Schulgebühren fürs Gymi bleiben falsch
Es ist eine spektakuläre Pointe, die Alain Zucker im «Tages-Anzeiger» platziert hat: Weil vor allem Reiche ihre Kinder ans Gymnasium schicken, argumentiert Zucker sinngemäss, sollen sie es auch selbst bezahlen. Er schiebt eine soziale Abfederung nach, vielleicht, um die Gemüter zu beruhigen. Die Replik von Angela Barandun appelliert erwartungsgemäss an die gute alte Chancengleichheit. Neben Zuckers Provokation wirkt das fast schon altbacken. Denn Zucker legt den Finger auf einen wunden Punkt: Soziale Mobilität findet kaum statt – aller Chancengleichheit zum Trotz.
Kinder von Nichtakademikern sind die ersten Opfer des Verdrängungskampfs.

Der Verdrängungskampf am Gymnasium wird härter: Physikstunde am Rämibühl in Zürich. Foto: Keystone
Warum ist das so? Das Gymnasium lebt davon, dass es ein Versprechen darstellt, nämlich für alle da zu sein. Deshalb zahlen auch alle. Allerdings gelingt es dem Gymnasium immer weniger, dieses Versprechen in die Praxis zu übersetzen. Für tiefere soziale Schichten ist das Gymnasium eine uneinnehmbare Festung und das gebührenfreie Studium bloss ein Feigenblatt der Reichen, um sich den Klassenerhalt finanzieren zu lassen. Weshalb sollten die Ausgeschlossenen das bezahlen?
Problematisch ist Zuckers Haltung dort, wo er die Klischees bemüht von den privilegierten Gymnasiasten einerseits und den hart arbeitenden Lehrlingen andererseits. Die faulen und unnützen Gymnasiasten, könnte man meinen, sollen sich glücklich schätzen, überhaupt noch Almosen von den wertschöpfenden Steuerzahlern zu empfangen.
Nun: Es dürfte bekannt sein, wie wertvoll Gymnasiasten bzw. Hochqualifizierte im Lauf ihres Lebens für die Volkswirtschaft werden. Wie viel wirtschaftliches Wachstum sie generieren, wie viel Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Trotzdem glaubt man, auf Investitionen in die Bildung verzichten zu können. Nach einer Art Verursacherprinzip soll jeder seine eigene Bildung bezahlen. So werden höhere Gymi-Gebühren mehrheitsfähig. Weil sich die Mehrheit davon nicht betroffen fühlt.
Die letzten Jahrzehnte waren geprägt von einer Bildungsexpansion, gerade am Gymnasium. Neben den Akademikerkindern gab es zumindest ein paar, deren Eltern nicht studiert hatten. Daneben trug die Berufsmatura dazu bei, den «Gymi-Graben» zu mildern. Nun soll die Maturaquote konsolidiert werden, dies bei einer steigenden Anzahl von akademisch gebildeten Eltern. Der Verdrängungskampf am Gymnasium wird härter. Jeder hofft, es möge den anderen treffen. Die ersten Opfer davon sind die Kinder von Nichtakademikern – und damit die Chancengerechtigkeit.
Zucker tritt sozusagen die Flucht nach vorne an, wenn er die Reichen bei der Finanzierung «ihres» Bildungswegs in die Pflicht nimmt. Das scheint mir fatalistisch. Gebühren lösen das Problem nicht – sie verstärken es. Mehr soziale Mobilität muss das Ziel bleiben. Dafür muss das Gymnasium wieder zu einer Institution werden, die nicht nur für die bereits Etablierten da ist. Es braucht eine neue Öffnung und Demokratisierung des Gymnasiums; eine Bildungsexpansion. Nur wenn alle Schichten daran teilhaben, ist Bildung ein öffentliches Gut.
Ein Kommentar zu «Schulgebühren fürs Gymi bleiben falsch»
Als Akademikerin mit Arbeiterhintergrund bestätige ich, dass Gebühren das Problem verstärken würden. Dieses liegt aber nicht an den hohen Forderungen des Gymnasiums, die bieten für intelligente Unterschichtler ja gerade der Gewähr, dass sie sich absetzen können. Schwierig ist’s im Sozialen: Mal abhängen und dann Nachhilfestunden liegen nicht drin, statt viel Ferien ist Arbeit zur Sackgeldbeschaffung, Mitreden bei Hobbies wie reiten etc. ist nicht, über die Familienferien an der Adria konnte man nicht reden,da unterirdisch. In der eigenen Schicht: Sind die was Besseres? Ein Leben als Alien.