Worthülsen, Worthülsen

Sie senden gerne Signale. Sie warnen vor administrativem Leerlauf. Sie sehen Aufgeblähtes und orten Handlungsbedarf (gerne überall). Sie beschreiben Probleme als Chancen oder, noch schlimmer, als Herausforderungen. Sie verstehen den Unmut von wenigen und hoffen auf Akzeptanz der vielen. Sie halten fest, sie resümieren, sie ziehen ein Fazit. Und dann empfehlen sie den Antrag, den Vorstoss, das Postulat oder die Interpellation im Namen ihrer Fraktion herzlich zur Annahme. Oder zur Ablehnung.

Es ist den Machern der Satiresendung «Giacobbo/Müller» hoch anzurechnen, dass sie sich in mühevoller Kleinarbeit den politischen Worthülsen und Leerformeln unserer Tage widmen und dabei immer wieder auf Perlen der Rhetorik stossen. So auch am vergangenen Sonntag. Es geschah bei der Debatte über das Geschäft Nummer 14.059, im Protokoll prosaisch mit «Bundesgesetz über den zivilen Ersatzdienst. Änderung» betitelt. Die Akteure: Evi Allemann und Edith Graf-Litscher, zwei Nationalrätinnen der SP. Ihr Vergehen: Verdoppelung des Gedankens. Die beiden Nationalrätinnen sagten tatsächlich das exakt gleiche.

Jedes Wort wird abgewägt, jeder Satz als potenzieller Feind betrachtet.

Wer sagts denn? Allemann (l.) und Graf-Litscher teilen sich ganze Sätze. Fotos: Keystone

Wer sagts denn? Allemann (l.) und Graf-Litscher teilen sich ganze Sätze. Fotos: Keystone

«Wer aus Gewissensgründen konsequent darauf verzichten will, sich an der Armee zu beteiligen, muss die Möglichkeit eines zivilen Ersatzdiensts bei der Tauglichkeitsprüfung haben. Die heutige Tauglichkeitsprüfung im Rahmen der Rekrutierung wird nach militärischen Gesichtspunkten von Angehörigen der Armee durchgeführt und zählt auch als Militärdienst», sagte Allemann.

Wenig später trat Graf-Litscher ans Rednerpult. Sie sagte Folgendes: «Wer aus Gewissensgründen konsequent darauf verzichten will, sich an der Armee zu beteiligen, muss die Möglichkeit eines zivilen Ersatzdiensts bei der Tauglichkeitsprüfung haben. Die heutige Tauglichkeitsprüfung im Rahmen der Rekrutierung wird nach militärischen Gesichtspunkten von Angehörigen der Armee durchgeführt und zählt auch als Militärdienst.»

Die beiden Nationalrätinnen trafen sich noch zwei weitere Mal mit ihrer Formulierung. Es ging um den Artikel 17a (fragen Sie nicht) und um das konsequente Verhindern von «administrativen Leerläufen auf Gesetzesstufe» (dito). Hintereinander und gegeneinander zusammengeschnitten vom Team von «Giacobbo/Müller» ergab die Rede der beiden Rednerinnen ein Videodokument von seltener Güte: Das Problem mit der Politik-Sprache, kondensiert auf knapp eine Minute.

Duett ab Minute 24: Allemann und Graf-Litscher in der gleichen Debatte. Video: SRF

Die Lösung des Rätsels ist etwas weniger unterhaltend: Allemann und Graf-Litscher hatten sich bei der Vorbereitung ihres Votums auf die Vernehmlassung der Partei gestützt und einzelne Sätze als «Textbausteine» (als ob ein guter Text eine Mauer wäre) in ihre Rede «eingebaut» (eben). Was zwar blöd tönte, aber wohl verzeihlich ist. Aus dem eigenen Parteiprogramm abschreiben geht in Ordnung (man stelle sich vor, ein Lobbyist hätte beim Schreiben geholfen, das soll ja durchaus vorkommen).

Die Verdoppelung ist verzeihlich, ja, aber sie auch bezeichnend. Es hat schon einen Grund, dass die wütende Abschiedstirade von Martin Graf, dem abgewählten Zürcher Regierungsrat der Grünen, tausendfach geklickt wurde. Immer seltener hört man Politikerinnen und Politiker tatsächlich sprechen. So ganz echt. Unkontrolliert und unvorbereitet. Die Kommunikationsmenschen – in den Behörden, in den Parteien – haben ihren Beamten und Politikern jegliches Risiko ausgetrieben. Jedes Wort wird abgewägt, jeder Satz als potenzieller Feind der Konsensdemokratie betrachtet und entsprechend vorsichtig verfasst.

Die Folgen dieses Verrats an der Sprache lassen sich in jeder Medienmitteilung der Verwaltung nachlesen. Oder in der unendlichen Wortprotokollen des Parlaments. Wie oft reden da Politiker das gleiche. Und sagen doch nichts.

26 Kommentare zu «Worthülsen, Worthülsen»

  • Franz Kaufman sagt:

    Das Ganze nennt man „Verakademisierung“.

    • Reto Stadelman sagt:

      Ich würde es eher als Langeweile bezeichnen. Wer genug Zeit hat, den Politikern jedes Wort um Mund umzudrehen, dem ist es definitiv lagnweilig…

      • Franz Kaufman sagt:

        Hier wurde nichts verdreht, nur die identische Rede, der beiden Rednerinnen zusammengeschnitten. Um aufzuzeigen, das halt gerne, um sich die Aufgabe einfacher zumachen, wieder verwendet wird.
        Optimieren kann ich verstehen, aber doch mit etwas Überlegung dabei. Siehe auch Thema Markwalder dazu.

    • Rabe sagt:

      Unsinn. Das hat damit rein gar nichts zu tun. Schon eher mit allgegenwärtigen PR und Marketing. Diese Vertextbausteinisierung der Politsprache kommt aus der aalglatten Managementsprache, nicht weit weg vom Orwellschen Newspeak, und nicht aus Unis und Hochschulen. Das Ziel ist ja auch ein anderes: Bei Forschungsergebnissen und Debatten von Hochschulniveau geht es um genaue Formulierungen, beim Newspeak, pardon Managementsprache geht es darum, Sachverhalte möglichst mit einer sprachlichen Teflonschicht zu versehen zwecks Verschleierung sowie juristischer Absicherung und Imagepflege.

      • Beat Tobler sagt:

        Genau das ist es, Rabe. Was mich dabei wundert, ist höchstens die Tatsache, das derartige „Reden“, ob in der Wirtschaft oder Politik, doch noch ein Publikum finden, obwohl jedem zum Vornherein klar ist, dass per definitionem gar nichts rauskommen kann…

      • Franz Kaufman sagt:

        Und woher glauben Sie kommt die Managementsprache. Genau von Unis und Hochschulen. Es wird alles zu Tode analysiert und die Ergebnisse in Formen (Methoden) gegossen, die dann wieder anderen eingetrichtert werden.
        Diese 2 Damen haben dann eben eine solche Methode, ohne genau zu überlegen, ob sie sie jetzt anwenden sollen, benutzt.

        • Rabe sagt:

          Da haben Sie teilweise natürlich recht, da diese Floskeln z.B. an Wirtschaftsfakultäten natürlich auch vorkommen. Trotzdem hat die Verakademisierung, die ich nicht völlig bestreiten möchte, damit nichts zu tun. Negative Folgen der Verakademisierung sind eher Praxisferne (z.B. in der Pädagogik und im Gesundheitswesen) als aalglatte Floskeln, die ihr Ziel in einer letztlich möglichst nicht angreifbaren Kommunikation haben. Und die kommt von den PR-Abteilungen der Firmen und Konzerne und haben inzwischen im Staatswesen das komplizierte Beamtendeutsch abgelöst: Also vom Regen in die Traufe.

      • Franz Kaufman sagt:

        Nebenbei:
        Jemandes Meinung als Unsinn zu kennzeichnen, ist Kommunikation falsch angewandt.

  • bettina ramseier sagt:

    Wer glaubt, was Politiker sagen oder versprechen, ist naiv. Wohin politische Versprechen führen, wenn sie tatsächlich eingehalten werden, zeigt Griechenland: linkspopulistische Versprechen von unkündbaren Staatsstellen, Renten ohne Kürzung schon ab 25! (gibt es in Griechenland tatsächlich), soziale Wohlfahrt für alle ohne Arbeit. Das endet in Armut, Elend und Konkurs. Politiker sind nie an Lösungen interessiert, sondern ausschliesslich an Problembewirtschaftung und Wählerkauf, und zwar je linker, desto mehr.

    • Geert sagt:

      Oh ja, und gereade die Rechten politiker sind ja so gut im halten was sie versprechen. Sie haben glaub ich die letzten paar jahrhunderte verschlafen…

  • Markus Benz sagt:

    Dass im Nationalrat mehrheitlich ausformulierte Texte heruntergelesen werden, ist symptomatisch. Viele Politiker und Politikerinnen sind schon nicht fähig, in freier Rede ein einigermassen zusammenhängendes Votum abzugeben, von einem gutem Aufbau und der Fähigkeit, den Zuhörer zu fesseln, ganz zu schweigen. Das ist auch kein Wunder, denn Rhetorik ist ein Thema, das in unseren Schulen praktisch nicht stattfindet.

    • Peter Frick sagt:

      Es muss doch von der Bundeskanzlei ins Protokoll gesetzt werden und die Parteidokumentation, die Fraktionsdokumentation, nicht zu vergessen, die eigene Ablage. Alle wollen doch Papier, Papier, Papier oder doch wenigstens ein E-doc. Wie soll man da eine freie Rede „ablegen“. Abgesehen: Hört überhaupt jemand hin?

      • Markus Benz sagt:

        Das Wortprotokoll wird ab Tonband verfasst. Kein Redner muss etwas Schriftliches abliefern. Aber Sie haben recht: Das Peinliche ist eigentlich, dass die zweite Dame der ersten gar nicht zugehört hat, denn sonst hätte sie ja merken müssen, dass ihre Sätzlein schon gesagt wurden.

    • Kurt Gschwind sagt:

      Klar natürlich: Die Gesellschaft ist schuld! qed.

  • Christian Duerig sagt:

    Die deutsche Sprache ist ein Auslaufmodel. Hochtrabende Worte wie „Rhethorik“ werden zu „Worthülsen“. Das Maschinengewehr tragen wir in uns, und singen tun wir Schlager. Die Metzgertochter bringt es zur Hochblüte. Wir leiden alle unter Goethe, Lessing, Novalis, …. und Kant. Der 2. Weltkrieg dauert an. Noch immer werden die Kastanienbäume zur Erinnerung an Anne Frank umgehackt. Bundesrätin Simonetta Sommaruge spielt hölzern den Sting und Sanzibar wird dem Volk zur Lektüre angeboten. Die CH ist eine TITANIC !

  • K. Gsell sagt:

    Das mit dem Kopieren des „Textbausteins“ ist verständlich. Allerdings hätte die 2. Rednerin, wenn Sie der ersten zugehört hätte, merken sollen dass Sie dies jetzt nicht auch noch bringen kann.

  • Paul Moser sagt:

    Besteht denn nicht fast die ganze Politik aus lauter Worthülsen? Parteiprogramme machen mir jedenfalls nicht den Eindruck, dass da „Klartext“ geschrieben würde und die Vertreter dieser Programme gehen zu oft gar nicht auf die eigentlichen Probleme und Fragen ein, sondern zitieren solche Hülsen. Umgekehrt werden Bundesräte, die nicht gleich Druckreifes von sich geben können, auch ständig kritisiert, sie könnten nicht richtig kommunizieren. Tatsächlich: Politik ist ein nahezu un-sägliches Geschäft.

  • Peter Landolt sagt:

    In schriftlichen Arbeitem würde mam das Plagiat nennen! – Der abgewählte Ex-Regierungsrat Graf hat es immerhin geschafft, frei von der Leber zu sprechen. Der Video dazu ist ja fast schon Kult. Hätte er vorher mal Klartext gesprochen, hätte er sogar meine Stimme erhalten. – Nichtssagende Parlamentarier sind graue Mäuse und die Abwahl droht, wohl zurecht….

  • Ralf Schrader sagt:

    In der Schweiz gibt es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, weder Politik noch Politiker. In Bern wird die Schweiz nur verwaltet, es regiert, wie in allen entwickelten Staaten, einzig das Geld, in dieser Form Kapital genannt.
    So ist auch die in Bern gesprochene Sprache ein reiner Administrativ- Slang. Leider wird nicht mal der beherrscht, wie man bereits nach wenigen Minuten des Zuhörens bemerken muss. Stil- und Grammatiksicherheit sucht man vergebens, die Semantik ist von PC- Floskeln weitgehend ausser Kraft gesetzt. Laienhafte Sprache für Laien- Zuhörer.

  • Peter Weber sagt:

    Als noch schlimmer erachte ich die rhetorischen „Gestenhülsen“ der Politiker. Uli Maurer’s stellschraubschlüsselartiger rechteckiger Daumen-Zeigefinger-Klammergriff, Rickli’s Fleischhaken-Zeigefinger zum heranziehen und zerstückeln des generischen Argumentes, oder Giezendanner’s erfrischend klassische Daumen-Abzug-Pistolenlauf-Zeigefinger-Geste, mit der er auf den Gegner zielt beim auf Nummer 2 zählen. Die rhetorischen Gesten schweizer Politiker wirken dermassen affektiert, gebärdensprachlich, durchschaubar und einstudiert, dass eigentlich Grunzlaute am besser dazu passen würden als Worthülsen

  • Franz Steiner sagt:

    Diese Politiker(innen) haben in ihrem ganzen Leben nichts anderes gemacht als zu politisieren. Wenn wundert es, dass dabei ein politisch korrekter Einheitsbrei resp. warme Luft rauskommt.

  • Tim Knecht sagt:

    Mich wundert das nicht. In einer Zeit, in der die Medien aus jedem nicht perfekt ausformulierten Satz mindestens ein Skandälchen zur Aufmerksamkeitssteigerung machen, ist die Zielrichtung der Politiker klar: Bloss keine Fehler machen. Daher beschäftigen sie eine ganze Reihe von „Kommunikationsfachleuten“, die eben mit Textbausteinen und Worthülsen arbeiten. Man kann es sich nicht erlauben, angreifbar zu sein. Argumente zählen nämlich seit Jahren nichts mehr, nur der polemische Aufschrei und das Schwarz / Weiss denken. Da sind die Medien mindestens mitschuldig dran.

  • Thomas sagt:

    Man kann von Köppel halten, was man will. Wird er aber in den Nationalrat gewählt, so können wir sicher sein, wieder einmal einen guten Redner dort zu haben. Keinen Textbausteinemaurer oder Worthülsenschützen.

    Man kann also in allem auch etwas Gutes sehen ….

  • Walter Bossert sagt:

    Ja, und nun lese man ein paar verschiedene Zeitungen und was steht da, waseli was, immer das gleiche. Und am Abend schaut man noch die Tagesschau und was bringen die? Auch das gleiche.Dann ist es eigentlich keine besondere Leistung von Giacobbo – Müller, am Sonntag Abend auch noch das gleiche zu bringen…

  • Schumacher Peter sagt:

    Seit es Mode geworden ist, für Verantwortung nur noch zu kassieren, hat das Worthülsen schmeissen in der Politik wie in den Chefetagen drastisch zugenommen.
    Das ist übrigens in andern Länder dasselbe.

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