Wie Zürich im April, so die Schweiz im Oktober

In wenigen Tagen wählen die Zürcherinnen und Zürcher ihr Parlament für die kommenden vier Jahre. Die Resultate dieses Urnengangs werden aber auch in der übrigen Schweiz mit Spannung erwartet. Dies nicht allein, weil die Machtverhältnisse im bevölkerungsstärksten Kanton der Schweiz an sich interessieren. Sondern auch, weil ein Gemeinplatz besagt, dass die Entwicklung der Zürcher Kräfteverhältnisse bereits im April erahnen lässt, welche Parteien in den Nationalratswahlen gewinnen oder verlieren werden.

Doch was taugt der Kanton Zürich als Barometer der eidgenössischen Grosswetterlage? Eine systematische Evaluation der Zürcher «Prognosen» der letzten 30 Jahre zeigt, wie es sich damit verhält.

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Die Grafik zeigt die Entwicklung der Wähleranteile der acht grössten Parteien in den Zürcher Kantonsratswahlen und den gesamtschweizerischen Nationalratswahlen seit 1987. Befinden sich beide im selben Farbbereich, so antizipierten die Zürcher Aprilwahlen landesweite Gewinne und Verluste der Parteien im Herbst, das heisst den Trend. Je näher die Punkte in einem Jahr beieinanderliegen, desto geringer war die Abweichung zwischen den Zürcher und den gesamtschweizerischen Veränderungen.

Nimmt man den Trend als Massstab, ist dem Zürcher Barometer ein ausgezeichnetes Zeugnis auszustellen. Nur in sechs von 45 Fällen änderten sich die Wähleranteile in den Kantonsratswahlen nicht in dieselbe Richtung wie sieben Monate später in der Schweiz: Das entspricht einer Trefferquote von respektablen 87 Prozent. Besonders in den drei letzten Wahljahren war die Trendprognose sehr zuverlässig: Nur einmal, nämlich 2011, verschätzten sich die Zürcher bei den Grünen ganz knapp. In den turbulenten 90er-Jahren versagten sie hingegen: Eine Trefferquote von 50 Prozent wie 1991 und 95 ergibt sich auch bei zufälligem Tippen. Wählerverluste werden im Übrigen etwas zuverlässiger prognostiziert als Gewinne. Das liegt auch daran, dass es bei der FDP, der CVP und der EVP recht kontinuierliche Abwärtstrends gibt.

Unterschiede bestehen auch zwischen den Parteien: Die Zürcher Kantonsratswahlen haben den eidgenössischen Trend bei der SVP und der SP stets vorweggenommen. Dasselbe gilt für die GLP und die BDP, was freilich nicht allzu viel heissen will, weil sie erst seit kurzem existieren. Bei der FDP und der CVP lag der Kanton Zürich in einem von sieben Fällen daneben. Am seltensten wurde der nationale Trend bei den Grünen und der EVP antizipiert.

Eine Prognose für den Herbst lässt sich jetzt schon machen.

Die gleiche Windrichtung: Flaggen auf dem Zürcher Hauptbahnhof. Foto: Keystone

Die gleiche Windrichtung: Flaggen auf dem Zürcher Hauptbahnhof. Foto: Keystone

Das Beispiel der EVP zeigt allerdings auch, dass die Trendvorwegnahme ein unfairer Massstab der Prognosequalität gerade bei einer Partei mit einer sehr stabilen Wählerschaft sein kann. Verwendet man nämlich die Abweichung zwischen den beiden Resultaten als Mass, so ist diese im Durchschnitt bei ihr am geringsten. Kein Wunder, bei einer Partei, die jeden vierten Schweizer Wähler im Kanton Zürich hat. Schon eher erstaunlich ist, dass die Entwicklung des Wähleranteils der CVP auf nationaler Ebene fast so gut antizipiert wird (im Schnitt weniger als ein Prozentpunkt Abweichung), obwohl kaum ein Zehntel der Wählerschaft dieser Partei im Kanton Zürich wohnt. Am grössten sind die durchschnittlichen Abweichungen nicht von ungefähr bei der SVP und der SP, weil bei ihnen die Wähleranteile öfters stark schwankten. Aber auch bei diesen unterscheiden sich die kantonalen Frühjahresbewegungen im Schnitt um weniger als 2 Prozentpunkte von den nationalen.

Eine Prognose lässt sich so für die Nationalratswahlen im Herbst deshalb jetzt schon machen: Am 12. April wird es sich tatsächlich auch für den Rest der Schweiz lohnen, die Botschaft der Zürcher Wählerschaft zur Kenntnis zu nehmen. Und dies nicht nur, weil sie sich im Lauf des Sommers selten umbesinnt, etwa ein Sechstel der schweizerischen Wählerschaft ausmacht und deshalb einen erheblichen Einfluss auf das gesamtschweizerische Resultat hat. Sondern auch, weil trotz der föderalistischen Fragmentierung der Politik in unserem Land eben doch auch gesamtschweizerische Umwälzungen in der Parteienlandschaft ablaufen, die im exemplarisch vielfältigen Kanton Zürich einfach einige Monate früher sichtbar werden.

6 Kommentare zu «Wie Zürich im April, so die Schweiz im Oktober»

  • Philipp M. Rittermann sagt:

    angesichts des anhaltenden „ausverkaufs“ der ch, wähle ich svp; auch wenn ich nicht immer und überall mit den partei-direktiven einverstanden bin. wir müssen das „bewusstsein schweiz“ unbedingt wieder stärken.

    • Leser sagt:

      Also um den Ausverkauf zu Stoppen die Schweiz gleich den übelsten Verkäufern von allen in die Hand legen.

      Super Idee Herr Rittermann…

    • Martin Schmid sagt:

      @Rittermann. Da wählen Sie aber die Falschen. Die SVP soll den Ausverkauf der Schweiz verhindern? Das ist ja zum Lachen. Wer war denn gegen die Zweitwohnunginitiative und gegen das Raumplanungsgesetz? Wenn es nach der SVP geht, dann darf jeder überall bauen. Wer will einen neuen Gotthardtunnel bauen? Der SVP ist es recht, für den Bau eines neuen Tunnels (für Europa) den Alpenschutz zu untergraben (und kommen Sie mir nicht mit dem Märchen von der einspurigen Befahrung). Wer hat möglichst viele billige Arbeitskräfte für die Landwirtschaft importiert und will das auch weiter tun?

    • sepp z. sagt:

      Rittermann, kennen Sie die Geschichte der Zerschlagung der Lonza durch SVP Blocher und Ebner und den Ausverkauf der Filetstücke ins Ausland, zum Beispiel das lukrative Wasserkraftwerk, das Blocher nach Deutschland verkauft hat? Gehört heute noch deutschen Investoren, und die Lonza muss die Energie teuer einkaufen. Blocher konnte dafür kurzfristig als Grossaktionär die Rendite einstreichen. Genau so verschachern SVP-Schergen tagtäglich Schweizer Grund, Anlagen und Firmen ins Ausland. Mit Ihrer Unterstützung als echter Schweizer, Herr Rittermann. Besten Dank.

  • Peter Zürcher sagt:

    angesichts der anhaltenden “vergiftung” der ch durch die svp, wähle ich fdp, glp,cvp, gp, sp, evp, etc; auch wenn ich nicht immer und überall mit deren partei-direktiven einverstanden bin. wir müssen die “demokatische schweiz” unbedingt wieder stärken.

  • J.Lerch sagt:

    Ich schliesse mich dem Votum von Sepp Z voll und ganz an. Deshalb wähle ich wähle ich sorgfältig und bewusst und ganz sicher nicht SVP.

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