Die Katholiken haben die Protestanten eingeholt

Das deutliche Ja Irlands zur Homo-Ehe hat all jene überrascht, die meinten, die Insel sei immer noch eine Bastion der Katholisch-Konservativen. Seit der knappen Annahme des Scheidungsrechts vor 20 Jahren haben drei Faktoren die Säkularisierung von Gesellschaft und Politik beschleunigt: der gewachsene Anteil junger, gebildeter Frauen und Männer, der Prestigeverlust der Kirche wegen all der Missbrauchsskandale sowie die Entschärfung des Nordirland-Konflikts. Weil der Kampf zwischen katholischen Republikanern und protestantischen Unionisten stark konfessionalisiert war, hat er auch im Süden die Identität von Katholizismus und Republikanismus künstlich verlängert. Wie die kroatischen und polnischen Gegenbeispiele zeigen, behindert die politische Verschränkung von Nationalismus und Konfessionalismus die gesellschaftliche Säkularisierung.

Der an Karfreitag 1998 beschlossene Friedensprozess im Norden beflügelte den Emanzipationsprozess im Süden. Zu den Hauptverlierern der irischen Pfingsttage gehören die probritischen Protestanten in Nordirland. Ihnen ist mit dem irisch-katholischen Ja zur Homo-Ehe eines ihrer wichtigsten Argumente gegen die staatliche Wiedervereinigung abhandengekommen: Die Republik leide unter «papistischer» Rückständigkeit und Abhängigkeit. Wenn der Vatikan einen Entscheid des irischen Souveräns als «Niederlage für die Menschheit» bezeichnet, hat der Papst-Popanz ausgedient.

Angesichts der fortschrittlichen Iren kann sich die helvetische CVP nur blamieren.

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Die irische Senatorin Katherine Zappone (rechts) feiert mit ihrer Lebenspartnerin das Ja zur Homo-Ehe. Foto: Keystone

Neben den Katholisch-Konservativen Irlands und den antikatholischen Ulster-Loyalisten gehört auch die schweizerische CVP zu den Verlierern. Seit Gallus, Kolumban und ihre Mitbrüder vor gut 1400 Jahren aufgebrochen sind, um die hiesigen Gegenden zu missionieren, hat kein irischer Entscheid hierzulande eine derartige Wirkung entfaltet wie das Ja zur Homo-Ehe. Angesichts der fortschrittlichen Haltung der keltischen Urchristen kann sich die helvetische CVP mit ihrer Definition der Ehe als «Verbindung von Mann und Frau» nur blamieren.

Letztlich hat die CVP ein ähnliches Problem wie die nordirischen Loyalisten: Die Katholiken haben die Protestanten eingeholt. Während der Schweizer Protestantismus seit seinen Anfängen zu den weltweit liberalsten gehörte, war die Mehrheit der Schweizer Katholiken bis in die 1960er-Jahre äusserst konservativ. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) und der 68er-Bewegung begann eine Entwicklung, die das konfessionelle Gefälle inzwischen aufgehoben hat. Am besten lässt sich das an den insgesamt fünf Abstimmungen zur Schwangerschaftsfrage zwischen 1977 und 2014 zeigen. 1977, als die Fristenlösung mit 48 Prozent relativ knapp abgelehnt wurde, hatten zwei Drittel der Protestanten Ja und zwei Drittel der Katholiken Nein gestimmt. 25 Jahre später trugen zwei Drittel der Katholiken zur 72-prozentigen Annahme der Fristenregelung bei. Vor einem Jahr, als 70 Prozent der Stimmenden den Versuch rechter Kreise, die Abtreibung aus der Grundversicherung zu streichen, ablehnten, gab es keinen konfessionellen Unterschied mehr.

Eine klare Mehrheit der Schweizer Katholiken und erst recht Katholikinnen steht dem irischen Pfingstgeist näher als dem ewiggestrigen Geist der CVP-Initiative «Gegen die Heiratsstrafe». Selbst die SVP, historisch die Partei der konservativen Protestanten und seit den 90er-Jahren auch der konservativen Katholiken, wird ihren Absturz nicht verhindern können. Und die kirchliche Hierarchie hat in Fragen von Sex und Gender nicht mehr Einfluss als auf der Grünen Insel.

Ein Kommentar zu «Die Katholiken haben die Protestanten eingeholt»

  • Walter Bossert sagt:

    Zu der Häufigkeit und der Bedeutung welche diesem Thema in der letzten Zeit beigemessen wird, gibt es eigentlich keine Worte mehr, da würde eine Karikatur nun tatsächlich viel mehr aussagen!

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