Mutlos tönen sie alle
FDP – die Liberalen» stand kürzlich über einem kleinen Wahlkampfinserat im «Tages-Anzeiger». Darunter sah man eine Frau, die wieder in den Kantonsrat will. Sie pries sich so an: «Engagiert. Überzeugend. Liberal.»
Oh weh. Da fällt einer Kandidatin zu sich selber schon beim dritten Adjektiv nichts Originelles mehr ein. Dass sie liberal ist, darf man doch wohl erwarten, wenn sie bei den Liberalen mittut. Auf der andere Seite des politischen Spektrums machen sie es auch nicht besser. Die grünen Kandidaten des Bezirks Meilen werben für sich in ihrem Prospekt: «Nachhaltig, sozial, grün.»
Im kantonalen Wahlkampf sind die Kandidatinnen und Kandidaten Gefangene der Sprache. Geiseln der eigenen Angst, in der Kommunikation mit dem Wähler von der Norm abzuweichen. Kreativität und Lächerlichkeit sind bekanntlich Nachbarinnen, und also meidet man jedes Wort, das sich nicht mehrfach bewährt hat in früheren Peinlichkeitstests.
Eine gewisse Ödnis des Ausdrucks ist im Wahlkampf programmiert.

Duschen mit Doris: Leuthards «erfrischender» Wahlkampf für den Ständerat 1999. Foto: Christian Beutler (Keystone)
Hat sich je ein Kandidat einer ernsthaften Partei «wild» genannt? Zurückhaltend? Hungrig? Nachdenklich? Lustig? Getrieben? Vorsichtig? Beschaulich? Froh? Heftig? Munter? Intensiv? Jedes dieser Wörter führt in den Abgrund. Wenn einer sich selber als «heftig» beschreibt, hat man den Verdacht, er könnte eine Zeit in der Klinik gesessen haben. Bei «vorsichtig» wittert man einen Angsthasen. «Intensiv» deutet auf Distanzlosigkeit; man erinnert sich an die Coiffeuse, die einen halb zu Tode redete.
Eine gewisse Ödnis des Ausdrucks ist im Wahlkampf programmiert. Das belegen folgende Selbstschilderungen dieser Tage:
- Engagiert. Man denkt dabei an die Courage von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Aber heutzutage sind ja praktisch alle Leute dieser Gesellschaft engagiert; auch der Metzger, der einem mitteilt, die Schnitzel vom Nierstück seien derzeit Aktion. Jeder Hundertjährige hat mehr Schwung als das einst so starke Adjektiv aus Frankreich.
- Nachhaltig. Das grösste Fetisch-Adjektiv der heutigen Zeit. Die Politiker, die es anwenden, betonen ihre Zukunftstauglichkeit. Dass man denken könnte, ihre Arbeit bewirke bloss kurzlebige Provisorien, wäre für sie das Allerschlimmste. Doch auch «nachhaltig» langweilt nur noch. Schön wäre, wenn ein Politiker einmal die Dialektvariante von «nachhaltig» vorbrächte: «Was ich im Kantonsrat agattige, das verhebet.»
- Gestalten. Ob es um die Bauordnung im Limmattal, die Kantonsfinanzen oder das Verhältnis zur Wirtschaft geht: Politiker vermarkten sich als Gestalter. Das klingt weniger flach und weniger aggressiv, als wenn sie sagen würden, sie seien «Macher». Die betont sozialen Exemplare nennen sich: «Mitgestalter». Andere, die dem reinen Verb nicht trauen, paaren es mit einem Adverb und fabrizieren einen Pleonasmus: Die Zukunft, das neue Shoppingcenter, die Spitalplanung wollen sie «aktiv gestalten».
- Ich stehe ein für. Selten sagt ein Kandidat von sich: «Ich bin für …». Das wäre statisch. «Einstehen» hingegen ist dynamisch. Es tönt nach Rütlischwur, passt zum Forumscharakter der Demokratie: Man tritt vor ins Sichtbare, bekennt sich und verficht sein Anliegen. Auch wenn es am Schluss nicht um Widerstand gegen einen brutalen Vogt geht, sondern um die Optimierung der Busanschlüsse im Zürcher Unterland.
Die Politikerinnen und Politiker haben gelernt, dass sie sich selber als Menschen einbringen sollen. Daher schreibt der eine im Wahlkampf: «Als Unternehmer weiss ich, dass…» So stellt er sein Politisieren auf eine glaubwürdige Basis. Ein anderer sagt: «Mit Herz und Verstand setze ich mich seit Jahren ein für…» Da will einer demonstrieren, dass er kein Technokrat ist, sondern ein Mann mit Gefühl.
Das ist alles nicht besonders schlimm; es ist der Jargon der Durchschnittspolitik. Aber wie langweilig diese Leute in der Regel klingen. Man ist dann schon dankbar, wenn eine grüne Kandidatin dieser Tage den vergleichsweise farbigen, etwas kindlichen, rätselhaft schillernden Satz wagt: «Vermehrt vegan kochen bewirkt viel – und fördert erst noch die Kreativität.»
12 Kommentare zu «Mutlos tönen sie alle»
Sehr treffend Herr Widmer, bei bald jeder Wahl.- oder Abstimmungsdiskussion, könnte man das Band von irgendwann einlegen,
ausser ein paar „modernere“ Inwörter immer die gleiche Leier.
Die Talks kann man auch nicht Ernst nehmen, ist nur schlechte Unterhaltung auf kosten der Zuschauer.
Genau, deshalb finde ich es eine sinnlose Umweltverschmutzung und oft auch noch eine Verkehrsgefährdung diesen unsäglichen Plakatwald nicht ganz zu verbieten. Es gibt genug Möglichkeiten um sich in den Medien bekannt zu machen!
man kann die plakat- und inserat-banalitäten auch ins gegenteil verkehren, um ihre sinnlosigkeit zu demonstrieren: „kompetent“, „sozial“, „ehrlich“ sind ja wohl selbstverständlichkeiten, wenn nicht voraussetzungen für ein öffentliches amt – oder würde sich eineR etwa als inkompetent, asozial und unehrlich anpreisen?
Liebe Frau Marty, stimmt! Hätte einen eigenen Absatz verdient. Vielen Dank für die Ergänzung.
Wahlkampf gehört ebenso wie alle nichtöffentlichen Eigenschaften eines Kandidaten nicht zur Politik (= Gesamtheit aller Massnahmen und Visionen, welche auf die Zielgrösse Gemeinwohl gerichtet ist).
Wenn ein Kandidat sein Privates meint präsentieren zu müssen, könnte es vielleicht sein, dass er politisch nichts zu bieten hat. Handwerklich überzeugende Politiker (siehe A.Merkel aktuell) geben auch auf Nachfrage keinen Einblick in ihr Privatleben.
Warum will jemand Politierk werden? Warum will sich jemand wählen lassen? Warum lässt sich jemand fotografieren, klebt sich dann auf eine Karton und glotzt dannd auf einer Kuhfladenwiese vorbeifahrende Automobiliesten an? Die Psychologie der Kandidaten lässte Abgründe erahnen. Da müssen nichteinmal abgelutschte Begriffe darauf hindeuten. Zwar, einer war originell, der wollte wissen, was er für mich tun könnte. Scheint, als schliefe die Person in einem Superheldenkostüm. Lässt auch Abgründe erahnen.
Da hat der Autor doch übersehen, dass Regierungsratskandidat Markus Bischoff mit „MEHR PFUPF“ wirbt.
Sie haben recht, Herr Meier. Und der ist gut!
Politwerbung ist eine sehr spezielle Kunst die mir aber gar nicht liegt. Zur Wahl nimmt man Smartvote, streicht die ersten fünf Plätze um den Tunnelblick zu vermeiden. Dann konsultiert man für ein paar persönlich wichtige Sachtehmen der letzten Legislatur die Ratsvoten der restlichen Kandidaten um zu verstehen wie sie ticken und welche Lobby sie vertreten. Danach den leeren Stimmzettel ausfüllen, fertig. dazu brauch ich kein Plakat, keine Inserate und keine Gratiszetungen. Das Internet machts.
Sollte man nicht besser über ‚Kriegsschuld‘ reden als damaliger wie heuriger ‚Zwischenhändler‘?
Zeit, der Geschichte ins Auge zu blicken anstelle ein ‚Gomorrha‘ zu inszenieren (Marignano)…
Das ist alles gar nichts. Im Bezirk Uster ist ein Kandidat namens Benjamin Fischer, der ist, man lese und staune: „Jung und konsequent“ Nein, ich verrate nicht, für welche Partei Fischer in den Kantonsrat will.
Und immer wieder sehen, hören und fühlen wir die Bürger dieses fantastischen Landes wie wichtig die freie Demokratie doch sei und wie wichtig der Zusammenhalt des Volkes für die Werte einzustehen. Langsam aber sicher glaube ich den Politikern die von den Plakatwänden lächeln / strahlen kein Wort mehr. Für die Politiker steht im Vordergrund sich in Stellung zu bringen damit sie in Zukunft die finanziellen Vorteile sei es in der Politik „durch die Lobby gekauft“ oder aber bei ihren Abgängen bei einem grossen Wirtschaftsunternehmen sich einquartieren zu können in prioritärem Sinne steht.