Wahlbörsen sind eine Bereicherung
Bevölkerungsumfragen zählen zum Ritual von modernen Wahlkampagnen. Sie werden nicht nur von den Kandidierenden mit Argusaugen beobachtet, sondern stossen auch in der Öffentlichkeit auf ein breites Interesse. Informationen über den aktuellen Stand des «Rennens» zeichnen sich durch einen hohen Nachrichtenwert aus. Sie sind wertvoll für Parteien, Verbände, Journalisten und Experten und liefern einen unmittelbaren Input für den demokratischen Diskurs. Die Analyse und Reaktionen tragen zudem dazu bei, politische Prozesse und die Meinungsbildung zu verstehen – allenfalls auch zu verbessern.
In der Schweiz stehen Bevölkerungsumfragen bei vereinzelten Volksabstimmungen im Kreuzfeuer der Kritik. Die öffentliche Debatte dreht sich jeweils um die vermeintlichen Fehlleistungen der Demoskopie. Als im November 2009 zur allgemeinen Überraschung die Minarettinitiative angenommen wurde, entlud sich ein Sturm der Entrüstung über das Meinungsforschungsinstitut GFS Bern. Dieses hatte im Rahmen seiner zweiten Trendumfrage eine Ablehnung von 53 Prozent und eine Zustimmung von 37 Prozent ermittelt.
Ein Plus von 1,5 Prozent kann nicht als Zuwachs interpretiert werden.

Wenn Sie den Wald vor lauter Köpfen nicht mehr sehen, hilft eine Wahlbörse: Wahlplakate in Wädenswil. Foto: Walter Bieri (Keystone)
So sehr diese Episode einen Extremfall darstellt, der über die meist überzeugenden GFS-Umfragen hinwegtäuscht, so verweist sie doch auf Herausforderungen, mit denen sich traditionelle Umfragen konfrontiert sehen. Die sinkende Teilnahmebereitschaft und Erreichbarkeit – insbesondere von Jüngeren – schmälern die Qualität der Stichprobe, anhand derer Rückschlüsse auf die Gesamtheit der Stimmberechtigten gezogen werden. Liegt ein tabuisiertes Thema vor, stellt sich zudem das Problem von systematischen Verzerrungen in Folge unehrlicher Antworten.
Bei Wahlen ist darüber hinaus zu beachten, dass die gängigen Umfragen mit 1000 oder 2000 Teilnehmenden oft keine aussagekräftigen Prognosen in Bezug auf die Gewinne und Verluste von Parteien zulassen. Der statistische Fehlerbereich (z.B. ± 2,2 Prozent) liegt vielfach über den in der Schweiz üblichen Schwankungen der Wähleranteile. So kann ein Plus von 1,5 Prozent nicht als statistisch gesicherter Zuwachs interpretiert werden.
Als vielversprechendes Instrument bieten sich Wahlbörsen an. Diese funktionieren wie auf herkömmlichen Finanzmärkten, wobei typischerweise Wähleranteile und Erfolgswahrscheinlichkeiten von Parteien und Kandidierenden gehandelt werden. Im Gegensatz zu Umfragen geben die Teilnehmenden nicht ihre eigenen Ansichten an, sondern bilden Erwartungen darüber, wie sich die Gesamtheit der wahlberechtigten Personen entscheiden wird.
Wahlbörsen haben sich vor allem in den USA etabliert. Den Ausgang von Präsidentschaftswahlen konnten sie meist besser voraussagen als Umfragen. Dies wird damit erklärt, dass sich Wahlbörsen die kollektive Intelligenz der Teilnehmenden zunutze machen, indem sie dezentralisiert vorhandene Informationen über den Preismechanismus zusammenfassen. Da rund um die Uhr gehandelt wird, können sich unvorhergesehene Ereignisse unmittelbar auf die Kurse niederschlagen. Im Fall der US-Präsidentschaftswahlen von 2008 verhalf der Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers dem demokratischen Kandidaten Barack Obama zum Sieg.
Hierzulande fristen Wahlbörsen noch ein Schattendasein. Allerdings konnten bereits erste Erfahrungen gesammelt werden. Während im Jahre 2007 die Wahlbörse des «SonntagsBlicks» schlechter abschnitt als das GFS, erwiesen sich jene der «SonntagsZeitung» (2003) und des Schweizer Fernsehens (2007 und 2011) als genauer als die Umfragen der führenden Meinungsforschungsinstitute. In der Tendenz scheint sich also zu bestätigen, dass Wahlbörsen präzisere Ergebnisse liefern.
Sollten nun Umfragen durch Wahlbörsen ersetzt werden? Keineswegs. Wahlbörsen sind kein Allheilmittel. Vielmehr sind sie als sinnvolle Ergänzung aufzufassen. Somit sollte man das eine (Wahlbörsen) tun und das andere (Umfragen) nicht lassen.
5 Kommentare zu «Wahlbörsen sind eine Bereicherung»
Präzisere Ergebnisse? Bei einer Stichprobe von 4 Wahlbörsen!
Wahlbörse ? Die eigene Meinung kennt man, aber die Entwicklung der Volksmeinung vorauszusagen ist schwieriger. Umfragen hängen stark davon ab, wer sie in Auftrag gibt. Also soll Hr. Longchamps ruhig weiter für die SRG in die Kristallkugel schauen. Wenn der Bundesrat so weiter macht mit Asylpolitik, Energiewende und neuen Steuern gegen den Volkswillen, dann ist ein Rechtsrutsch im Herbst nur noch eine Frage des Ausmasses.
Eigentlich gibt es exakt eine definitive Methode, den Wahlausgang zu bestimmen: Die Wahl.
Der Sinn von Vorwahlen aller Art, seien es nun Prognosen oder Wahlbörsen ist einzig und allein die Manipulation: Durch die Publikation von Vorhersagen wird das Wahlverhalten geändert. Häufig (aber nicht immer) im Sinn derer, die in den Prognosen vorne liegen. Und vermutlich sind Prognosen auch leichter manipulierbar, als Wahlen, so dass der Effekt durchaus eine Rolle für den Wahlausgang spielen könnte: Die Medien, die die Prognosen publizieren, sind ja idR. im Besitz einer Interessensgruppe. Honi soit…
Aber Ihnen ist schon bekannt, dass GFS bei allen großen Vorlagen EXTREM danebenlag.
Ohne Markt, also ohne Konkurrenz, wird die Longchamp-Clique auch in Zukunft nicht glaubwürdig arbeiten und miserable Fehlprognosen liefern.
Das SP-Parteibuch genügt als Referenz nicht.
Das Problem ist doch, das indirekt das GFS durch die SRG mitfinanziert wird. Und aus meiner Sicht ist dies kein notwendiger „Service Public“, dies ist die Hauptkritik! Ich muss also über die Gebühren etwas bezahlen, was ich nicht will, gut dies ist bei der SRG noch bei vielem so, aber es ist auch schädlich für die politische Integrität der Anstalt. Wenn der Blick oder der Tagesanzeiger eine Umfrage macht dann bezahle ich dies nur wenn ich die Zeitung kaufe oder die die Plattform nutze.