Was heisst «vor Ort»?
Geht es um Flüchtlinge, kennt die Uneinigkeit in der Politik keine Grenzen. Auf eines aber können sich alle einigen: die Hilfe vor Ort zu verstärken. Die Forderung leuchtet auch ein. Lassen sich die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort so weit verbessern, dass sie dort ein anständiges Dasein führen können, entfallen die Gründe für eine Flucht und damit all jene Probleme, die diese den Flüchtlingen wie auch deren Zielländern beschert.
Wenn die Schweiz und die EU die Nachbarländer Syriens davon überzeugen können, Flüchtlingen nicht nur Nothilfe, sondern auch eine Perspektive zu bieten, wäre das eine grosse Errungenschaft.

Sie haben die gefährliche Flucht über das Mittelmeer hinter sich: Migranten besteigen in Piräus einen Bus. Foto: Yorgos Karahalis (Keystone)
Doch was heisst «vor Ort», und welche Hilfe können wir dort leisten? Zur Befriedung Syriens hat die Schweiz ihre diplomatischen Dienste anzubieten. Das ist nicht nichts, aber wenig. Im Kampf gegen die Fanatikergruppe IS kann sie, wenn es gut geht, Jihad-Sehnsüchtige an der Ausreise hindern. Und zur Ausrottung der wiedererstarkenden Taliban hat sie wohl noch weniger beizutragen.
Bleiben die Nachbarländer. Hier kann die Schweiz helfen, indem sie die Betreiber von Flüchtlingslagern unterstützt. Das ist moralisch geboten und höchst sinnvoll. Doch ist damit die Flüchtlingskrise gelöst? Die Idee von Flüchtlingslagern ist, die Migranten so gut wie möglich zu versorgen, bis sie in ihre Heimat zurückkehren können. Dies funktioniert aber nur so lange, als die Hoffnung auf Rückkehr besteht. Ansonsten ist der Anreiz für die Flüchtlinge gross, sich anderswo selbstständig durchzuschlagen. Wer will schon sein ganzes Leben in einem Flüchtlingslager verbringen?
Die aus Kriegsgebieten in Nachbarländer Geflüchteten leben zudem bei weitem nicht alle in Flüchtlingslagern. Viele kommen bei Verwandten unter oder versuchen, allein eine Existenz aufzubauen. Doch auch für jene ist der Anreiz, nach Europa zu gelangen, bisweilen gross. Eindrücklich zeigt dies das Schicksal eines Flüchtlings, das Wolfang Bauer in seiner in Buchform veröffentlichten Reportage «Über das Meer» erzählt. Der deutsche Journalist machte sich gemeinsam mit einem Syrer auf die gefährliche illegale Reise über das Mittelmeer. Der mittelständische Familienvater Amar Obaid hatte sich in Kairo mit einem Importgeschäft eine erfolgreiche Existenz aufgebaut. Mit der zunehmenden ausländerfeindlichen Stimmung im vom repressiven Militärregime regierten Land blieben jedoch die Kunden aus, und Obaid fürchtete, dass seinen Töchtern auf der Strasse etwas zustossen könnte.
Ähnliche Schicksale von Flüchtlingen, die zwar über genügend Geld verfügen, um wie oft nötig mehrfache Fluchtversuche nach Europa zu unternehmen, aber gleichzeitig verzweifelt genug sind, um die gefährliche Überfahrt auf sich zu nehmen, gibt es zuhauf. Inwiefern ihnen die Schweizer Hilfe zugutekommen soll, bleibt unklar. Was sie brauchen, ist physische und ökonomische Sicherheit. Wenn die Schweiz und die EU die Nachbarländer Syriens davon überzeugen können, Flüchtlingen nicht nur Nothilfe, sondern auch eine Perspektive zu bieten, wäre das eine grosse Errungenschaft – in erster Linie für die Flüchtlinge selber, in zweiter Linie aber auch für sich selber.
21 Kommentare zu «Was heisst «vor Ort»?»
In den 60er Jahren konnte eine Familie, wie der hier geschilderten aus Kairo, ganz legal eine gangbare Zukunft in der Schweiz aufbauen. Ich kenne einige, griechische aus Alexandria und Istanbul, wo sie seit dem osmanischen Reich, das übrigens mit gütiger Hilfe der europäischen Mächte nach dem ersten Weltkrieg zerstört worden war, zu Hause waren. Ihre Lage verschlechterte sich so, dass sie in der Schweiz Arbeit suchten und fanden. Sie kamen nicht als Bettler, sondern als sprachkundige und gut ausgebildete Ingenieure. Unsere aktuellen Ausländergesetze sind für viele Fälle kontraproduktiv.
Damals konnte man auch eine Fabrik schliessen, und am nächsten Tag hatten schon alle eine andere Arbeit.
Mir ist die Geschichte von diesem Omar sehr suspekt. Vor 4 Jahren begann der Krieg in Syrien, er ist nach Alex geflohen und hat da innert kürzester Zeit ein floriendes Geschäft aufgebaut? Das kann nur jemand behaupten, der die Bürokratie in Aegypten nicht kennt! Annehmbar kam Omar wie Hunderttausende Syrer zur Zeit Mursis, als sie willkommen waren (es kamen nur Anhänger der Islamisten). Nachdem die Muslimbrüder ihrer Macht beraubt wurden, mussten auch die Syrer als Anhänger der Muslimbrüder gehen. Von Fremdenfeindlichkeit keine Rede!
Politisch und menschlich kommt man bei der Frage zu verschiedenen Antworten. Beide Sichten sind wichtig, und sie widersprechen sich hier einmal mehr.
Regierungen sind der eigenen Bevölkerung verpflichtet und sollten sich von nicht durch hochstehende menschliche Allüren profilieren, sondern solche Profilierung dem einzelnen Bürger überlassen, denn dieser bewirtschaftet z.B. die temporäre Aufnahme und Integration eines echten Flüchtlings bedeutend effizienter und kostengünstiger. Die Anzahl der aufzunehmenden Flüchtlinge muss durch diese in der Bevölkerung herrschenden Bereitschaft festgelegt werden.
Whau!! Das wäre cool wenn es dann möglich wäre wie es bei der kindernothilfe und projuventute im 2.weltkrieg war. Soviele kinder können vorübergehend aufgenommen werden wie familien sich melden.heute traut sich niemand ([mehr) zu so etwas an die hand zu nehmen….
Es liegt ja nicht daran, dass dies niemand an die Hand nehmen will, sondern dass Regierungen immer mehr Macht an sich reissen wollen und damit die Bevölkerung immer stärker bevormunden, anstatt die Unabhängigkeit und Souveränität des Bürgers zu fördern. Das heisst nicht, dass eine Regierung diesbezüglich keine Funktion erfüllen mag, sondern genau die Organisation dafür mit bescheidenen Mitteln übernehmen kann (Meldestelle, Festlegung von einigen wenigen Regeln, wobei ein Flüchtling nicht einem Bürger gleichgestellt werden darf), jedoch sicherlich nicht die Entscheidung über Aufnahmequoten.
Die Schweiz könnte laut und deutlich dagegen auftreten, wenn Staaten andere Staaten aktiv destabilisieren oder gar bombardieren, um eigene wirtschaftliche oder politische Interessen durchzusetzen. Sie könnte ihre Stimme als Hüterin der Genfer Konvention erheben, wenn Morde als Kollateralschaden „notwendiger“ Bombardierungen verkauft werden. Sie könnte aufbegehren, wenn in der von Nachrichtenagenturen kolportierten öffentlichen Meinung plötzlich Menschen zu einer Art Ungeziefer erklärt werden, die man nur durch „Eradikation“ bekämpfen kann. All das tut die Schweiz aber nicht. Warum?
Immer wieder lese ich: „Die Einwanderung von Flüchtlingen in der Schweiz läuft zur Zeit „total aus dem Ruder!“ Auf welche Fakten stützt sich diese in den Medien dauernd wiederholte Aussage.
Besten Dank an Martin Wilhelm für die klärenden Worte zum Thema „vor Ort helfen.“ Gerade aus nationalkonservativen Kreisen, die sonst die Anstrengungen zur Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz in Frage stellen, ertönt nun plötzlich diese Parole. Sie ist nicht glaubwürdig.
Die heutigen Schwerpunktländer der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit sind gerade nicht diejenigen Länder, aus denen viele Flüchtlinge stammen (Eritrea, Syrien, Afghanistan). Aufgrund der Flüchtlingsströme lässt sich folglich nicht sagen, dass unsere Entwicklungszusammenarbeit keine Wirkung zeige
Moser: Logisch ist die in letzter Zeit oft benutzte „Hilfe vor Ort“ nur eine weitere Worthülse um dem rechtsnationalen Wähler vorzugaukeln, die SVP hätte eine Lösung. Und Toni Brunner gaukelt dann wie z.B. nach der neulich Mittelsprechung von 60 Mio für Hilfsgüter „vor Ort“, das Problem sei somit mehr oder weniger gelöst und gehe uns nichts mehr an.
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Wenn man dann mal unsere SVPler auf eine konkrekte, effiziente und mittel- bis langfristig nachhaltige „Vor-Ort-Hilfe“ anspricht, dann kommt aus eisigem Schweigen meist gar nichts mehr. Kein Wunder die „Vor-Ort-Worthülse“ war ja auch inhaltsleer!
Frau Rüdisühli,wenn das Ihnen besser gefällt, kann man auch Klartext reden und sagen es hat in diesen unwirtlichen Ländern ganz einfach viel zu viele Menschen! Diese Länder können diese rasante Population ganz einfach nicht mehr ernähren und so kommt es ganz zwangsläufig zu Streitereien. Die Frage bleibt dann, sollen wir unsere Heimat opfern für die Unvernunft Anderer!
Hr. Boss; wenn man von Entwicklungszusammenarbeit und deren Ziele keine Ahnung hat, sollte man sich hier eines Kommentars enthalten. Sie konstruieren hier – wie viele andere rechtsnationale Blender – mal wieder die abgehalfterte Argumentation von. „Es hat einfach zu viele Menschen dort, die Bevölkerungsexplosion wird uns erdrücken, Geburtenraten in den Entwicklungsländern sind zu hoch…etc. usw….blablabla“. Warum aber in den Ländern die Geburtenraten so hoch sind, wird nicht hinterfragt und weshalb Entwicklungszusammenarbeit genau diesen Aspekt ins Visier nimmt, ausgeblendet.
Beleidigungen sind keine Argumente, Herr Glücki.
Lieber Herr Glücki, ( falls es diesen Namen überhaupt gibt ) , Der Grund wird sehr wohl hinterfragt !! Herr Glücki, stellen Sie sich nun einmal aber ganz realistisch vor,wie denn das alles so soll vor sich gehen! Überall wird geschossen, fallen Bomben, Sie haben kaum zu Essen,oder Sie und Ihre Frau sind gar auf der Flucht ! Halten Sie bitte andere nicht für dumm!!
Hilfe vor Ort in Krisensituationen ist keine Entwicklungshhilfe. Sanitäre Anlagen, einfache Unterkünfte, Lazarette und andere Infrastruktur aufzubauen, ist relativ einfach zu bewerkstelligen, die Kosten sind übersichtlich. Das hat nichts mit fehlgeleiteter Entwicklungshilfe zu tun, die schussendlich vor allem die Abenteuer der Entwicklungshhelfer finanziert und das Geld anderweitig in dunkle Kanäle versickern lässt. Wenn man im Sinn von Hilfe zur Selbsthilfe kleine Produktionsstätten aus dem Boden haut aber kein Markt vorhanden ist für die Produkte, bringt das ganze Projekt nichts.
Merkel ist die Heldin der Zeit. Sie war so mutig und hat ein reiches Land geöffnet für die, welche wenig haben und bald frieren müssen. Chapeau. Damit hat sie ihren Weltbühnestatus zementiert, und zwar positiv! Nur, was man nicht voraussehen könnte war, dass alle andern knausern. Sogar Österreich lässt durch, ein Land welches für DIE ZEIT vom 8. Okt. dem Balkan angehört. DIE ZEIT vom 8. Okt. ist eh lesenswert diesbezüglich bis ins Feuilleton! Nun müsste ich die Schweiz ins Spiel bringen: Wie ist es, wenn man so abgehalftert von allen andern, auf sich gestellt wird? Zeigt es Deutschland mutig!
Mutig??
Mutig wäre gewesen, wenn sie selber, bei sich zu Hause, eine Menge Leute aufgenommen hätte. Mutig wäre gewesen, wenn sie persönlich bei der Annahme mitgearbeitet hätte.
Mit dem Geld und der Akzeptanz anderer mutig zu sein, IST NICHT MUTIG!
Das Problem besteht darin, dass Regierungen sich anmassen, über die Köpfe und zulasten der eigenen Bevölkerung sich mit emotional geladener Profilierung kolportieren, aber in ihrem privaten Bereiche nicht mit gutem Beispiel vorangehen und danach leben. Ein Teil der Bevölkerung ist grundsätzlich sicherlich bereit, auf persönlicher Ebene echten Flüchtlingen zu helfen, indem sie solche mit einer schwachen finanziellen Unterstützung temporär aufnehmen und innerhalb einer geraumen Zeit integrieren würde und dies ohne dass eine masslose Bürokratie und Sozialindustrie sich immer breiter macht.
Toni Stadler hat es m.M. es richtig definiert, unter: «Ab einer gewissen Zahl bricht jedes Asylwesen zusammen»
Es gibt Menschen, die gemäss der Definition der Flüchtlingskonvention verfolgt sind und unseren Schutz brauchen. Es gibt Menschen, die vor Kriegshandlungen fliehen. Krieg ist kein dauerhafter Status und erfordert vorübergehenden Schutz und hat völkerrechtlich kein Anspruch auf dauerhaftes Asyl. Das Ziel muss sein nicht die kriegsflüchtlinge weit weg zu bringen, sondern den Krieg beenden! Armutsmigranten gibt es theoretisch Milliarden, die kann man unmöglich alle aufnehmen.
Es ist nun einmal eine Tatsache, daß in Syrien sich die Bevölkerung von 1980-2010 von 9 auf 21 Mio. gestiegen ist. Gleichzeitig hat sich das Einkommen vom 1/8 des amerikanischen auf 1/30 davon verringert. Kein Wunder, daß die Leute Syrien verlassen wollen.
Ferner sind diese Flüchtlinge schlecht ausgebildet, nur 20 % entsprechen unseren Kriterien guter oder genügender Ausbildung. Die Mehrheit der Flüchtlinge sind sunnitische Araber. Im Fernsehen tragen sie auch in Europa Kopftuch, unsere Ängste sind ihnen gleichgültig. Untereinander zählen die Christen am wenigsten. Syrien ist 75 % sunnitisch.