Dauerpropaganda der Berufslehre
Sie wollen immer informieren. Aufklären. Die Vorzüge des dualen Bildungswegs aufzeigen. Als wären die Eltern irgendwie begriffsstutzig. In Wirklichkeit gehts dem Gewerbe um was viel Banaleres: Es will die talentiertesten Jugendlichen für sich – statt sie ans Gymnasium zu verlieren. Das ist verständlich, und es ist legitim, die Werbetrommel zu rühren. Immerhin ist das sympathischer, als die Einführung von Quoten zu verlangen. Bloss sollte man solche Werbeblöcke nicht als Information verkaufen.
Selbst konstruktive Kritik an der heiligen Schweizer Kuh Berufslehre gilt mitunter als Tabubruch.
Jüngstes Beispiel: Die Luzerner Dienststelle für Berufs- und Weiterbildung will mit «Berufsbotschaftern» an den Elternabenden «informieren». Vorurteile abbauen, nicht wahr. Die Dauerpropaganda der Berufslehre verursacht mittlerweile einen Lärm, der es schwierig macht, überhaupt ein vernünftiges Wort zu wechseln. Und gerade das wäre wichtig, denn die Berufsmatura beziehungsweise der Ausbau der schulischen Bildung innerhalb des dualen Systems ist durchaus ein spannendes Konzept.
Das Problem ist: Selbst konstruktive Kritik an der heiligen Schweizer Kuh Berufslehre gilt mitunter als Tabubruch, als Verstoss gegen die Political Correctness. Und so wird nur noch hinter vorgehaltener Hand Klartext geredet. Im Versteckten wird der eigene Nachwuchs ins Lernstudio geschickt. Im Hinterzimmer wird der Berufsmaturandin zugeraunt, sie solle besser an die Uni wechseln. Ungern gibt man zu, dass die Doppelbelastung durch Schule und Arbeit viele Berufsmaturanden überfordert. Lieber zeichnet man ein romantisches Bild der Berufslehre.
Die «Berufsbotschafter» sind frei, ihre Partikularinteressen zu vertreten. Doch an einem Elternabend haben sie nichts verloren. Das ist Schulgebiet. Das Gewerbe soll unsere Kinder doch einfach in Ruhe lernen lassen, statt sie so früh wie möglich aus der Schule zu locken.
Worüber an diesen Elternabenden wohl kaum informiert wird: dass die Arbeitgeber, die im Bildungswesen die Gleichwertigkeit der Ausbildungswege predigen, selbst die Letzten sind, die diese Gleichwertigkeit auf dem Arbeitsmarkt umsetzen. Sie sind es ja, die die Lohntüten je nach Ausbildung unterschiedlich abfüllen. Es gab mal eine Gesellschaftsform, in der Arbeiter gleich viel verdienten wie Ärzte. Ich glaube nicht, dass das Gewerbe besonders erbaut war davon.
Das Gewerbe weiss selbst am besten, dass wir in einer Gesellschaft leben mit Hierarchien und (Lohn-)Unterschieden. Respekt vor der Lehre ist etwas anderes als die Lobhudeleien der Bildungspolitiker. Echter Respekt bedeutet in erster Linie Aufrichtigkeit. Stattdessen muss man immer zwischen den Zeilen lesen. Man wolle die Sekundarstufe stärken, heisst es seitens der Berufsbildung. Im Klartext bedeutet das: Man will weniger Gymnasiasten, um Bildungskosten zu sparen. Man wolle die Jugendlichen gemäss ihren Neigungen fördern. Heisst übersetzt: Mehr von ihnen sollen eine Lehre machen, die Chefs kann man billiger importieren.
Das erfährt man nicht von Berufsbotschaftern am Elternabend. Dafür gibt es diesen Blog.
13 commentaires sur «Dauerpropaganda der Berufslehre»
Eine Sichtweise; legitim, aber eben nur eine. Die Andere hat pragmatischere Ansätze. Nicht das Gewerbe, sondern die Sozialwirtschaft braucht mehr ausgewiesene Fachkräfte und eine bessere Ausbildung, respektive « Horizonte » für Arbeitende. Welche Interessemsgruppem vertreten Sie denn? Jene, welche dien anderem Bildungsweg vertreten?;;-) Volkswirtschaftlich sind wir mit unproduktiven StudentInnen überlastet. Das belegen nicht nur Statiistikem, sondern der Alltag und die « Berufswünsche ». Es braucht nicht nur weniger Häuptlinge, sondern mehr Führungskräfte, welche Erfahrung besitzen.
Diese « Statistiken » würden mich also mal brennend interessieren. Wo kann ich diese finden?
1. Welche Statistiken zeigen das denn genau?
2. Wie im Artikel korrekt angedeutet wird, ein Problem ist eben gerade, dass die Chancen auf eine Führungsposition über den Weg der Berufslehre heutzutage eher gering sind. Anstatt die Berufslehre mit leeren Worten zu romantisieren oder das Studium schlecht zu reden, sollte die Unternehmen also lieber wieder dafür sorgen, dass die Lehre attraktiver wird. Und zwar indem dieser der Stellenwert eingeräumt wird, der sie ja angeblich hat, von dem man aber bei den Löhnen und Karrierechancen wenig sieht.
1/ Statistiken: Kann Ihnen hier keine schweizerische nennen, aber schauen Sie sich einmal die Jugendarbeitslosigkeit in Ländern an, welche das duale Bildungssystem nicht kennen. Spanien – mehr als 80 % Maturanden, Frankreich, Griechenland, Italien nicht weit von dieser Quote entfernt. Wenn in einer Gesellschaft beinahe jeder eine Matura schafft, muss das Niveau zwangsweise nach unten nivelliert werden – ist teilweise leider auch in der CH schon der Fall. Gerade in der CH, wo auf einer Berufslehre aufbauend weiterführende Ausbildung bis zum Universitätsabschluss existieren, favorisiere ich das
@Gretner&Bögli
Auf dem NeverMindTheMarketBlog gibt es einen Beitrag mit dem Titel « Zu viele Doktortitel bremsen das Wachstum ». Den Link darf ich leider, so weit ich weiss, nicht angeben. Dort gibt es eine Reihe von Quellenangaben.
@Bögli
Nach einem Studium an einer FH ist man durchaus in der Lage, sich in eine Führungsposition zu arbeiten. Es ist eher selten der Fall, dass ausschlieslich nach Universtitätsabschlüssen verlangt wird. Und wenn dies der Fall ist, liegt das meist am spezifischen wissenschaftlichen Hintergrund des Berufs, was absolut legitim ist.
@Bögli
Kurz gesagt: Wer ausschliesslich mit einer Lehre im Sack den Anspruch auf eine Führungsposition erhebt, der hat wohl geschlafen, als die Berufsberatung ihn über die verschiedenen Bildungswege aufgeklärt hat. Mein Mitleid hält sich in Grenzen.
Zudem tobt ja bereits ein Kampf um die Stellen zwischen Uni Abgängern und FH Absolventen. Längst nicht alle Uni Absolventen haben verstanden, wie das Zusammenspiel zwischen Uni & FH funktioniert. Wenn es um Status und Einkommen geht, ist man sich für keinen Schlag unter die Gürtellinie zu schade. In dem Hexenkessel hat die Lehre keine Chance…
Das Drucken von Maturitätszeugnissen in möglichst hoher Auflage, wie das zB vom Kanton Genf und von Deutschland praktiziert wird, bringt die Schweizer Volkswirtschaft auch nicht weiter. Man kann die Maturitätsquote erhöhen, indem man das Niveau senkt.
Die Dauerpropaganda ums duale System geht ins Gleiche, wie die ewige Diskussion um den « Fachkräftemangel ». Ausgedeutscht heisst Fachkräftemangel ja lediglich, dass die Industrie ein Frolos will zum kostengünstigen Importieren von ausländischen Arbeitern, die weniger kosten. Auch eine Wahrheit.
Erstaunlich welche Sichtweisen man vertreten kann. Los macht gefälligst Studenten aus unseren Schülern, dann kommt bestimmt irgend etwas heraus?? Tja, die Frage bleibt nur, was dabei resultiert.
Ich will weder die Maturanden und zukünftigen Studenten schlecht reden, noch unseren Ausbildungsbetrieben ein goldenes Zeugnis ausstellen. Das Problem beim dualen Bildungsweg liegt in der Rekrutierungssicht der Unternehmer, wenn man die Anforderungsprofile von jeglicher Kaderstelle liest. Niemand wird dem gerecht, aber viele HR-Leute hoffen, dass ein Hochschulabsolvent besser sein müsste. Müsste??!!??
Die „beste“ Ausbildung ist leider oft die schlechteste. Die Werbung des Gewerbes um qualifizierte und leistungswillige Berufslernende, soll vor allem Eltern aufrufen, ihren Kindern die idealste Ausbildung zu ermöglichen. Leider wollen viele Eltern das Unmögliche: Doktor, Chef, Millionär, Model oder zumindest einen Bürojob. Das auch wenn das Kind lieber von Hand arbeitet und lernen hasst – der Misserfolg ist so vorprogrammiert. Was wir brauchen sind bessere Maturanden und bessere Berufsleute. Das erreichen wir nur mit Qualität in der Ausbildung und den Anforderungen. Link: http://www.seco.admin.ch
Das ist ein unnötig polemischer Text, an dem fast alles falsch ist und der niemandem etwas bringt. Ich bin seit 18 Jahren als Fachredaktor für Berufsbildung tätig. Dass Kritik tabuisiert werde, ist Unsinn. Die Berufsbildung ringt ständig um bessere Qualität, niemand, der sich auskennt, behauptet, sie sei perfekt. Ich selber habe in der Fachzeitschrift Panorama sowie der NZZ einen Beitrag mit der These verfasst, dass die Berufsbildung nicht so gut ist, wie sie sein könnte. Der Text wurde in der Berufsbildung positiv aufgenommen,
Weniger Berufsbildung bedeutet letztlich eine größere Kluft zwischen den Einkommensschichten: die « schwachen » Akademiker sind unbrauchbar für die Praxis und die angestrebten Jobs, was mittelbar ein riesiges Akademikerproletariat erzeugt; auf der anderen Seite fehlen diese in gewerblichen Berufen, wodurch dort nur noch schlecht Ausgebildete zu niedrigen Löhnen tätig sind. Überspitzt dargestellt gibt es in der Wirtschaft nur noch Ingenieure, die versuchen, die Wertschöpfung idiotensicher – Stichwort Fließband – zu gestalten, und die einfachen Arbeiter. Ein Mittelbau ist nicht mehr vorhanden.
Sicher wird man im Handwerk nicht reich, aber eine solide Lehre sollte ermöglichen, ein genügendes Einkommen zu erzielen. Wer sich dann zur Führungskraft berufen fühlt, kann dies als Meister oder via FH immer noch erreichen. dies scheint mir verheissungsvoller als eine ganze Schicht von überforderten Akademikern, die man dann doch häufig beim Staat oder in der Sozialindustrie unterbringen muss.