Die Experten meinen das bestimmt nicht so
Demnächst findet wieder eines dieser Podien statt zum Ausbildungssystem der Schweiz. Der Bildungsblog ist unglaublich aktuell: Er berichtet schon darüber, bevor es stattgefunden hat.
Zuerst betritt der Moderator die Bühne: ein Gewerbler. Sein Gast ist – noch ein Gewerbler. Dazu ein Experte. Macht sich immer gut. Und eine Frau. Aus demselben Grund. «Ist die Lehre ein Auslaufmodell?», fragt der Moderator fast ein wenig provokativ. Das Publikum zuckt zusammen. Raunen, ängstliche Blicke. «Immerhin haben wir eine tiefe Maturaquote», doppelt er nach, «verglichen mit dem Ausland.»
Chancengleichheit ist eine schöne Sache, doch man kann es auch übertreiben.

Saubere Argumentation: Ein Podium wird vorbereitet. Foto: LM Otero (AP)
Das ist das Stichwort für den zweiten Gewerbler: «Ach, das Ausland! Dort sind alle arbeitslos, weil sie die Lehre nicht kennen.» Befreiter Applaus. Das Publikum atmet auf. «Das Ausland ist dort, wo sich alle Master nennen, aber nichts können.» Johlen, Gesänge im Zuschauerraum, man liegt sich in den Armen. «Das Ausland ist dort, wo ich meine Fachkräfte herhole.» Buhrufe.
Stirnrunzeln des Moderators. Er erklärt in kurzen Zügen, warum die Schweiz so reich ist. Und warum nicht alle an die Uni müssen. Und warum der duale Bildungsweg eine grossartige Alternative ist. Das Publikum stutzt einen Moment: Wurde seine Ausbildung soeben als blosse «Alternative» bezeichnet? Egal! Die auf der Bühne meinen das bestimmt nicht so – ganz im Gegensatz zu den arroganten Akademikern. Deshalb: Tosender Applaus.
Nun übergibt der Moderator das Wort dem Experten. Er soll bitte das Gesagte mit Studien untermauern. Der Herr Doktor Professor Direktor Experte zupft erst an seiner Krawatte und faltet intellektuell die Hände, um dann eindringlich zu warnen vor seinem eigenen Werdegang. Ganz besonders dringlich warnen muss er vor dem Gymnasium: «Für die meisten Kinder ist das Gymnasium eine Qual. Ich sehe es an meinen eigenen Kindern. Uh, was die dort leiden!» Der Herr Experte schickt seinen kleinen Alexander und die liebliche Sophia nur deshalb widerwillig ans Gymnasium, damit sie später nicht unter dem dummen Prestigedenken der reaktionären Gesellschaft leiden müssen.
Auch ins Lernstudio hat er sie nur geschickt, damit ihre überragende Intelligenz in den Prüfungen auch zum Tragen kommt. Nicht dass sie am Ende ihren wohlverdienten Gymiplatz irgendeinem -ic abtreten müssen. Chancengleichheit ist eine schöne Sache, doch man kann es auch übertreiben.
Jetzt muss die Frau – sie ist Ärztin – leider vorzeitig gehen. Sie muss zu den Kindern. Applaus. Der Moderator kommt zum Schluss. «Lehrlinge schaufeln und schwitzen, damit andere ihre nutzlosen Studien abbrechen können. Deshalb», folgert er messerscharf, «ist die Lehre kein Auslauf-, sondern ein Exportmodell. Sogar die Amerikaner wollen sie.»
Allgemeine Begeisterung im Saal. Es ist immer schön, herauszufinden, was man vorher schon gewusst hat. Applaus!
14 Kommentare zu «Die Experten meinen das bestimmt nicht so»
Ich habe es selber nur zum Master gebracht und kann nichts.Hilflos muss ich zusehen, wie ich fürs Bäumeschneiden, Steckdosenmontieren oder WC-Spülung-Flicken mit Beträgen abgezockt werde, die meinen eigenen Stundenlohn weit übersteigen. Rechne und wähle !
Handle und lerne dazu!
Gerne würde ich dazulernen und das Geschäftsmodell kopieren, ein paar Ossis oder Polen anstellen, die meine Arbeit machen. Dummerweise muss ich viele Berichte anfertigen, weisch richtig hohes deutsch, muss immer selber.
Welcher Schulabgänger, hat den noch Lust in einem Industrie- oder Handwerker-Betrieb mit unqualifizierten Süd- oder Osteuropäischen PFZ-Hilfsarbeitern eine lehre zu machen. Die mittlerweile meist über 70% der Angestellten ausmachen. Eine Lehre gibt es ja bekannterweise nur in D, CH und A.
Bei diesen fälschlicherweise als PFZ-Facharbeitern bezeichneten Hilfsarbeitern, vergeht jedem jungen verständlicherweise, die Lust auf eine Lehre. In der Gewerbeschule ist man nur an einem Tag der Woche. Denn Rest der Woche mit Mitarbeitern die nicht mal richtig deutsch können.
Im Bauhandwerk anfangs der 80er Jahre, waren schon über die hälfte Südeuropäische Hilfsarbeiter, die keine Ahnung von Arbeitssicherheit und Qualität haben. Seit PFZ ist noch schlimmer, noch mehr nicht gelernte Ausländer.
Die Firmen profitieren von Billigarbeitern und Lehrlingen mit tiefem Lohn – aber dem Kunden werden Profis verrechnet.
Denn Dualen Bildungsweg fährt man so an die Wand – selber Schuld!
Wenn die Lehrbetriebe von den bösen Ausländern gestürmt werden, wie Sie sagen, könnte das arme Schweizerkind ja vielleicht doch an die Uni gehen und sich hochqualifiziert studieren. Wenn wir dann endlich selbst genug Hochqualifizierte produzieren, müssen wir auch weniger Hochqualifizierte aus dem Ausland holen und uns weniger über ausländische Chefs ärgern.
Oreg Meyer, die Ausländer sind nicht die bösen, in erster Linie sind es die Politiker die dafür verantwortlich sind, welche der Wirtschaft, denn Firmen zudienen, also meist böse Schweizer – darum schrieb ich selber Schuld!
Wie es herauskommt wenn Studieren der einzige Bildungsweg ist, sieht man in vielen Ländern. Bsp. Spanien 50% der Jungen sind Arbeitslos trotz Uni-Abschluss, was soll man denn mit so vielen Theoretikern anfangen – in der harten realen Welt?
Die Welt wird/wurde nicht von Uni-Träumern erbaut – es sind die Macher/Praktiker welche Produktiv sind u. Wertschöpfung bringen.
*Winkt ab*
Das könnte glatt ein missglückter Ironieversuch gewesen sein. Ein nicht zu kleiner Teil der Leser denkt tatsächlich so wie Ruedi das geschrieben hat, deshalb hat man kaum die Chance etwas noch überspitzter darzustellen. Wo sonst als im anonymen Forenblog kann man seine eigenen Borniertheit so gut zur Schau stellen ohne sich effektiv outen zu müssen?
Eh ja, es ist halt heiss und da lösen sich die Absichten des Bildungsjournalisten in der flimmernden Hitze mehr oder weniger spurlos auf. Schade, die Ausgangslage war verführerisch, aber das Klischee halt stärker. Schönen Sommer noch!
Mit diesem Beitrag hat Autor Pfister seine schlagenden Fähigkeiten bestmöglichst bewiesen.
Danke.
Saubere Analyse, schön verpackt. Bravo Herr Pfister!
Duale Ausbildung ist grossartig, weil sie zielgerichtet (!) Theorie und Praxis verbindet. Akademiker sind wichtig, weil sie zwar (meistens) schwerpunktmässig Theoretiker bleiben, aber bedeutende Erkenntnisse vermitteln. Es braucht also beide. Bei der dualen Ausbildung ist – besonders im Handwerk – aber offenbar der Schutz ungenügend. So muss z.B. der Staat einen Auftrag „ausschreiben“, darf aber leider nicht die Qualifikation der ausführenden Berufsleute mit zur Bedingung machen. Was da inzwischen so alles als „Handwerker“ in der Schweiz kreucht und fleucht…
Das Bildungsdualsystem in der Schweiz hat sich bisher positiv bewährt. Die Theorie-Praxis Verknüpfung in einem Profession ist fundamental. Nun, was mühsam tönt, wenn die Akademiker (oder auch Politiker) aufrufen: Junge Leute sollen eine Lehre absolvieren und selbst die Akademiker oder eben die Politiker haben ein Studium hinter sich, das ganze tönt einfach nicht seriös. Ein wichtiger und realistischer Gesichtspunkt ist, dass die Schweiz Fachpersonen braucht und wird in die Zukunft, gemäss Prognosen, noch mehr brauchen. Also, die junge Leute sollen studieren können – keine Barrieren aufbauen…
Politiker mit Studium hätten doch auch etwas Brauchbares werden können. Glauben Sie nichts. In der Schweiz wird nach dem Selfscanning auch Selfcare ohne Arzt und FAGE eingeführt, und so in allen Bereichen (Gastronomie läuft auch).
Die Frage ist natürlich, was zuerst war, die hohe Akademikerquote oder die Arbeitslosigkeit. Dennoch sollte die Koinzidenz zu denken geben:
http://blog.tagesanzeiger.ch/nevermindthemarkets/index.php/36224/zu-viele-doktortitel-bremsen-das-wachstum/