Die Präimplantationsdiagnostik darf nicht zu einem Selektionswerkzeug werden

Der Ständerat wird sich am 11. März 2014 mit der schwierigen Frage der Präimplantationsdiagnostik (PID) auseinandersetzen. Die gegenwärtig in der Schweiz verbotene PID ermöglicht es, menschliche Embryonen, die aus einer künstlichen Befruchtung hervorgegangen sind, genetisch zu untersuchen, bevor sie implantiert werden. Im Auftrag des Parlaments schlägt der Bundesrat eine Änderung der Bundesverfassung vor, die es erlauben würde, die PID unter strengen Voraussetzungen zuzulassen. Eine Mehrheit der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerates (WBK-S) schlägt vor, die gesetzlichen Bestimmungen zu lockern und die PID zuzulassen. Derzeit ist das Risiko gross, dass aus der PID ein Selektionswerkzeug wird, das die moralische Pflicht unserer Gesellschaft und unserer Rechtsprechung, den Schwerpunkt auf die Daseinsberechtigung und die Integration von Behinderten zu legen, ausser Acht lässt.

Der Gesetzesentwurf des Bundesrates, der vorsieht, die PID bei unfruchtbaren Paaren zuzulassen, die ein erhöhtes und nachweisliches Risiko aufweisen, schwere, genetisch bedingte Krankheiten auf ihr Kind zu übertragen, ist verantwortungsvoll. Die Zulassung würde zwischen fünfzig und hundert Paare pro Jahr betreffen, bei denen der Embryonenschutz de facto die Ungewissheiten und Ängste, die nur schwer zu ertragen sind, nicht legitimiert – ich denke hier beispielsweise an schwere Erbkrankheiten, die in der Familiengeschichte nachweislich aufgetreten sind. Die PID würde es diesen Paaren ermöglichen, Zweifel auszuräumen, ohne auf medizinische Leistungen im Ausland zurückgreifen zu müssen. Dieser Gesetzesentwurf würde es erlauben, dem aus moralischer Sicht nicht akzeptierbaren Wunsch, ohne jegliche Einschränkung auf seine Nachkommenschaft Einfluss zu nehmen, den Riegel zu schieben.

Der Fortschritt der Medizin muss der moralischen Ordnung unserer Gesellschaft angepasst werden

Eine Pailette mit einer befruchteten Eizelle in einem Labor an der Universitätsklinik Bern. <br>Bild: Keystone

Eine Pailette mit einer befruchteten Eizelle in einem Labor an der Universitätsklinik Bern. Bild: Keystone

Die von der Mehrheit der WBK-S vorgeschlagene Liberalisierung sieht vor, für sämtliche In-vitro-Fertilisationen die Früherkennung von Aneuploidien zuzulassen. Das Ansinnen der Kommission wird von der nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin unterstützt. Das würde heissen, dass man systematisch sämtliche Embryonen mit nicht der Norm entsprechenden chromosomalen Sequenzen identifizieren würde. Die Früherkennung würde bis zu 6000 Fälle pro Jahr betreffen – das entspricht der Anzahl der in der Schweiz durchgeführten In-vitro-Fertilisationen. Trotz des eugenischen Risikos ist die Mehrheit der WBK-S und der Ethikkommission der Meinung, dass das Bedürfnis nach Gewissheit der künftigen Eltern dem Embryonenschutz vorzuziehen sei – unabhängig davon, ob eine schwere vererbbare Krankheit vorliegt oder nicht.

In meinen Augen wird damit unserer Gesellschaft ein sehr bedenkliches Signal gegeben. Sollte der Ständerat seiner Kommission folgen, riskiert das Parlament, dass eine sehr negative Botschaft an die Bevölkerung ausgesandt wird. Wie schrieb doch der Bundesrat in seiner Botschaft zur Zulassung der PID: «Ein Embryo in vitro darf nicht zum Spielball beliebiger Interessen werden.» Wie soll nun aber verhindert werden, dass die PID oder sogar die In-vitro-Fertilisation selbst zu einem Selektionswerkzeug wird, wenn die Früherkennung von nicht der Norm entsprechenden chromosomalen Sequenzen auf sämtliche Fertilisationen angewendet wird? Die Antwort ist einfach: Es gibt kein anderes Mittel, um Exzesse in diesem Bereich einzudämmen, als den restriktiven Weg zu begehen, den der Bundesrat vorsieht.

Was sagt uns die Regierung? Sie sagt uns, dass der Fortschritt der Medizin der moralischen Ordnung unserer Gesellschaft angepasst und zu diesem Zweck von gesetzlichen Vorgaben begleitet werden muss. Diese moralische Ordnung gebietet uns, weiter zu gehen als die Debatte der Ethiker, die sich fragen, ob der Embryonenschutz höher zu stellen sei als die mit der Elternschaft verbundene Ungewissheit. Meiner Ansicht nach gebietet uns die Moral, die Daseinsberechtigung und die Integration von Behinderten prioritär zu behandeln. Die generelle Anwendung der Früherkennung von Aneuploidien läuft dieser Prioritätensetzung zuwider, indem sie postuliert, es sei mit allen Mitteln zu verhindern, dass mittels In-vitro-Fertilisation Kinder mit Chromosomenanomalien zur Welt kommen. Es ist klar, was damit unterschwellig gesagt wird: Menschen ohne Chromosomenanomalien haben einen höheren Wert als solche mit. Dagegen wehre ich mich ganz entschieden.

11 Kommentare zu «Die Präimplantationsdiagnostik darf nicht zu einem Selektionswerkzeug werden»

  • Fiona B. sagt:

    Wo leben Sie denn. Anscheinend Blenden sie völlig aus, dass in der 12. Woche dann genau diese Scrennings gemacht werden können und anschliessen, bei einem Kranken oder behindertem Kind, auch abgetrieben werden darf. Sie finden es also besser, einen Embryo, dessen Herz schlägt, abtreiben zu lassen als einen 3 Tage alten Zellhaufen testen zu lassen? Das ist nicht nur für den Embryo eine paradoxe Sitation, sondern auch eine schwere Belastung für die Mutter.
    Lassen Sie die Eltern selbst entscheiden und hören sie auf, anderen ihre Meinung aufzwingen zu wollen!

    • Dieter Blatt sagt:

      @Fiona B.: Und was ist der nächste Schritt? Euthanasie bei Hirnverletzten nach Unfall? Bei Dementen? Psychisch Kranken? Querschnittgelähmten? Nicht voll Leistungsfähigen? Mir graut.

      • Allison Kamerun sagt:

        Mal wieder die Eugenik- und Unfreiwillige-Euthanasiekeule ausgepackt? Wer sagt, dass dies der nächste Schritt sei? Wieso sollte der folgen? Es ist ihr privates Horrorszenario und a priori nicht einleuchtend. Also: Beweislast ist bei ihnen. Können sie bitte begründen, wieso Präimplantationsdiagnostik angeblich zu Euthanasie ohne Einwilligung (da verstehe ich sie richtig?) führen soll? Mit selbsterklärenden Argumenten, Zahlen und Fakten bitte, ohne Bibel und „das weiss ja jeder, dass…“. Merci!

        • Dieter Blatt sagt:

          @A.K.: Ich stelle Fragen und muss/kann nichts beweisen, da es die Zukunft betrifft. Ich versuche trotzdem eine Antwort: Meines Erachtens sind die Grenzen seit längerer Zeit überschritten. Was technisch/medizinisch machbar ist, wird gemacht. Und zwar vorgeburtlich, sogar schon vor der Zeugung. Am Lebensende dann das Gleiche (aktive Sterbehilfe) resp. grad das Gegenteil (Lebensverlängerung um jeden Preis). Und dazu stelle ich mir eben Fragen und komme zum Schluss, dass einiges in eine Richtung läuft, die nicht nur Gutes verheisst. Womit ich wieder bei meinem Post von 16:26 bin. Reicht das? MfG

        • Fiona B. sagt:

          Herr Blatt, der nächste Schritt existiert bereits, nämlich in Form einer Chorionbiopsie oder Fruchtwasseruntersuchung und einer anschliessenden Abtreibung.
          Aber sie können gerne die Augen vor der Realität verschliessen und mit irgendwelchen absurden Argumenten kommen.

  • Leo Klaus sagt:

    Viel problematischer als die PID finde ich die Leihmutterschaft. Da muss eine andere Frau (meistens in einem Drittweltland) ihr Koerper zur Verfuegung stellen, die Risiken der Schwangerschaft auf sich nehmen, und am Ende wird ihr das Kind weggenommen.

    Viel lieber sollte man diese Praxis verbieten, oder zumindest die Frau welche das Baby in sich traegt offiziell als einzige Mutter erkennen. Abgesehen von einigen wenigen Frauen welche tatsaechlich kein Kind tragen koennen wird das Angebot hauptsaechlich von denen benutzt, welche keine „Nebenwirkungen“ der Schwangerschaft wollen.

  • Susi Meier sagt:

    Natürlich haben behinderte Menschen eine Daseinsberechtigung und sind nicht weniger wert als gesunde Menschen! Man sollte dieses Thema jedoch etwas sachlicher behandeln. Es ist Realiät, dass alle Eltern lieber ein gesundes Kind möchten und viele sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden wenn das Kind eine Behinderung haben wird. Und genau das wird auch gemacht, wenn die Schwangerschaft in vitro entstand. Wenn man Embryonen nicht auf zufällige Krankheiten (z.B Trisomie21) untersuchen darf, bedeuted das unnötige medizinische Eingriffe für die Frau und falsche Hoffnungen für das Paar.

  • ralph kocher sagt:

    Wer bezahlt schlussendlich? Wohl die Forschung!

  • Der Maier sagt:

    Ich denke, diese Diskussion sollten die Menschen führen die davon betroffen sind. Alle anderen haben zu schweigen um sich nicht als Richter auf zu spielen.
    Im Sinne einer Moral zu argumentieren, die zwangsläufig immer subjektiv ist, ist mehr als ein schwaches Argument. Moral ist das schwächste aller Argumente und zeigt nur das die Autorin keine anderen, sinnvollen und belastbaren Argumente hat.

  • Franziska Wirz sagt:

    Menschen mit Trisomie 21 stehen ganz oben auf der Selektionsliste. Warum?
    Weil diese Behinderung relativ einfach zu diagnostizieren ist. Und nicht, weil sie besonders schwerwiegend ist.
    Das Bild, das die Gesellschaft von diesen Menschen hat, ist überholt.
    Viele Betroffene führen heute ein erfülltes und relativ eigenständiges Leben.
    Die Ausprägungen dieser Behinderung sind sehr unterschiedlich.
    Daniel, hat als erster Down-Syndrom-Patient in Europa ein Hochschulstudium mit Auszeichung abgeschlossen.
    Trisomie 21 sagt weder über das Glück des Kindes noch über das Glück der Eltern etwas aus.

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