Was die Schweiz von Liechtenstein lernen kann

Liechtenstein wird seit Jahrzehnten stramm bürgerlich regiert. Meistens teilen sich die bürgerlichen Parteien die Machtausübung. Einmal ist es die Vaterländische Union, die Roten, mal die Fortschrittliche Bürgerpartei, die Schwarzen, die den Regierungschef stellen, weil sie bei den Wahlen mehr Stimmen als ihre Konkurrentin erzielten. Eine kleine Nebenrolle spielen zudem die Weissen, wie die Vertreter der grün-alternativen Freien Liste im Volksmund genannt werden.

Verändert hat sich das etablierte Parteigefüge bei den letzten Wahlen, als die erstmals antretenden Unabhängigen auf Anhieb 15 Prozent der Stimmen auf sich vereinten und mit vier Vertretern in den 25-köpfigen Landrat einzogen. Erstmals kam deutlich zum Ausdruck, dass die quasi vererbten Bindungen der Familien an eine der bürgerlichen Parteien sich zu lockern begannen.

In meiner Beratertätigkeit für die Regierung versuchte ich mich in diesem bürgerlichen Parteiengeflecht zurechtzufinden. Mit der Zeit spürte ich, dass die Fortschrittliche Bürgerpartei sich in Nuancen eher nach Österreich orientiert, fürstentreuer ist, aber auch sozialer, dass die Vaterländische Union eher zur Schweiz neigt, fürstenhausdistanzierter, aber auch wirtschaftsfreundlicher ist als ihre Konkurrentin. Die Weissen, eben die Grünen, waren weit klarer zu positionieren, sie setzen sich für die Umwelt ein und kämpfen weit stärker als die Bürgerlichen für ein verbessertes Image des Landes in der Welt. Die neuen Kräfte, die Unabhängigen, mitten sich ein. Sie wollen vor allem die traditionellen Bindungen lockern, weltoffener agieren. Ein klares Profil ist schwer auszumachen.

Sorgen bereitet den Liechtensteinern lediglich die Schweizer Bürokratie.

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Bundesrat Berset würde mit seiner AHV-Revision gerne so schnell vorwärtskommen wie Liechtensteins Regierungschef Adrian Hasler. Foto: Brigitt Risch (Keystone)

Dennoch: Weit schneller als die Schweiz akzeptierte der Finanzplatz Liechtenstein auf Initiative der Regierung und des Fürsten die Standards der OECD und verschaffte sich so rasch ein verbessertes Image in der Weltöffentlichkeit. Bei den Verhandlungen mit der EU über den Beitritt in den EWR gelang es der Regierung, eine Beschränkung der Einwanderung in den Vertrag aufzunehmen. Liechtenstein hat in einer Volksabstimmung dem Beitritt in den EWR klar zugestimmt und ist mit dem Vertrag sehr gut gefahren. Eine Europa-Diskussion gibt es nicht mehr. Die Frage ist im Gegensatz zur Schweiz geklärt. Ein EU-Beitritt ist nicht nötig, der freie Marktzutritt in das Euroland ist gesichert.

Auch in der Vorsorge ist Liechtenstein der Schweiz überlegen. Die Sozialwerke, die sich stark an das Dreisäulenprinzip der Schweiz anlehnen, sind solide finanziert. Bei der ersten Säule, der AHV, wird zurzeit gar eine 13. Rente, ein sogenanntes Weihnachtsgeld, ausbezahlt, das sich in der Höhe an der letzten Rentenauszahlung orientiert. Und weil sich am Horizont eher düstere Wolken in der Finanzierung ankündigen, haben Regierung und Parlament eine Revision an die Hand genommen, die schon in weniger als zwei Jahren umgesetzt sein soll.

Die Gesetzesrevision ist ambitionierter als alle in den letzten 20 Jahren in der Schweiz versuchten Revisionen. Das Eintrittsalter wird auf 19 Jahre gesenkt. Die Spareinlagen werden deutlich erhöht, sodass mit einem recht hohen Rentenniveau gerechnet werden kann.

Sorgen bereitet den Liechtensteinern lediglich die Bürokratie des Schweizerischen BVG-Sicherheitsfonds, der im Insolvenzfall die Vorsorgegelder absichert. Liechtenstein ist dem Fonds 2009 beigetreten, weil es als kleines Land in dieser Frage überfordert wäre. Im Gegenzug musste das Land schweizerische Gesetzesbestimmungen übernehmen, was nun die Gesetzesrevision belastet.

Bundesrat Berset will sein Projekt «Vorsorge 2020», die eigentliche 11. AHV-Revision, bis in fünf Jahren endlich umgesetzt haben. Bis dann werden die Liechtensteiner ihre aktuelle Revision wohl bereits wieder revidiert, den dannzumal aktuellen Gegebenheiten angepasst haben. Ein Blick über die Grenzen nach Liechtenstein würde sich also lohnen, vor allem für die Parlamentarier, die sich schwertun mit dem Projekt Berset.

17 Kommentare zu «Was die Schweiz von Liechtenstein lernen kann»

  • Hans Häberli sagt:

    Sie wollen mir im Ernst ein Land als Vorbild aufs Auge drücken, in welchem ein Fürst mit Wegzug nach Österreich droht, wenn er nicht seinen Willen bekommt?

    • Frank Zuffnik sagt:

      Genau. Und bei uns drohen die Konzerne zu bleiben, wenn deren Interesse nicht gewahrt werden. Und bei den Steuern ist es mit den Reichen genauso. Drohungen der Maechtigen in einer Demokratie, in der Schweiz natuerlich voellig undenkbar!

    • August Sommerhalder sagt:

      Das Fürstenhaus lebt zumindest nicht vom Steuerzahler – es erwirtschaftet seinen Bedarf auf privater Basis und das finde ich vorbildlich – ein Privileg bezüglich Mitsprache ist zu akzeptieren.

  • Patrick Tanner sagt:

    1995 gelang es den liechtensteinischen Unterhändlern einen EWR-Vertrag mit einer strikten Zuwanderungsbegrenzung mit der EU auszuhandeln. Was 1995 dem machtlosen Zwergstaat Liechtenstein gelang, erreichten 1992 die CH-Unterhändler nicht, weil es damals ihr erklärtes Ziel war, die Schweiz raschmöglichst zum EU-Mitglied zu machen. In Liechtenstein werden pro Jahr nur gerade mickrige 30 Niederlassungsbewilligugen an EU-Bürger verlost (ja richtig verlost). Hätten die CH-Unterhändler 1992 die Schweiz nicht in die EU führen wollen, hätte die Schweiz auch eine Zuwanderungsbegrenzung aushanden können.

    • Georg Merkl sagt:

      Ständig Tatsachen zu verschweigen und die Unwahrheit zu verbreiten, macht Ihre Aussagen nicht wahrer. Liechtenstein darf gemäss dem EWR-Vertrag die Anzahl der Arbeitsgenehmigungen für EU- und EWR-Bürger um in Liechtenstein zu arbeiten nicht mit einer Quote begrenzen und muss diese auf dem Arbeitsmarkt gleich behandeln (kein Inländervorzug). Wegen der Kleinheit des Landes kann man zu jedem Arbeitsplatz in Liechtenstein pendeln. Liechtenstein kann nur das Wachstum der Bewilligungen um in Liechtenstein zu wohnen begrenzen. Nicht arbeitende Familienangehörige fallen übrigens nicht in die Quote.

      • Patrick Tanner sagt:

        O-Ton Ausländer- und Passamt Liechtenstein: „Insgesamt werden jährlich 28 Aufenthaltsbewilligungen für erwerbstätige EWR-Bürger und 8 Aufenthaltsbewilligungen für nichterwerbstätige EWR-Bürger verlost. Das Auslosungsverfahren wird zweimal jährlich, jeweils im Frühling und im Herbst, durchgeführt.“
        Werter Herr Merkl, ich glaube alle meine Aussagen zur NIEDERLASSUNG in Liechtenstein (habe nichts von Arbeitsbewilligung geschrieben) stimmen vollumfänglich. Das hätte die CH 1992 auch aushandeln können. Zudem hat sich die Anzahl CH-Grenzgänger seither verfünffacht, in Liechtenstein nur verdoppelt.

      • Sepp Manser sagt:

        @Merkl: Liechtenstein lagert sein Zuwanderungsproblem einfach elegant in die CH aus: all die Deutschen wohnen einfach ennet dem Rhein und nicht etwa in Österreich, wahrscheinlich, weil die Luft bei uns besser ist…

    • Hans Käslin sagt:

      Das haben Sie ganz klar erkannt und schön beschrieben.
      In den Medien wird Ihre Erkenntnis aber ziemlich konsequent verschwiegen.
      Wenn offen darüber berichtet würde wäre nämlich, bös gesagt, klar das die Machthaber in der Schweiz unser Land verkauft und verraten haben. Das gleiche Spiel geht mit der Verschleppung und der Nichtumsetzung unangenehmer Initiativen weiter.
      Leider hat die FDP bereits die Nase wieder zu hoch somit muss man unerfreulicherweise weiter SVP wählen um hier Zeichen zu setzen.

      • Patrick Tanner sagt:

        Sie haben vollkommen recht, lieber Herr Käslin. Ich bin als langjähriges FDP-Mitglied seit 1995, als die FDP-Delegierten in Interlaken mehrheitlich für einen EU-Beitritt votierten und aktuell die schleichende EU-Integration der Schweiz mittels Bilateralen unterstützen, von der FDP schwer enttäuscht, recht desillusioniert und verunsichert, welche Partei ich im Herbst wählen soll. Ich werde ECOPOP-Unterstützer resp. -Mitglieder, wahrscheinlich einige SVPler (contrecoeur) und möglicherweise wenige FDP-Mitglieder wählen.

        • Patrick Albreht sagt:

          Dann wähl doch GLP, wirtschaftsorientiert, nicht für einen EU Beitritt und erst noch grün 🙂

  • D. Keller sagt:

    FL kann als EWR Mitglied die Zuwanderung beschränken, währenddessen unser BR krampfhaft Argumente sucht, die Zuwanderung sei (notabene als Nichtmitglied von EU und EWR) nicht einschränkbar.
    AHV: die Schweiz macht leider immer Reformpäckli, die zuviel Zeit benötigen, und am Ende wenig Reform beinhalten. Gleiches Rentenalter von Mann und Frau wäre vom Volk schon lange angenommen worden.

  • Sprenger Urs sagt:

    Liechtenstein als Vorbild? Gute Frage, aber die skizzierte Antwort von A. Schlatter ist zu holzschnittartig. Als Liechtensteiner weiss ich, dass Liechtenstein mit Reformen, in allen Politikfeldern, in der Regel grosse Mühe hat. Der Erbprinz mahnt die Politik wiederkehrend und fordert verstärkt Reformen ein, wenn er seine fürstl. Reden hält (Eröffnungsrede für Landtag im Februar/März und Rede zum Nationalfeiertag am 15. August). In der Regel verpuffen die Appelle. Die Regierung ist mutiger als das Parlament, das in der Regel die Reformen zurechtstutzt oder ablehnt. Umgesetzt ist etwas anderes.

  • Dominik Friedli sagt:

    Lichtenstein ist wie eine kleine Schweiz, einfach ohne Scheuklappen und ohne nationalistische Indoktrination. Das Ländle ist lösungsorientierter und weniger überheblich als die CH. Darum haben sie Heute eine geregelte und gut laufende Situation. Bei unserem Land sollte man den Reset-Knopf drücken können.

  • Ein Land das nicht Milliarden für Landesverteidigung ausgibt kann diese Summe für Soziales ausgeben. Das könnte die Lösung sein !

  • Ein Land das keine Milliarden für die Landesverteidigung ausgibt kann dies Mitel für Soziales zur Verfügung stellen. Sollte jedem klar sein !

  • Michael Berger sagt:

    Die Schweiz unterscheidet sich erheblich von Lichtenstein, weshalb Vergleiche und „Lernen“ schwierig sind.
    – Lichtenstein ist eine Monarchie, mit gewissem Mitspracherecht der Bevölkerung und einem Vetorecht des Fürsten.
    – Das Grössenverhältnis (Bevölkerung) Schweiz-Lichtenstein ist etwa so gross wie das zwischen China und der Schweiz.
    – Die geringe Grösse, also die totale politische Bedeutungslosigkeit, hat aussenpolitisch auch Vorteile: Für die EU ist möglich, Ausnahmen zu machen, ohne die eigenen Mitgliedsländer in relevanter Weise zu benachteiligen.

    • Remo Vogt sagt:

      Wir sind wir politisch nicht so Beteutungsvoll wie die Schweiz, aber wir schreiben Liechtenstein dafür mit „ie“.

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