Das internationale Genf: Nach Calmy-Rey die Sintflut?
Am Montag wird die Grundsteinlegung für die Gebäudeerweiterung der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf gefeiert. Für die Noch-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey wird es der letzte von vielen Anlässen dieser Art auf Genfer Boden sein. Das sind protokollarische Momente, zwar ohne Bedeutung an sich, aber symbolisch für die Aussenpolitik der Genferin, die im Laufe der vergangenen neun Jahre im Departement für auswärtige Angelegenheiten das internationale Genf gestützt hat, das immer mehr die gefährliche Konkurrenz asiatischer Städte wie Singapur oder nahe gelegener europäischer Städte spürt.
Als einstige Studentin des Institut de hautes études internationales (heute IUHEID), nur wenige Schritte vom Hauptsitz der UNO entfernt, hat sie ein klares Bewusstsein für das gemeinsame Schicksal, das Genf und die Schweiz im Bereich der Aussenpolitik verbindet. Diese Nähe war ihr in ihren Aufgaben hilfreich, hat sie aber gleichzeitig einen hohen Preis zahlen lassen in der Ghadhafi-Affäre, die sie mit ihrem Kanton in Konflikt brachte.
Dies hinderte sie jedoch nicht daran, weiter für das internationale Genf zu werben, und dies mit einem Bestreben, das ihr zum Vorwurf gereichen sollte. So ist die Genfer Initiative, die einen Plan zur Lösung der Palästinenser-Frage vorsah, lediglich ein Blatt Papier geblieben. Aber das Abenteuer war ein Versuch wert, ganz gleich was die Anhänger strenger Neutralität sagen. Ebenso kam die Lancierung ihres «Forum humanitaire mondial – Global Humanitarian Forum (GHF)», einer Institution ohne konkretem Inhalt, an der Seite des ehemaligen Generalsekretärs Kofi Annan mit einer deftigen Rechnung – und in diesem Fall verdienter Häme – zu einem abrupten Ende. Was sie hingegen für sich verbuchen kann, ist die Umwandlung der angeschlagenen Menschenrechtsorganisation in einen deutlich effektiveren Rat und dass dieser zu einem bedeutenden Organ innerhalb der Konstellation der UNO-Organisationen geworden ist.
Den internationalen Organisationen und Auslandsmissionen muss eine ausreichende Basis zugesichert werden, um eine Abkehr von der Schweiz zu vermeiden.

Ihre Politik muss weitergeführt werden: Micheline Calmy-Rey bei der Einweihung der Schweizer Botschaft in Pristina, Kosovo.
Aber vor allem konnte sie mit ihrem Führungsstil verhindern, dass einige internationale Organisationen die Schweiz verliessen. Ein Warnsignal gab es 2007, als das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) einen Teil seiner Aktivitäten und seiner Stellen auf Budapest und Brüssel übertrug. In Genf befürchtete man einen Nachahmungseffekt. Die Folgen einer fortschreitenden Schwächung der internationalen Institutionen wären in jeder Hinsicht fatal. Auch aus finanzieller Hinsicht, wie ein Bericht der Banque Cantonale de Genève zeigt: Der internationale Sektor macht 6,5 Prozent des BIP des Kantons aus und lässt jährlich 2,5 Milliarden Franken in die Genfer Wirtschaft fliessen. Aber was noch viel wichtiger ist: Eine derartige Umwälzung hätte ein wesentliches Instrument der neuen Politik der «aktiven Neutralität», die unbedingt fortgesetzt werden muss, abgestumpft.
Das Spiel ist noch lange nicht gewonnen. Die Gefahr für den internationalen Sektor wird heute wieder deutlich. Drei Gründe gibt es dafür: Der starke Franken übt einen immensen, untragbaren Druck auf unzählige internationale Missionen und Organisationen aus. Zweitens müssen mehrere Gebäude, darunter auch das der UNO, dringend renoviert werden. Kanton und Bund werden somit zur Kasse gebeten. Und schliesslich nimmt die Konkurrenz durch andere Gastgeber-Städte nicht ab. Hinzu kommt letztendlich das Risiko, dass der Nachfolger von Frau Calmy-Rey sich seiner besonders schwierigen Herausforderung nicht bewusst ist dazu: Den internationalen Organisationen und Auslandsmissionen muss eine ausreichende Basis zugesichert werden, um eine Abkehr von der Schweiz zu vermeiden. Und dies in einer Zeit, in der die Wirtschaftskrise sich weiter ausbreitet.
Welcher der potenziellen Kandidaten könnte diese Aufgabe erfüllen? Haben die beiden Favoriten im Rennen, der Waadtländer Pierre-Yves Maillard und der Freiburger Alain Berset, oder ein anderer gewählter Westschweizer das richtige Gespür für diese Mission? Wer auch immer gewählt wird, er wird sich einsetzen müssen für ein starkes internationales Genf. Und dies nicht, um einer Stadt Genüge zu tun, die sich um den Erhalt wertvoller Beitragszahler und eines wertvollen Images sorgt, sondern im Interesse der gesamten Schweiz, ihrer Aussenpolitik und aller Hochschulen und Unternehmen, die von einem reichen internationalen Sektor profitieren. Denn auch wenn das internationale Genf in diplomatischer Hinsicht relativ gut bestückt ist, verspricht das Potenzial von Organisationen wie der OMPI (Internationale Organisation zum Schutze des geistigen Eigentums) weiteres Wachstum. Es gilt also, das internationale Genf zu erobern und zu halten.
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16 Kommentare zu «Das internationale Genf: Nach Calmy-Rey die Sintflut?»
Internationale Organisationen mit hochbezahlten Funktionären die keine Steuern zahlen und die Mieten hochtreiben. Ist das wünschenwert? Und zuguterletzt: War die Tribune de Genève nicht die Zeitung welche die Polizeifotos von Hannibal druckte? Es gäbe bessere Ideen das Image von Genf zu pflegen.
Ich glaube nicht, dass die Genfer Initiative nur ein Papier war – bzw. ich hoffe es nicht. Wenn man davon ausgeht, dass keine Seite der anderen ihre Bedingungen diktieren kann, so ist ein Kompromiss nötig. Der einzige Kompromiss bisher, bei dem Israelis und Palästinenser einen Modus Vivendi gefunden haben, dem beide zustimmen konnten, ist eben diese Genfer Initiative. Nun dauert es halt vielleicht noch sehr lange, bis der Durchbruch kommt. Aber dann wird man froh sein, einen gangbaren Weg erarbeitet zu haben – hoffentlich.
Völlig unabhängig ob man links oder konservativ denkt, in seiner Rede „Diktatur des Finanzmarktes“ zur Haushalt- & Finanzkrise im deutschen Bundestag am 07.09.2011 hat Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich hoffe, dass nach Calmy-Rey nicht die Sintflut kommt, sondern neue Bundesräte gewählt werden, die diese Wahrheit auch hier in der Schweiz erkannt haben.
Man kann über Gregor Gysi denken was man will, aber wo er recht hat, hat er recht! Grossartige Rede!
http://www.youtube.com/watch?v=sRJ_6nI4VQ8&feature=player_embedded
Ihr Free Info
Wenn Genf (Kanton und Stadt) nicht in der Lage ist, diese Bonzen auch zu schützen, dann wird halt die eine oder andere Organisation gehen. Denn eigentlich wäre dies der wichtigste Standortvorteil von Genf. Eine Stadt wo die Diplomaten ungestört verhandeln können, nicht wie London, Athen oder Paris. Dann spielt auch der starke Franken nicht mehr eine so grosse Rolle mehr.
Aber das liegt in der Hand von Genf, denn die Schweiz ist ein föderaler Staat, und nicht ein Zentralstaat wie z.B. Frankreich.
Oh…ein Grund ging vergessen: Steuern hinterzieht es sich in Genf in Zukunft vielleicht nicht mehr so leicht. Klar, da rückt plötzlich Singapur in den Vordergrund. Bestimmt nur ein Zufall, dass beide ein Bankgeheimnis kennen…
Einmal ein guter Beitrag, der zum Nachdenken anregt. Es ist gut fuer die zukuenftige Balance und der Positonierung der Schweiz, nicht alle Organisationen in Asien oder den USA zu haben. MCR hat da gute Dienste geleistet und die Aussenpolitik der Schweiz neu definiert. Dies sollte man noch aggressiver vorantreiben.
In Brüssel hat sich die Kriminalität in das EU-Viertel verlagert….EU Apparatschiks (allerdings nur die Kleinen) werden gejagt ….teure Uhren Handy Laptops etc
EU-Abgeordnete fordern bereits Mauern und Stacheldraht…um sich vor der bösen Umwelt zu schützen
Das nette Genf jammert über die hohe Kriminalitätsrate …ist es möglich… dass die Funktionärs-Kloake Kriminelle anzieht?!?
Geht’s dem lieben Ruetschi eventuell gar nur um Kohle aus Bern, oder handelt es sich bloss um versteckte Speichelleckerei bei Calamity
Agressiver vorantreiben?!? Noch dämlicher unter dem Kopftüechli hervor grinsen?
@Zimmermann
Was meinen Sie eigentlich mit; „Noch dämlicher unter dem Kopftuch hervor grinsen“?
Es ist doch lediglich Anstand und Respekt, den ein „neutraler“ Schweizer Bundesrat einem fremden Land das er besucht entgegen bringt, wenn er/sie sich den Gepflogenheiten dessen etwas anpasst. Im Iran ist das eben das Tragen eines Kopftuches oder reklamieren Sie denn auch, wenn ein Schweizer Bundesrat nach Israel reist und sich dann dort mit einem „Yamulke“ auf dem Kopf ablichten lässt?
Frau Calmy-Rey hat damals im Iran genau das Richtige getan und somit die Schweizer „Neutralität“ bewiesen.
Wackeliger Neutral-Vergleich…in Israel passt man sich (meistens) nur vor und in Gedenkstädten den Landes-Gepflogenheiten an
Warum hat die dann auf ihren Afrika-Südamerika-Reisli nicht ihre Ehrerbietung im Baströckli vorgetragen?
Und wenn zB Erdogan nach Europa reist, passt sich seine Ehefrau auch unseren Gepflogenheiten an?
Aber ok, jemand, der Farc Hamas und PLO als Freunde hat darf auch dem Achmedi huldigen. Menschenschlachter (Castro Mao Lenin)-Huldiger sind ja stilvoll im Berner Filz
Und Einknicken, devot vor Schlächtern auf Knien rumrutschen ist ja mittlerweile aktive Seldwyla-Tradition
La capitale de la Suisse? Genève! disent sans hésiter les Africains, Asiatiques et Latino-Américains. Micheline Calmy-Rey a contribué énormement au renforcement de la réputation internationale de sa ville. Maintenir les organisations internationales, institutions ou entreprises à Genève, cela coûte, mais cela rapporte beaucoup plus en termes d’image et de pouvoir économique. La Suisse en a besoin.
bitte auf dem boden der realitaeten bleiben. in der schweizer geschichte wird die abtretende bundesraetin die bedeutung einer mariginale spielen, leider nicht mehr. sie hat mit ihrer auch von reisesucht begleiteten regierungszeit referenzen an sog. staatsmaenner hergezeubert, die hoefliich gesagt unschicklich waren und leider in der erinnerung bleiben. sie soll sich nun gaenzklich hinterdem beruehmten schleier verstecken. atreten – so heisst es im dienst.
Ich weiss noch wie MCR Lorberren einheimste, weil sie vor ihrer BR-Wahl, anscheinend die Finanzen des Kt. Genf „in den Griff“ bekommen hatte. Nach der Wahl wurde die Revision aufgeboten und siehe da der positive Haushalt musste in einen negativen gewandelt werden. Aber da war MCR schon gewählt. Ich denke/hoffe die Schweiz macht Abkehr von MCRs Version der Neutralität und kehrt zu einer richtigen Neutralität zurück. All die die dagegen sind, sollen bei den Kriegs-Siegern anfragen gehen, ob diese die Schweiz zur Aufgabe der Neutralität zwingen, sowie sie diese der Schweiz schon aufgezwungen hat.
Der Lokalpaatriotismus darf nicht, wie oben, zu Betriebsblindheit führen. Dass zum Beispiel die Nachfolgeorganisation der UNO-Menschenrechtskommission dank MCR „spürbar wirksamer“ sei kann nur behaupten wer diesen Rat nicht kennt. Leider vertraut der Chefredaktor des Genfer Lokalblatts dem eigenen Propagandaslogan Genfs als Hauptstadt der Meschenrechte. Auch das Beispiel des drohenden Auszugs des UNHCR liegt einigermassen schief. Die grosse Mehrheit der UNHCR-Mitarbeiter tut alles, um den Arbeitsplatz nicht in unbequeme Billigländer verlegen zu müssen.
Mag das Herrn Bisegger auch nicht gefallen: „Genève capitale de la paix“ (un damit auch der Menschenrechte) ist mitnichten ein hausgemachter „Propagandaslogan“, sondern eine über Jahrzehnte erworbene Besonderheit der Rhonestadt, deren Geschichte sich eben heute fortsetzt; nicht wie vielerorts in der übrigen Schweiz, wo man schon sehr lange, eigentlich seit 1945, nurmehr passiv (einige nennen es „neutral“) wegschaut, wenn sich ausserhalb unserer Landesgrenzen Unmenschliches zuträgt. Genfs Identität bleibt trotz Gegenbewegungen entscheidend geprägt von dieser Internationalität! A bon entendeur!
Als im Juli P.Y. Maillard den Waadtländer Augenärzten ein (vom Hersteller dafür nicht freigegebenes) Krebsmedikament (Avastin) gegen Altersblindheit empfahl und ich dies als Dilettantismus und Wahlpropaganda bezeichnete, wurde ich abgekanzelt. Nun stellt sich diese Woche heraus, dass solchermassen behandelte Patienten vollends erblinden und/oder starke Infektionen erleiden können. Da stellt sich schon die Frage, ob jemand, der für seine Wahl bereit ist, unter dem Deckmantel der Gesundkeitskostensenkung die Bevölkerung gesundheitlich zu gefährden, sich für das Amt eines Bundesrats eignet?
Micheline Calmy-Rey hat in ihrer Amtszeit deutlich gemacht, dass Aussenpolitik mehr ist als Aussenwirtschaftspolitik. Die FDP und andere bürgerliche Parteien haben während Jahrzehnten die Aussenpolitik immer nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtet. Es ist sehr zu hoffen, dass auch der Nachfolger/die Nachfolgerin von MCR für eine Aussenpolitik unseres Landes eintritt, die nicht bloss eine Werbeagentur der Industrie ist, sondern entschieden für die humanitären Anliegen der Schweiz – auch eine nationale Tradition – eintritt.