Das Aufholen der Frauen wird zum Selbstläufer

In der Rubrik Bildung des Politblogs geht es um aktuelle Themen der Bildungspolitik. Autoren sind Andreas Pfister (Leitung), Philipp Sarasin, Patrik Schellenbauer und verschiedene Gäste.

Die Löhne der Frauen haben in den letzten 30 Jahren markant und kontinuierlich aufgeholt. Gemäss den Daten der AHV sind die Reallöhne der Frauen von 1982 bis 2013 (auf Vollzeitbasis) um mehr als 50% gestiegen, diejenigen der Männer nur um knapp 30% (s. Grafik). Die Lohnschere zugunsten der Frauen hat sich seit 2007 eher noch weiter geöffnet. Dies sind wichtige Ergebnisse der Avenir-Suisse-Studie Gleichstellung – warum der Arbeitsmarkt nicht versagt vom November 2015. Das Aufholen der Frauen zeigt sich noch deutlicher, wenn man nicht die Löhne zum Massstab nimmt, sondern die Lohnsumme. Wegen ihrer stark zunehmenden Erwerbsbeteiligung ist die Lohnsumme der Frauen im besagten Zeitraum inflationsbereinigt um 140% gestiegen, die von Männern verdiente reale Lohnsumme hingegen nur um 64%.

Die verbreitete Ansicht, dass der Schweizer Arbeitsmarkt die Frauen noch immer im grossen Stil diskriminiere, verstellt die Sicht auf diese bemerkenswerte Entwicklung. Zweifellos sind seit den 80er-Jahren etliche Benachteiligungen der Frauen verschwunden, doch als Erklärung für den frappanten Unterschied zwischen den Lohnentwicklungen von Männern und Frauen greift dies viel zu kurz. Dies ist anhand eines Vergleichs mit dem Schweizer Lohnindex schön zu sehen. Dieser vom Bundesamt für Statistik berechnete Index verwendet eine immer gleiche Kategorie von Arbeit (konstante Qualifikation). Der Vergleich der beiden Zeitreihen zeigt zweierlei: Die effektiven Löhne steigen erstens viel schneller als es der Schweizer Lohnindex anzeigt, weil immer qualifiziertere Arbeitskräfte immer anspruchsvollere Jobs ausführen. Und zweitens hätten die Frauen im Vergleich mit den Männern nur bescheidene Lohnfortschritte erzielt, würde man dem Schweizer Lohnindex glauben.

Der schnellere Anstieg der Frauenlöhne ist ein hervorragendes Beispiel dafür, was Bildung vermag.

(Keystone)

Auf der Überholspur dank Bildung: Frau in der ETH Zürich. (Keystone)

Das Aufholen der Frauenlöhne ist damit zur Hauptsache auf den steigenden Bildungsstand der Frauen zurückzuführen. Betrug der Frauenanteil von Studierenden auf Tertiärstufe (Universitäten, Fachhochschulen, höhere Berufsbildung) Anfang der 80er-Jahre noch 30%, so erreichte das Geschlechterverhältnis 2008 den Gleichstand. Die heutigen Berufsanfängerinnen sind also im Schnitt viel besser gebildet als die Frauen, die pensioniert werden und aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Dieser Prozess ist der Antreiber der beschriebenen Lohnentwicklung. Er wird noch mindestens 20 Jahre anhalten, selbst wenn der Frauenanteil auf Tertiärstufe nicht weiter steigt.

Dazu kommt: Die bessere Ausbildung erhöht den Anreiz, während der Familienphase im Arbeitsmarkt zu bleiben. Junge Frauen von heute werden also im Laufe ihrer Arbeitskarriere mehr Berufserfahrung akkumulieren als ihre älteren Kolleginnen, deren Erwerbsbiografien oft von längeren Unterbrüchen geprägt sind. Auch dies wirkt sich positiv auf den Lohn aus. Der schnellere Anstieg der Frauenlöhne wird darum noch für lange Zeit ein Selbstläufer bleiben. Vor allem aber ist er ein hervorragendes Beispiel dafür, was Bildung vermag. Als Investition in Wissen und Fähigkeiten macht sie uns produktiver, was der Arbeitsmarkt honoriert. Würden die Frauen bei der Studienwahl neben den Interessen noch stärker die Karrierechancen (sprich: die Bildungsrendite) berücksichtigen, wie dies viele Männer ganz selbstverständlich tun, könnten sie den Aufholprozess weiter beschleunigen.

Politblog Löhne

Zum Vergrössern auf die Grafik klicken: Sie zeigt den Verlauf der Reallöhne gemäss den AHV-Daten und dem Schweizer Lohnindex (BFS). Die AHV-Daten zeigen einen deutlichen Reallohnanstieg seit 1982, der bei den Frauen wesentlich stärker ausfällt. Der Schweizer Lohnindex misst hingegen den Preis einer homogenen Kategorie Arbeit (konstante Qualifikation) und unterschätzt die effektive Lohnentwicklung massiv – vor allem bei den Frauen. (Quellen: Bundesamt für Sozialversicherungen, Bundesamt für Statistik, Avenir Suisse)

10 Kommentare zu «Das Aufholen der Frauen wird zum Selbstläufer»

  • Marcel Zufferey sagt:

    Das ganze Papier steckt voller Überraschungen und ist zur Gänze lesenswert- ganz speziell das, was zwischen den Zeilen versteckt ist! Die hier präsentierten Resultate könnten der ganzen Lohnungleichheitsdebatte den Wind aus den Segeln nehmen! Etwas vom Besten, was ich in den letzten Jahren zu lesen bekommen habe: Gegen Dogmen helfen letztendlich nur nüchtern präsentierte Zahlen, Daten und Fakten! Dass das Medienecho auf diese brillante Arbeit bislang so bescheiden ausfiel- dieser Blogbeitrag bildet eine löbliche Ausnahme- ist deshalb auch nicht weiter erstaunlich…

    • Patrik Schellenbauer sagt:

      Das Medienecho war gar nicht so bescheiden. Die wichtigen Zeitungen (ausser dem TA) haben darüber berichtet, und es gab auf allen drei sprachregionalen Radios von SRF prominent platzierte Diskussionssendungen zur Studie.

    • Christina sagt:

      Die Lohnungleichheitsdebatte ist damit keineswegs ausgehebelt: Bei dieser geht es nicht um die Gesamtsumme der Löhne der Frauen, sondern um den Vergleich von gleich kompetenten und gleich gut ausgebildeten Frauen mit Männern. Und da geht die Diskriminierung der Frauen weiter. Immerhin dient der Artikel als Weckruf: Bildet euch! Frauen lernt! Setzt euch durch! Als ich vor 40 Jahren die Stelle eines entlassenen Mannes übernahm, verdiente ich 1000 Fr. weniger als er. Zu dumm, dass ich das erst viel zu spät merkte, denn bei der Anstellung hatte ich ja keinen Einblick ins Budget.

      • Blanche Wu sagt:

        Und evt. hätte ein anderer Mann ebenfalls 1000 weniger verdient als sein Vorgänger. Es ist auch ein Stück weit Verhandlungssache. Sogar in Teams mit Männer u. Frauen (bsp. IT Support), kann es extreme Unterschiede geben. Es kann sogar so weit gehen, dass eine Frau mehr verdient als ein Mann. Ich selber habe bei mir festgestellt, dass ich zu wenig gut verhandle und mich nicht getraue einen höheren Lohn zu verlangen. Wenn ich danach herausfinde, dass die anderen…ja da muss auch ich mich an der Nase nehmen. Auch meine Kolleginnen verkaufen sich oft unter ihrem Wert und fordern einfach nicht

      • Christoph Bögli sagt:

        Eine generelle Aussage mit einem Beispiel von vor 40 Jahren zu untermalen ist nicht sonderlich hilfreich. Zumal dieses gerade wichtige Faktoren verschweigt, denn grundsätzlich kann der Lohn des Vorgängers auch einfach aufgrund von Altersprogression, Leistungs- oder Überstundenzulagen, etc. höher gewesen sein. Das ist ja das Problem, an dem diese Debatte permanent krankt, den ständigen Vergleichen von Äpfel und Birnen. Wirkliche Lohndiskriminierung ist insofern leider auch schwierig feststellbar, weil kaum jemand mit exakt derselben Qualifikation,, Erfahrung, Leistung dieselbe Stelle besetzt.

        • Christoph Bögli sagt:

          Womit ich keineswegs geschlechtsspezifische Lohnunterschiede in Abrede stellen will. Bloss macht man ein Eigentor, wenn man dabei nicht verschiedene Faktoren und Kausalitäten auseinander hält. Letztlich dürfte etwa die implizite Diskriminierung, also dass traditionelle „Frauenberufe“ grösstenteils schlechter bezahlt werden, in dem Kontext wesentlich problematischer und verbreiteter sein als die individuelle, explizite Diskriminierung, d.h. dass irgendein fieser Arbeitgeber da ganz gezielt bei zwei identischen Neuanstellungen der Frau einen tieferen Lohn gibt.

  • Roman Liechti sagt:

    Endlich mal Fakten und nicht gejammer! Danke!

  • Christoph Bögli sagt:

    Es ist wichtig, dass endlich auch mal jemand den Zeitverzögerungs- bzw. Kohorteneffekt bei solchen Entwicklungen erwähnt. Und deshalb auch aufzeigt, wieso eine über sämtliche Altersklassen gemittelte Momentaufnahme wenig aussagekräftig ist. Wie absurd das oft ist zeigt sich z.B. bei den häufigen Vergleichen zwischen dem hohen Anteil weiblicher Studenten und fehlenden Frauen im Management, also zwischen den Altersklassen 20-30 und 50+. Bis all die gut ausgebildeten Frauen ganz oben ankommen dauert es halt 20 Jahre, das passiert auch ohne Diskriminierung nicht von heute auf morgen.

  • Oreg Meyer sagt:

    „Die Lohnschere zugunsten der Frauen hat sich seit 2007 eher noch weiter geöffnet.“
    Da die Frauen trotz der Steigerungen noch immer weniger verdienen als gleich qualifizierte Männer, ist dieser Satz wohl eine Fehlformulierung. Laut den Zahlen des Autors schliesst sich die Lohnschere zwischen Männern und Frauen langsam. Würde sie sich öffnen, wäre das zum Nachteil der Frauen.

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