Gut Ding will Weile haben
Nach der Tat halten die Schweizerin und der Schweizer Rat. Und das ist gut so. Am 9. Februar haben 19’000 Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger den Ausschlag gegeben, dass wir jetzt eine veritable Auseinandersetzung darüber haben, wie die Masseneinwanderungsinitiative der SVP umgesetzt werden soll. Der Bundesrat will parallel vorgehen: Bis Ende 2014 will er einen Gesetzesentwurf erarbeiten, mit dem er den interpretierbaren, nicht ganz klaren Verfassungstext verfassungskonform umzusetzen gedenkt. Gleichzeitig will er mit der EU in Brüssel darüber verhandeln, ob die Europäische Gemeinschaft einer Aufweichung der über die bilateralen Verträge vereinbarten Personenfreizügigkeit zustimmen würde. Dem Gesetz kommt eine grosse Bedeutung zu, denn die Initiative verlangt, dass der Bundesrat drei Jahre nach Annahme der Initiative den Gesetzestext ohne parlamentarische Beratung und ohne Referendumsmöglichkeit als Verordnung in Kraft setzen muss.
Diese Eile ist unschweizerisch, entspricht nicht unserer politischen Kultur. Der Verfassungsartikel zur Einführung der AHV stand 25 Jahre lang in der Verfassung, bis endlich das entsprechende Gesetz vom Volk angenommen, das beliebteste Sozialwerk der Schweiz in Kraft gesetzt werden konnte und die damals noch kargen ersten Auszahlungen an die Rentnerinnen und Rentner vorgenommen werden konnten. Für das Frauenstimmrecht brauchte es unzählige Anläufe auf kantonaler und eidgenössischer Ebene, bis es 1971 endlich auf eidgenössischer Ebene zum Durchbruch kam. Es dauerte aber noch zwanzig Jahre, bis in allen Kantonen die Frauen wählen und abstimmen konnten. Und die Mutterschaftsversicherung – ein stiller Rekord – brauchte beinahe 60 Jahre, bis sie endlich von der Verfassungswirklichkeit zur Gesetzesnorm wurde. Gut Ding will Weile haben. Damit sind wir, eben gerade deshalb oder trotzdem, ausserordentlich gut gefahren.
Diese Eile ist unschweizerisch und entspricht nicht unserer politischen Kultur.

Was tun mit dem Volkswillen? Eine Demonstration nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative. Foto: Keystone
Also nehmen wir uns Zeit. Wägen wir ab. Führen wir die freundeidgenössische, bewährte Diskussion darüber, wie die Masseneinwanderungsinitiative zum Wohl unseres Landes umgesetzt werden kann. Und es ist gut so, dass auch die finanziellen Gewichte in dieser Auseinandersetzung ins Lot kommen. Dem Milliardär Blocher setzt sich nun ein anderer Milliardär entgegen. Der 79-jährige Hansjörg Wyss, einer der wohl erfolgreichsten Schweizer Unternehmer der Neuzeit, hat Wissenschaftlern und Studenten in Bern ins Gewissen geredet: «Wir wollen uns nicht in die Isolation drängen lassen.» Wyss, noch um einiges reicher als Blocher, tritt aus seiner Anonymität heraus und will mithelfen, den wohl besten Weg zu finden.
Denn die neusten Umfragen zeigen, dass die Schweizer Bevölkerung beides will: den bilateralen Weg und eine angemessene Begrenzung der Einwanderung. Im Zweifelsfall würde sie aber den bilateralen Weg der haargenauen Umsetzung des jetzt in der Verfassung verankerten Artikels der SVP-Initiative mit 58 gegen 30 Prozent klar vorziehen. Also noch ein Hinweis darauf, dass es jetzt darauf ankommt, nicht in Hektik zu verfallen, nicht den Kopf zu verlieren und verbohrt nur eines zu wollen: sofort umzusetzen, was nicht so einfach umzusetzen ist, weil der Verfassungstext weder klar noch unmissverständlich ist.
Interessanterweise weisen die bürgerliche Denkfabrik Avenir Suisse und die Grünen auf den wohl vernünftigsten Weg. Beide fordern vom Bundesrat eine europakompatible Gesetzesvariante, halten nichts von einer neuen Verfassungsbestimmung und einer neuen Abstimmung über die bilateralen Verträge und meinen, dass der ja nicht so klare Verfassungstext genug Spielraum biete, um umzusetzen, was das Schweizer Volk will: eine massvoll gesteuerte Einwanderung und den freien Marktzugang zur EU, unserem wichtigsten Handelspartner. Wenn nun selbst Christoph Blocher Verhandlungsbereitschaft signalisiert, zeigt dies, dass er verunsichert ist und selbst Angst vor seinem eigenen Mut und den Folgen seiner Initiative bekommen hat.
Gut Ding will in der Tat Weile haben. Der Bundesrat hat noch zweieinhalb Jahre Zeit. Dann muss er auf jeden Fall eine Verordnung in Kraft setzen. Ganz wichtig ist, dass er dann aufgrund einer klugen, einer durchdachten europakompatiblen Gesetzesgrundlage umsetzt, was uns nicht in eine Sackgasse führt, sondern ermöglicht, was wir anstreben: eine Schweiz, die Zukunft hat.
9 Kommentare zu «Gut Ding will Weile haben»
, nun wir hoffen dass er Recht hat der Herr Schaller, wenn nicht, .. oder die Ecopop noch grösseren Schaden anrichtet, .. dann bleibt unseren Kindern nur der EU-Beitritt.
Gerade das wollten die Initianten ja verhindern, .. aber wer weiss, wenn die EU die heutige Krise in 10 Jahren überwunden hätte, vielleicht wäre dass dann ja eine gangebar Variante? Nur würden wir dann mit Handkuss angenommen oder müssten wir kriechen?
Die Einwanderung angemessen zu beschränken ist nicht mehr möglich. In der Schweiz leben 8,2 statt 5 Millionen Menschen. Die Einwanderung muss also gestoppt und die Repatriierung der 3,2 Millionen Einwanderer und eingebürgerten Einwanderer begonnen werden.
Der Herr Unternehmensberater Schaller ist natürlich ein Profiteur der Masseneinwanderung, weshalb er sich lautstark dafür einsetzt. Die PFZ dient der Elite in unserem Land. Die Mehrheit hat nur Nachteile. Da die ME-Initiative immer mehr verwässert wird, gibt es nur noch eine Lösung: ECOPOP wählen!
Sehr geehrter Herr Schaller
Was für eine gequirlte Hirnekacke! Am besten wir lassen die Einwanderung noch 25 Jahre unkontrolliert passieren und bürgern die Leute schnellstmöglich ein. So kommt die Linke dann doch noch zu ihrer schwindenden Wählerschaft. Wir müssen JETZT handeln. Besser heute als morgen. Denn mit jedem Tag ohne Begrenzung der Einwanderung haben wir wieder 270 Leute mehr in der Schweiz welche unsere Infrastruktur belasten. Einwanderungskontingente mit Sachen wie AHV und Frauenstimmrecht zu vergleichen ist ebenfalls unangebracht!
Zeit ist etwas, was die EU der Schweiz nicht zugesteht. Ohne den Abschluss der institutionellen Verhandlungen werden zunehmend neue Kriterien innerhalb der EU Gesetzgebung geschaffen, die die Vorteile der bilateralen Verträge dezimieren oder sie nicht mehr anwendbar machen.
So sind aufgrund der Produkthaftpflicht und Herstellergarantie Lebensmittellieferungen in die EU ab 13.Dezember nur noch möglich, wenn eine Niederlassung mit dem entsprechendem Kapital in der Schweiz besteht.Wurde mit den bilateralen Verträgen,
noch ein Binnenmarkt Standort angenommen, gilt verstärkt die Drittstaatenregel.
Gemäss Art. 121a BV soll ein Inländervorrang installiert werden. Es gab auch Rufe – interessanterweise vor allem von „linker“ Seite – man solle das wortwörtlich umsetzen. Dieses Thema ist durch. Bei der Interpretation von Art. 121a BV gibt es aber hinsichtlich „Inländervorrang“ keinen weiteren Spielraum mehr, mindestens ein Inländervorrang geht klar aus dem Wortlaut hervor. Der Bundesrat wird das in der Verordnung nach 3 Jahren um- und inkraft setzen müssen! Die EU wird einen Inländervorrang nie akzeptieren. Damit ist das PFZ-Abkommen und somit die Bilateralen I gekündigt.
Sie irren Herr Bühlmann, in Art. 121a Abs. 3 steht „… unter Berücksichtigung eines Vorranges für Schweizerinnen und Schweizer auszurichten …“ . Das ist durchaus etwas anderes. Auch wenn das die SVP-Führung anders sieht. Vielleicht hätten Sie den Initiativtext doch besser vor der Abstimmung gelesen.
Bei einer jährlichen Nettozuwanderung von 90’000 Personen bleiben keine 20 Jahre Zeit, denn dann haben wir 11 Millionen Einwohner. Das müsste eigentlich jedem durchschnittlich intelligenten Menschen klar sein. Im übrigen brauchen die EU die Bilateralen genauso wie wir. Immerhin liefern sie jedes Jahr für über 80 Mrd. Euro Waren in die Schweiz und erzielt einen Handelsüberschuss von 15. Mrd. Euro. Da hängen Millionen von Arbeitsplätzen dran und das kann sich die EU schlicht nicht leisten. Diese Zahlen sprechen eine klare Sprache – Wir brauchen einfach nur Politiker mit Rückgrat.
Mir ist das nicht klar, dass wir in 20 Jahren 11 Millionen Einwohner haben werden. Denn dazu müssten ja auch 20 Jahre lang 90’000 Leute kommen. Dazu müsste die Wirtschaft 20 Jahre lang in der Schweiz so gut wie jetzt und in vielen Teilen der EU so schlecht wie jetzt laufen. Wenn wir das haben, dann werden die Zuwanderer wohl unser kleinstes Problem sein.
An was all diese Zukunftsprognosen, insbesondere beim starren Ecopop-Vorschlag, der sogar kaum änderbare Nummern in die Verfassung schreiben will, nicht denken: Die Welt bleibt nicht konstant, sondern verändert sich ständig.