in einem liberalen Bildungsverständnis die Bildungsrendite nicht das einzige Kriterium bei der Studienwahl. Ein Studium ist mehr als ein rein ökonomisches Mittel zum Zweck. So wie ein Mensch mehr ist als blosses Humankapital. Ein Studium ist eines unserer höchsten kulturellen Güter. Gerade die Geisteswissenschaften haben einen viel weiteren Horizont als die aktuelle Verwertbarkeit. Sie müssen nicht genau zur wirtschaftlichen Nachfrage passen, sie haben eigene Ziele. Dass es gerade diese Diskrepanz ist, diese vermeintliche Nutzlosigkeit, welche wiederum zu Innovation und Flexibilität für die Zukunft führt, ist eine schöne utilitaristische Pointe.
12 Kommentare zu «Taxi fahrende Philosophen»
Ich schätze es, mit einem Taxichauffeur über Aristoteles diskutieren zu können. Bildung sollte unser allererster Luxus sein. Also ein Grund, möglichst vielen eine Matura zu ermöglichen. Man kann ja dann später an den Universitäten die Spreu vom Weizen trennen, wie z.B. in den USA.
Die Tatsache, dass einer Akademiker ist, heisst doch noch lange nicht, dass er auch zum Autofahren qualifiziert ist!
Ein Auto fahrender Akademiker im Taxi, kann nun am Steuer sitzen und einen akademischen Fahrgast chauffieren. Die beiden werden sich gut unterhalten. In der heutigen schnelllebigen Zeit ist es gut möglich dass bei 60% der maturierenden Studenten mit Abschluss 50% nicht sofort einen gut bezahlten wissenschaftlichen Job erhalten, also schlägt man sich halt irgendwie durch. Muss wohl so sein in einer Wohlstandsgesellschaft.
Erstens gibt es viele Gründe, warum GeisteswissenschaftlerInnen in „überqualifizierten“ Jobs arbeiten. Ich (Philosophin mit Doktortitel) mache das z.B. immer dann, wenn ich meine Denkenergie für etwas anderes benötige, wie z.B. ein Buchprojekt oder eine Weiterbildung. Denkbar sind aber auch z.B. familiäre Verpflichtungen oder das Bedürfnis nach der Freiheit, Jobs häufiger zu wechseln.
Zweitens: wenn man bedenkt, wie wenig geisteswissenschaftliche Studien den Staat kosten im Vergleich z.B. zur Medizinerausbildung, kann man nicht ernsthaft behaupten, es handle sich bei diesem Phänomen um eine Belastung für die Volkswirtschaft. Was ist mit all den Ärztinnen, die mangels Teilzeitstellen ganz aus dem (Medizin-)Arbeitsmarkt kippen? Mit Managern, die in der Burnoutklinik landen? … etc….
Es geht bei der Belastung für die Volkswirtschaft nicht bloss um die Kosten des Studiums, sondern auch um die Studiendauer, die etwa bei einem ETH-Studium nun mal kürzer ist als bei Phil. I. Wenn nach einem langen geisteswissenschaftlichen Studium jahrelang Praktika absolviert werden – oder man eben als Taxifahrer unterwegs ist -, ist der volkswirtschaftliche Nutzen ziemlich gering (tiefer Lohn = tiefer Steuerertrag). Abgesehen davon ist auch das persönliche Einkommen sehr tief, was sich in einer ungenügenden Altersvorsorge (AHV, PK) niederschlägt. Selbstverständlich trifft dies nicht für alle Phil.-I-Absolventen zu, insbes. nicht für solche, die sofort nach dem Studium eine Anstellung in der öffentlichen Verwaltung oder im Bildungswesen finden.
Es kommt nicht so sehr auf die Länge des Studiums an als auf die beanspruchten Betreuungsleistungen. Diese bewegen sich bei einem langen Phil I-Studium im Minimalbereich, somit kostet die Langzeitstudentin die Uni sozusagen nichts. Ansonsten: soweit ich weiss, gibt es noch keine Bürgerpflich zum maximal möglichen Geldverdienst…? Wer bescheiden leben will, soll das dürfen, unabhängig von der Ausbildung. Zudem gibt es neben den Steuern noch ganz andere Möglichkeiten, sinnvolle Beiträge zum Gesellschaftsleben zu leisten. Wo wären wir ohne Künstler, Schriftstellerinnen, Vereinsaktive und Sporttalente? Alles Menschen, die sich zumeist freiwillig im Niedriglohnbereich bewegen – auch unabhängig von der Ausbildung.
Alles schön und gut, aber wieso immer auf Kosten der Steuerzahler? Wer etwas Nützliches studiert, profitiert und kann das nachher problemlos zurückzahlen. Wer sich aber ein nutzloses Luxusstudium zur kulturellen Horizonterweiterung leistet will, kann das auf eigene Rechnung machen und wird sich das deswegen hoffentlich gut überlegen.
Mit etwas Wettbewerb und Kostenwahrheit würden sofort auch die Kosten sinken: Was unsere Unis sehr teuer produzieren, kann man sich heute praktisch gratis, schneller und besser im Internet (MOOCs, etc.) aneignen.
Unis verkaufen vor allem teure Diplome, welche zum Teil gute Arbeitnehmereigenschaften signalisieren. Der Inhalt des Studiums ist meist irrelevant für den Job (siehe Bryan Caplan: The Case Against Education).
Im Prinzipe kann es gar nicht zuviele „Gschudierte“ haben. Wenn die dann auch noch kritisch denkend bleiben, kann dies nur positiv auf die Lebensqualität eines Landes auswirken. Jedoch Arbeit zu finden die zum abgeschlossenen Studium passt muss in Kauf genommen werden. Somit wäre ein Grund-Einkommen für alle wünschenswert. Aber KEIN Bedingungsloses Grund-Einkommen. Bedingungslosigkeit wirkt immer demotivierend. Immer und in jedem Bereich.
Correction: „Jedoch keine Arbeit zu finden welche zum abgeschlossenem Studium passt, muss in Kauf genommen werden..“
Ich kannte schon Handwerker, welche sich in Philosophie oder auch Literatur sehr gut auskannten. Sie betrieben/ studierten das nebenbei über längere Zeit, als sog. Autodidakten. D.h. – es gehörte zu ihren Leidenschaften. Auch nicht jeder Schriftsteller absolvierte ein akadem. Studium. Aber hatte wohl viel Interesse und Talent dazu.
Philosoph wird man nicht.
Philosoph ist man.
Auch am Steuer eines Taxi.
Das weiss jeder der Philosophie studiert.
Sonst wird aus ihm nie ein Philosoph.
wer ist man?