Die Kunst des Vergessens
Noch nie war es so einfach, sich mit einem Mauseklick das Wissen der Welt ins Haus zu holen. Von Heraklit bis Marschallplan, von Wiener Kongress bis Börsencrash. Während die digitalen Datenberge anschwellen, scheint die Halbwertszeit der Erinnerung immer kürzer zu werden. Im Hochwasserschutz – eines meiner früheren Arbeitsgebiete – rechnet man mit einem Erinnerungsfenster von rund vier Jahren. Gelingt es in dieser Zeitspanne nicht, wirksame Schutzmassnahmen zu beschliessen, dann sinkt das Interesse daran rapid.
Ähnlich kurzfristig geht es in der Politik zu und her. Doch hier ist das Vergessen keine Laune des Alltags, sondern eine Kunst, die bewusst gepflegt wird. Von FDP-Präsident Philipp Müller zum Beispiel. Er lobt in ganzseitigen Inseraten (Kostenpunkt rund 50‘000 Franken) die Verdienste von Margret Thatcher. Was er geflissentlich vergisst: Als die Eiserne Lady im November 1990 nach elfjähriger Amtszeit von ihrer eigenen Partei zum Rücktritt gezwungen wurde, waren fast sieben Millionen Menschen in England von der Sozialhilfe abhängig, 60 Prozent mehr als 1979. Die Infrastruktur war am Zerfallen, die Kriminalität steigend und das Land – ähnlich wie Griechenland heute – am Rande einer sozialpolitischen Revolution. Einzig die deregulierte Finanzindustrie blühte. Doch die fatale Abhängigkeit von den Banken erwies sich in der Finanzkrise 2008 als Bumerang.
Wir müssen der Kunst des Vergessens die Kunst der Erinnerung entgegen setzen.

Kinder aus der Gegend um Fukushima werden nach der Reaktorkatastrophe aus Radioaktivität untersucht. Bild: Reuters
Genau diese Finanzkrise hat wiederum Sergio Ermotti, der mit Boni dekorierte Chef der UBS, mit Bedacht vergessen. In einer «Deregulierungspredigt» forderte er kürzlich Steuersenkungen für die Wirtschaft, mehr Freiheiten für die Banken und den Abbau von Kontrollen. Vergessen offenbar die Zeiten, als eine spekulationsgesteuerte und aufgeblähte UBS die Schweizer Volkswirtschaft an den Rand des Ruins brachte und nur durch ein Hilfspaket des Staats gerettet werden konnte. Vergessen die Zeiten, als sich die Wirtschaftsprofessoren aller Länder die Augen rieben und über «Marktversagen» in der Finanzwelt klagten – ein Wort, das vor 2008 nur wenige in den Mund zu nehmen wagten. Vergessen die Geschäfte mit Steuerbetrügern oder Libor-Zinsmanipulationen, die nur dank hartnäckig recherchierenden Journalist/innen endlich ans Tageslicht kamen. Nach sieben Jahren Krisenaufwischarbeit soll nun offenbar alles wieder von vorne beginnen. Oder wie Heraklit es ausdrücken würde: Ermotti und Co. erwarten von uns, dass wir erneut in den Fluss des Kasinokapitalismus steigen und fröhlich auf das nächste Hochwasser warten.
Mit organisiertem Gedächtnisschwund arbeitet auch die Atomindustrie. Was wurde nach der Atomkatastrophe von Fukushima am 11. März 2011 nicht alles versprochen. Noch rund 30 Jahre wollten SVP-Vertreter kurz von den eidgenössischen Wahlen die alten AKW laufen lassen. «Es geht nicht mehr um die Frage, ob die Schweiz ohne Atomstrom auskommt, sondern wann», bekannte CVP-Präsident Christoph Darbellay in einer emotionalen Rede und sprach sich mit 112 der aktuellen Nationalratsmitglieder für einen Atomausstieg bis 2034 aus. Doch die Halbwertszeit politischer Versprechen ist sehr viel kürzer als die von radioaktivem Müll. Heute will eine Mehrheit des Parlamentes von einem verbindlichen und raschen Ausstieg nichts mehr wissen. Manch einer hofft sogar auf eine Renaissance der Atomenergie. Um solche ökologischen und finanziellen Fehlentwicklungen zu verhindern, gibt es nur eins: Wir müssen der Kunst des Vergessens die Kunst der Erinnerung entgegen setzen. Und dann endlich die Weichen in die Zukunft stellen.
25 Kommentare zu «Die Kunst des Vergessens»
TBTF Grossbanken sind zusammen mit SNB und Finma das Politbüro, das zusammen mit den Multis die Politik regiert; sie müssen immer gerettet werden, weil sie mit dem von der SNB delegierten Geldmonopol die alleinige Macht über das Geld haben. Liegt aber das Geldmonopol in privater Hand ist die Demokratie nur noch eine Farce, das Steuer- und Gewaltmonopol wird ja auch nicht an Private delegiert.
An den Atomausstieg hat ja wohl nicht wirklich jemand geglaubt, oder?
Oh Nein, vergessen tun wir nicht! Doch wir sind offen für neue Erkenntnisse.
Z.B. kennen wir heute die Risiken von Leichtwasserreaktoren dank den beiden bisherigen Kernschmelzen in Harrisburg und Fukushima viel besser. (In Tschernobyl wurde ein ganz anderer Reaktortyp eingesetzt.) Verstrahlungen von Menschen sind dank guten Messmöglichkeiten sehr unwahrscheinlich. Mehrfach abgesicherte äusserst sichere Notkühlungen müssen zudem über längere Zeit die Verbreitung von Radioaktivität durch den Wind verhindern. In Harrisburg konnten so Evakuierungen vermieden werden.
Wir haben zudem festgestellt, dass Photovoltaik in der Schweiz fast nichts bringt. Im Sommerhalbjahr haben wir Stromüberschuss wegen unseren viel Wasser führenden Flüssen. Jede dann zusätzlich prod. kWh ist wertlos. Zeitweise bezahlen die Stromprod. sogar dafür, dass sie ihren Strom aufs Netz bringen dürfen. Im Winterhalbjahr importieren wir hauptsächlich aus Frankreich (Kernkraftwerke) und Deutschland (fossile Kraftwerke) viel Strom. Nur mickrige 0,2% der Stromproduktion konnten wir 2014 mit PV im Winterhalbjahr abdecken. Realistisch gerechnet ist Strom aus PV in der Schweiz horrend teuer.
Bereits 85% der Weltenergieprod. stammt aus fossilen Quellen. Es ist kaum zu glauben, aber seit Fukushima steigt dieser Anteil noch. Anstatt schrittweise auf die Nicht Fossilen Energiequellen umzusteigen, schauen wir machtlos und unbegreiflich träge zu, wie deren Anteil Jahr für Jahr bedenklich abtaucht. Die schrittweise Ablösung der fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Energie und Kernenergie dürfte eine der grössten Herausforderungen der Menschheit sein. Wären die Grünen wenigstens nicht so dogmatisch gegen Kernkraftwerke der kommenden 4.Gen und der Kernfusion „chönnt me ja rede mitenand“!
Herr Jorns, wenn Sie schon offen für neue Erkenntnisse sind und behaupten PV-Energiegewinnung bringe fast nichts, empfehle ich Ihnen, die ETH-Forschungsergebnisse unter dem Stichwort 2-SOL zur Kenntniss zu nehmen.
@Peter Krummbuckel; Photovoltaik erzeugt 75% des Stroms im Sommerhalbjahr. In Ländern mit Strombedarf im Sommerhalbjahr ist sie sinnvoll. Die Leistungsfähigkeit von Akkus in Elektrofahrzeugen wird gemäss den Experten deutlich besser. Die dann zu erwartende Elektrifizierung des Strassenverkehrs braucht ungefähr soviel Strom, wie heute unsere Kernkraftwerke produzieren. Dann wird Photovoltaik auch in der Schweiz sinnvoll. Im Hinblick auf diese Entwicklung ist das 2SOL-Systems der ETH lobenswert. Forschungsgelder werden da gut eingesetzt. Doch ohne die Kernenergie oder Stromimport geht es nicht.
Sorry: Es sollte @Werner Aebischer heissen
Frau Rytz verkennt, dass die technologische Entwicklung exponentiell ist, kriegt man heute für 1’000 $ einen Rechner mit 10^10 RPS (Rechenschritte pro Sekunde), werden es 2020 10^16 RPS sein, was ca. dem menschlichen Gehirn entspricht, gemäss dem renommierten Zukunftsforscher Ray Kurzweil ab 2050/60 einer, der sämtliche menschlichen Gehirne der Welt zusammen übertrifft. Jetzt, mit unserer Technologie die Weichen für 2050 zu setzen ist in etwa so sinnvoll, wie wenn vor 150 Jahren die Schweiz mit Dampfmaschinen zugepflastert worden wäre, da sie ja damals „State of the Art“ waren.
Herr Meier, sie lasssen sich blenden von einem Bereich, in dem die Effizienzsteigerung tatsächlich enorm ist. Andere Bereiche haben Effiziensteigerungen im kleinen Prozentbereich. Zudem vergessen sie die Rebound- und Backfire-Effekte: Bsp wurde Beleuchtung dank der Energisparlampen billiger, das Geschäft wurde zum Massenmarkt, der Nettoverbrauch stieg und heute kämpft man gegen Lichtverschmutzung. H.Herring,Energy & Environment 11 (2000), Nr. 3, S. 313–325 Anderes Beispiel: Fernseher: Effizienzsteigerung 30-50%, aber grössere Fernseher bringen Nettoverbrauchssteigerung.
Herr Harzenmoser, Energiesparlampen sind natürlich Habakuk und Quecksilberbomben, da sind LED mit einer Ausbeute von aktuell bis 200 Lumen/Watt um Welten besser und der beste Beweis dafür, dass staatlich verordneter Fortschritt meist für nichts ist, dank dem Glühbirnenverbot haben wir nun alle hochgiftige Substanzen im Haus, bravo! Solarpanels sind z.Z. auch noch Ressourcen- und Sondermüllschleudern, im Bereich der Nanotechnik sind da bestimmt noch enorme Fortschritte möglich, wieso also nun unsere Hausdächer mit Sondermüll zukleistern?
Hr. Meier, ein Faktor drei ist für mich nicht ‚um Welten‘.. und er kann auch nicht am Rebound- und Fireback-Effekt rütteln. Das ist die fette Erkenntnis In ihrer Kritik an Energiesparlampen, die ich auch nicht sonderlich liebe, gehen sie übrigens vielleicht etwas weit: 2011 waren 70% der in Deutschland in die Umwelt emittierten 6.7 Tonnen Hg aus Abgasen der Kohle- und Gaskraftwerke. Wenn man den Kohlestromverbrauch mit Energiesparlampen senkt, wird trotz der < 5mg Hg pro Birne die Quecksilberemission gesenkt. Leider zu wenig Buchstaben für dieses Thema
Ihr Beispiel von Glühbirnen spielt ca. um das Jahr 1900, nicht gerade aussagekräftig wie ich finde; wenn man noch die Lebensdauer der LED von gut 40k h berücksichtigt, sind wir schon bei Faktor 12 ggü Energiesparlampen, wenn Faktor 4 nicht relevant sein soll, wieso wurden Glühbirnen gesetzlich verboten? schon wieder ein Beweis für staatlichen Irrsinn. Bei den TV mögen Sie recht haben, aber warten wir ab, bis OLED markttauglich ist, oder das was als nächstes kommen wird; aber: ich habe nicht mehr LED als Glühbirnen, also reale Einsparung, Blog erlaubt zu wenig Zeichen, sparen ist angesagt 🙂
ich erlaube mir einen Doppelpost: Dass vermehrt Kohle- und Gaskraftwerke in D in Betrieb sind, liegt alleine am grünen Atomausstieg, schon wieder ein politischer Prozess, der meiner Meinung nach ein völliger Fehlentscheid ist, D grüne Politik gleicht immer wie mehr einem verkorksten Morgenthau-Plan. Woher kommt diese Aversion ggü Fortschritt? Mit Golden Rice könnten 500k Kinder vor Blindheit gerettet werden und 1-2 Mio Menschen müssten nicht sterben, und das jährlich (sic!), aber grüne NGO, Erklärung von Bern und Greenpeace sind dagegen, wieso?
Frau Rytz – wenn Sie schon so gewissenhaft über’s Vergessen reflektieren, so darf man auch feststellen, dass auch Ihr „organisiertes Vergessen“ die Fakten gewissentlich ausschaltet: Zum Beispiel in unserem Energiewende-Vorbild Deutschland hat sich nun das krasse Gegenteil der angestrebten ökologischen Verbesserung eingestellt:. Man hat 8 AKWs unbedacht und schnell abgeschaltet und dafür 20 CO2-Kohlekraftwerke eingeschaltet, weil die bislang 4 % (bzgl. D-Primärenergieverbrauch) an verschwindender Menge von Wind- und Solarstrom sonst gleich zu Blackouts und Versorgungsengpässen geführt hätten.
frau rytz hat vergessen,dass wegen der Zuwanderung immer mehr Strom verbraucht wird,dass unsere Natur immer mehr verschandelt wird,ich würde ihr eher die carte Noir geben
Nachdem ich dieser Frau in der „Arena“ vom letzten FreitagIn zugehört habe, würde ich sie sogar mit einer carte Rouge belohnen.
Was will eigentlich Herr Ermotti. Für ihn ist zentral, dass wir die schwächsten Vorschriften hinsichtlich Eigenkapital der Grossbanken haben. Denn es ist für die UBS unmöglich, strengere Auflagen (Swiss Finish) hinsichtlich Eigenkapitalvorschriften zu erfüllen und gleichzeitig den Aktionäre höhere Dividenden zukommen zulassen verbunden mit happigen Boni für das oberste Kader. Vergessen wir nicht, dass von den internationalen Grossbanken, die UBS wahrscheinlich die schlechtesten Direktinvestitionen im Ausland getätigt haben und ihre Verluste der Vergangenheit unmöglich wieder hereinholen können
Ich erinnere mich an die Aussagen der EWR / EU-Turbos vor dem Abstimmungskampf um den EWR-Beitritt im Herbst 1992. Der Franken würde zusammenbrechen, die Schweiz erwartet in ein paar Jahren über 20% Arbeitslose und wir müssten bis ins Jahr 2000 die EG (jetzt EU) auf den Knien bitten um aufgenommen zu werden. Ich habe dazumal ein Schreiben von meinem damaligen Arbeitgeber erhalten, dass man dem EWR unbedingt zustimmen müsste, ansonsten ginge die Schweiz unter. Ja, daran kann ich mich noch sehr gut erinnern.
Dass die Diekussion zur Aussage von Hr. Ermotti nun eine energiespezifische Debatte auslöst, wie bei Hr. Jorns, bedeutet das Problem auf ein Nebengleis zu lenken. Herr Ermotti geht es um mehr, vorweg um die Machterhaltung seiner Finanzzentrale in Richtung eines neu zu gestaltenden Feudalismus. Das Ausschalten regulierender Gremien und ein Freibrief für ein möglichst
ungestörtes Geldschieben ist die Devise. Dass dabei die Flops der Vergangenheit in der Erwartung des Vergessens, nicht erwähnt werden, hat System, da die stumme bigotte Masse die Schäden ja ohnehin zu tragen hat.
Warum bekommt eine 8,4% Partei so viele Carte Blanche in diesem Politblog zugesprochen ???
Leider fand ich diesen Artikel vom Kanal History nur in der spanischen Version.
http://pe.tuhistory.com/noticias/la-tierra-en-default-ya-consumio-mas-de-lo-que-puede-producir
Was darin zum Ausdruck kommt lässt zwar die Zukunft etwas armselig aussehen, sollte Wirtschaft, Politik und Völker noch länger ausschliesslich debatieren und sich nicht entscheiden in welche Richtung es nun besser ist zu gehen.
Im Artikel selbst kommt zur Aussage, dass ab August 2014 die globale zur Verfügung stehende Jahresgesamtenergiemenge bereits aufgebraucht war. Lustig nicht? Für alles mögliche reicht das Geld.
Im Verlauf von weiteren Gegebenheiten ist zu erwähnen, dass zwar die Wissenschaft nicht nur theoretisch, sondern in der Praxis, die Möglichkeit schaffte sich Energien des Universums umweltfreundlich, günstiger und in Ressourcen uneingeschränkt elektrische Energie zu gewinnen. Eigentümlicherweise passt dies offensichtlich nicht in ein ökonomisches Weltdenken.
Eine weitere Gegebenheit, ebenfalls real, jedes Tier weiss zu welcher Tages- und Nachtzeit seine Aktivitäten und Fähigkeiten optimal eingesetzt werden können. Der Mensch mit seinem „enormen“ Bewusstsein hat diese Fähigkeit aufgegeben.
Und Nikola Tesla? Wegen auf Gewinn ausgerichtetem Denken liess ihn sein Finanzier hängen. Dieser wollte Kupferkabel verkaufen und hatte kein Interesse an „Wireless“-Energieübertragung. So hin etwa sieht es heute ebenfalls aus.
Wir wollen Energiesicherheit und saugen den Planeten leer, Erdölderivate müssen her, Waffentechnik muss optimiert werden (Missiles), zur Gegnerbekämpfung. Weswegen kein Persona,l wenn das Säbelgerassel gerade wegen Menschen aufrecht erhalten wird?
Logisch, nicht wahr? Zudem schwimmen in Grössenverhältnissen von Kontinenten Abfälle in den Weltmeeren.
Ökologie?
Was die Erinnerungen betrifft, bin ich eigentlich mit Frau Rytz einig, nur wundert mich schon dass gerade von linker Seite so scharf gegen Kommentatoren geschossen wird welche über einen langen Zeitraum und nicht nur über eine Legislatur, zurückblicken! Gerade die Grünen haben den “ Müllers “ in den letzen Jahren massiv zugedient, wodurch tatsächlich schon viele Infrastrukturen das nachsehen haben, am besten sichtbar im Verkehr! Andere werden folgen. Den Traum, die AKW abzustellen, den können wir wohl nun begraben, ich sehe ganz einfach keine realistische, andere Möglichkeit.Selber schuld.