Das mediale Zweiklassensystem

Er freue sich über die Kritik am Service public, schrieb «Tagesschau»-Redaktor Franz Fischlin in der «NZZ am Sonntag», er halte sie sogar für eine Art Wertschätzung. Zudem sei das Interesse am Service public staatspolitisch essenziell, auch für die Mitarbeiter der SRG. Dort laufe diese Diskussion nicht erst seit der Abstimmung über das neue Radio- und TV-Gesetz. Seine Kollegen machten sich seit je tagtäglich vor jeder Sendung Gedanken.

Schade, hat sich Fischlin nicht früher zu Wort gemeldet. Vor der Abstimmung am 14. Juni gab es kaum öffentliche Auftritte von SRG-Mitarbeitern. Mehrere Interviewanfragen des TA wurden abschlägig beantwortet. Der Bescheid der Pressestelle lautete: Es reden nur Generaldirektor Roger de Weck und Fernsehdirektor Ruedi Matter. Dabei wäre das ein guter Beitrag zum Service public gewesen, wenn die SRG ihre erfahrenen Journalisten hätte reden lassen.

Aber besser spät als nie. Fischlin schreibt auch, dass die teils gehässige Debatte nicht nur ein Zweikampf Private gegen SRG sei. Das stimmt. Nicht nur, aber auch. Leider. Denn aus dem SRG-Bashing, um dieses schreckliche Wort der Bashing-Opfer zu benutzen, spricht auch ein Quäntchen Neid. Journalisten privater Medien geht es in der Regel wie den Bewohnern eines Landes, das unter immerwährender Rezession leidet. Die Bewohner kämpfen erfolglos und verzweifelt gegen den Niedergang und hoffen auf ein Wunder, die Kehrtwende. Währenddessen sehen sie, wie der Nachbarstaat, also Leutschenbach, ständig ausbaut: Angebot, Einnahmen, Stellen. Die privaten Medien mussten in den letzten 25 Jahren substanziell abbauen, während die SRG in dieser Zeit umgekehrt proportional gewachsen ist.

Denn aus dem SRG-Bashing spricht auch ein Quäntchen Neid.

(Keystone/Peter Klaunzer)

Der SRG stehen bei Bundesratswahlen jeweils eigene Räumlichkeiten zur Verfügung. (Keystone/Peter Klaunzer)

Die Diskrepanz ist nicht nur in den Statistiken gross, sondern auch im journalistischen Alltag – etwa an Pressekonferenzen, wo SRG-Journalisten meist Vortritt haben (elektronische Medien zuerst) oder ihn für sich beanspruchen («Sorry, gell, ist für ‹10vor10›»). Nie ist das Zweiklassensystem so offenkundig wie an Bundesratswahlen. Während viele Printjournalisten mit dem Laptop auf den Knien gleichzeitig das Onlineportal ihrer Zeitung füttern und sich die beste Geschichte für den folgenden Tag überlegen, mietet sich die SRG in weiten Teilen der altehrwürdigen Gemäuer ein und arbeitet dort bequem – die Equipage lagert in einer Lastwagenkolonne hinter dem Bundeshaus.

Sicher, das Angebot der SRG kann sich dann auch entsprechend sehen lassen. Aber das schützt den Journalisten mit dem Laptop auf den Knien nicht vor gewissen Ressentiments. Wenn sich dann noch regelmässig Arbeitskollegen in Richtung SRG verabschieden mit dem Hinweis, sie hätten bei dem Lohnangebot keine Sekunde gezögert, grenzt das irgendwann an Demütigung.

Neid ist keine Legitimation für negative Berichterstattung, aber teilweise eine Erklärung. Etwa für die Tatsache, dass vor der Abstimmung über das neue RTVG Westschweizer Zeitungen ungewöhnlich kritisch waren mit der SRG. «Le Temps» zum Beispiel und «L’Hebdo», dessen Chefredaktor schrieb: «Toujours plus.» Die SRG mache immer mehr, wolle immer mehr. Einfach immer mehr. Die privaten Westschweizer Titel waren von der Erosion im Leser- und Werbemarkt überdurchschnittlich betroffen. Wen wundert es, dass Neid aufkommt, wenn RTS nicht nur den Stellenetat ausbaut, sondern gleichzeitig auch den Standort Genf renoviert und 95 Millionen Franken für einen Neubau in Lausanne budgetiert?

Neid ist ein schlechter Ratgeber, in der Politik wie in allen anderen Lebensbereichen. Aber in diesem Fall muss man ihn als Indikator für eine falsche Entwicklung ernst nehmen.

14 Kommentare zu «Das mediale Zweiklassensystem»

  • Walter Bossert sagt:

    Ist das vielleicht ein Zufall, dass Herr Fischlin einer der wenigen ist, dem man eine neutrale Berichterstattung zugestehen kann !

    • Georg Hanselmann sagt:

      Franz Fischlin ist der einzige, welcher sich bei der Moderation der Nachrichten nicht in den Mittelpunkt stellt, keine Faxen macht, keinen abschätzigen Ton verwendet, sondern einfach zur nächsten Nachricht führt. Er ist der weitaus beste Nachrichtenmoderator der Schweiz!

  • Alex Schneider sagt:

    SRG: Gebühren- und Budgetobergrenze statt endlose Diskussion des Service public

    Endlose öffentliche Diskussionen um nötige und unnötige Programmteile der SRG bringen uns nicht weiter bei der Neudefinition des Service public. Die SRG muss mittels Beschränkung der Finanzmittel gezwungen werden, selbst den Kerngehalt des Service public gemäss Art. 93 BV festzulegen.

    • Stefan Büchi sagt:

      Das wäre eine einfache, unbürokratische und freiheitliiche Lösung des Problems und sollte als Gegenvorschlag zur No-Billag-Initiative zur Abstimmung kommen. Diese fordert ja das gleiche, aber mit Null Franken.

      • Albert sagt:

        Also gar keine Gebühren mehr oder massiv weniger – das sind für Sie die beiden Möglichkeiten. Das ist ein äusserst demokratischer Gedankengang, keinen Monat, nachdem an der Urne das RTVG angenommen worden ist. Sind Sie bei anderen Themen auch so „demokratisch“ gesinnt?

    • Franz Kaufman sagt:

      Jo, man sieht ja in Griechenland wie Sparzwang die Wirtschaft ankurbelt und die Stimmung im Lande hebt.
      Nein, so einfache Lösungen haben es noch nie gebracht.

  • Ralph Sommerer sagt:

    Das Problem mit den Liberalen ist, dass sie zwar pausenlos vom Wettbewerb schwafeln, ihn aber am liebsten aushebeln wollen, weil es so anstrengend ist, mit Leistung (ein anderes Hohlwort) zu überzeugen. Darum soll die SRG ihr Online-Angebot nicht ausbauen und dadurch die privaten Medien konkurrenzieren dürfen. Wenn die SRG bessere Löhne bezahlt, wieso fordert man nicht, dass die Privaten gleichziehen, statt die der SRG nach unten zu nivellieren? Klar, höhere Löhne gibt’s bei den Liberalen nur für Leistungsträger, wobei man mit der Leistung nicht übertreiben sollte, denn die ist so anstrengend.

    • Roman L sagt:

      Wettbewerb ist ok, Wettbewrbsverzerrung nicht. Denn wenn ein Teilnehmer übervorteilt wird, könn die anderen kaum nachziehen… Zwischen SRG und Privaten besteht darum kein FAIRER Wettbewerb, weil die SRG mit Zwangsgebühren überhäuft wird. Die Privaten müssen dafür Leistungen VERKAUFEN.

      • Franz Kaufman sagt:

        Also, Schawinski hat es geschafft, mehr als einmal.

      • Ralph Sommerer sagt:

        Es ist immer dasselbe mit den Liberalen: ob sie für oder gegen etwas sind, hängt eigentlich nur davon ab, wem es nützt. Profitieren Reiche, sind sie dafür, profitieren wir alle, sind sie dagegen. So sind sie einmal gegen Wettbewerbsverzerrung und das nächste Mal gegen Gleichmachereii, einmal für Eigentumsrechte (Patente = Wettbewerbsverzerrung) und dann wieder dagegen (111er Auskunfts-Nummer der Swissom = Markenzeichen).

  • Beat Tobler sagt:

    Es tönt ein wenig wie die Kritik an den Subventionen für die Bauern. Und Wahlsendungen aus Bern, wieviele Promille der Sendezeit sind das ? Und wieviel Fussball und Autorennen, das andere ebenso gut können ?

    • Mark Keller sagt:

      Genau, wieso soll ich mir Autorennen im Schweizer Fernsehen anschauen, wenn ich dies genauso gut im Deutschen oder Österreichischen Fernsehen machen kann? Wo schaue ich dann Autorennen, wenn die Deutschen und Österreicher diese outsourcen an Private, und diese Privaten die Autorennen dann über Pay-TV anbieten? Ja genau, dann abonniere ich halt Pay-TV und Pay-Radio, stelle mir mein privates Programm zusammen. Wie viel muss ich dann wohl für all diese Pay-Dinger bezahlen?

  • Hanspeter Müller sagt:

    Neid ist immer ein schlechter Ratgeber. Und indem man den Anderen schlecht macht wird man selber keinen Deut besser. Und wenn man es allzuweit treibt schiesst man sich dazu noch selber ins Knie. Wenn wir die Billaggebühren streichen kriegt nicht nur die SRG nichts mehr, sondern auch die Privaten. Dann haben wir auf allen Sendern nur noch billigen Ramsch, den Journalisten geht es allen schlecht und wir haben Zustände wie in Italien. Der Medienmogul heisst dann nicht Berlusconi, sondern Blocher. Das wäre dann die Steigerung vom Schuss ins Knie.

  • Beat Jans sagt:

    Der Tamedia Konzern weist Jahr für Jahr stolz auf seine Gewinnsteigerungen hin. Der Abbau bei den Privaten im Bereich Qualitätsjounalismus, ist gewollt und gewinngetrieben und hat wenig mit der SRG zu tun.

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