Gewichtete Zahlen und gewertete Regierungen

Im Vorfeld der Parlamentswahlen 2015 werden nun als Gradmesser in vielen Zeitungsartikeln gerne die Ergebnisse der Wahlen zu den kantonalen Legislativen und Exekutiven herangezogen. Dabei wird von vielen Journalisten mit sogenannten gewichteten Zahlen gearbeitet, welche vom Zentrum für Demokratie Aarau erstellt wurden. Das heisst, die Anzahl Sitze in den Parlamenten und Regierungen erhalten mehr Gewicht, je grösser die Bevölkerung des Kantons ist. Auch die Grösse des Parlaments und der Exekutive spielen bei der Auswertung eine Rolle. Mag dieses System für die Legislative ja noch einen gewissen Sinn haben, so sehe ich das bei der kantonalen Exekutive überhaupt nicht. Denn diese Art von Gewichtung und Nutzung dieser Zahlen hat verschiedene Haken:

Wer auf diese Haken nicht klar hinweist, beschriftet die Packung nicht korrekt.

KANTONSRATSWAHLEN, WAHLKAMPF, PLAKATE

Was sagen Parteistärken in kantonalen Regierungen aus? Wahlplakate in Genf. Foto: Martial Trezzini (Keystone)

Erstens ist diese Art der Gewichtung für die meisten Leser nur sehr schwer verständlich, bzw. sie merken gar nicht, dass hier nicht mit den absoluten Zahlen operiert wird. Meistens wird zwar in Kleinstschrift am Ende des Textes auf die Gewichtung und die Herkunft der Zahlen hingewiesen, wer den Artikel aber nur kurz überfliegt oder nur die Schlagzeile sieht, übersieht den Hinweis schnell.

Zweitens ist eine reelle Gewichtung der Wahlergebnisse nur schwer durchzuführen, da nicht alle Kantone die gleichen Wahl- und Sitzberechnungssysteme haben. So wird in den meisten Kantonen die Legislative nach Proporz-, die Exekutive aber nach Majorzsystem gewählt. Bei der Verteilung der Sitze für die Parlamente wenden dann einige Kantone das relativ neue Verteilsystem des «Doppelten Pukelsheim» an, während andere ältere Systeme benutzen.

Drittens kommt es durch diese Gewichtung zu einer starken Verzerrung der Tatsachen. So titelte die NZZ am 14. Oktober letzten Jahres «Die SP überholt die FDP in den Kantonsregierungen». Die Sozialdemokraten seien neu mit 27,5 Prozent der Regierungsratssitze vor der FDP (25,4 Prozent) und der CVP (17 Prozent). In absoluten Zahlen stellt die FDP jedoch 44 Regierungsräte und liegt damit vor der CVP mit 39 Regierungsräten. Die SP folgt erst an dritter Stelle mit 32 Regierungsräten. Diese Zahlen werden aber dem Leser oftmals vorenthalten, so dass er sich kein vergleichendes Bild machen kann. Das zeigt jedoch auch klar auf, wem dieses System der Gewichtung am meisten bringt: Den in den Kantonen mit grossen Städten stärker in den Regierungen vertretenen Sozialdemokraten.

Schliesslich widerspricht diese Wertung unserem Schweizer System der Gleichberechtigung der einzelnen Kantone. Es wird zum Ausdruck gebracht, dass ein Zürcher oder Berner Regierungsrat mehr wert sei als ein Regierungsrat der Kantone Glarus, Uri, Zug oder Jura. Das ist doch sehr fragwürdig.

Um es mit einem Vergleich aus dem Konsumentenschutzbereich zu sagen: Wer auf diese Haken nicht klar hinweist, beschriftet die Packung nicht korrekt.

2 Kommentare zu «Gewichtete Zahlen und gewertete Regierungen»

  • Jacqueline Gafner sagt:

    Da die überwiegende Mehrheit der Medienschaffenden dem politisch linken Spektrum nahesteht, ist nicht erstaunlich, dass die publizierten Zahlen gezielt „frisiert“ werden, ohne dies für das allgemeine Publikum ohne weiteres ersichtlich ist. Wer glaubt, dass die „Vierte Gewalt“ im Lande nicht längst selbst Politik zu machen sucht, notabene ohne jede demokratische Legitimation, sondern aus neutraler Warte informiert, berichtet, kommentiert und zensuriert, ist bestenfalls gutgläubig. Daher wäre echte Meinungsvielfalt in den Medien so wichtig, die Entwicklung geht aber exakt in die andere Richtung.

  • bernhard moser sagt:

    Und wenn schon. Dies ist wenigstens Nachvollziehbar im Gegensatz zu den Umfragen des SRF.

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.