Die Tätowierung der Babette Deiss
Was die deutschen Medien, die Kanzlerin, der Parteipräsident, der Wahlkampf und die Umfragewerte nicht fertigbrachten, schaffte seine Frau innert Minuten. Nach dem bewegenden Auftritt von Gertrud Steinbrück am Parteitag der SPD in Berlin verlor ihr Gatte öffentlich die Fassung. Damit erfüllte sich die Hoffnung der Wahlkampfleiter, Peer Steinbrück würde sich von einer persönlichen Seite zeigen, gleich zweifach. Die Frau begeisterte auf einmal den Saal, ihr Mann bewegte für einmal die Leute.
Genau dafür setzen Politiker ihre Frauen am liebsten ein: Als Beleg ihrer eigenen Gefühligkeit. Um zu zeigen, dass auch sie Liebende sind und nicht Herr im Haus. Um von ihren Fehlern abzulenken. Um reumütig Fehler einzuräumen. Um zu belegen, dass sie noch nicht so alt sind. Um zu bestätigen, wie emanzipiert sie sind.
Die amerikanischen Präsidenten scheinen in der Sache etwas weitergekommen zu sein, haben doch viele ihrer Frauen Einfluss auf die Politik genommen, auch die ihres Mannes. Das gilt schon für Abigail Adams, der Frau des zweiten Präsidenten der USA, und es wurde allen klar bei Nancy Reagan, Hillary Clinton und Michelle Obama. Je offensichtlicher die Einflussnahme, desto grösser die Irritation. Allzu weit lässt man Frauen auch in Amerika nicht an die Macht. Wenigstens nicht öffentlich.
Schweizerinnen und Schweizer sind ausgesprochen private Menschen, also auch ihre Politiker.

Bis in der Schweiz Privates öffentlich wird, kann es sehr lange dauern: Babette Deiss mit Tattoo und ihr Mann, Alt-Bundesrat Josef Deiss, 8. August 2004. (Keystone/Martial Trezzini)
Liegt darin der Grund, warum man unsere Bundesräte fast nie mit ihren Frauen sieht, am allerwenigsten auf einem Podium? Und warum diese Frauen kaum je politisch auftreten oder sich mit ihren Ansichten, ihren Forderungen, ihren Vorstellungen von Reformern an die Öffentlichkeit wenden? Dass sie auch als Gutestuende, Sozialesverrichtende, Kinderhelfende uws. selten wahrgenommen werden?
Wenn das stimmen würde, wäre die Schweiz ein so unempanzipiertes Land, wie das von ihr so spät anerkannte Frauenstimmrecht suggeriert. Aber es stimmt nicht. Erstens sind auch die Frauen sozialdemokratischer Bundesräte sehr diskret geblieben, also einer Partei, welche die Gleichstellung als Erste einforderte. Zweitens spielen die Frauen im Schweizer Parlament eine wichtige Rolle, drittens wird eine Frau mit gleichen Qualifikationen heute eher in den Bundesrat gewählt als ein Mann.
Und vor allem viertens ergeht es den Männern von Bundesrätinnen genau gleich. Über André Calmy, Christoph Widmer, Roland Hausin-Leuthard wissen wir genauso wenig, und über den Mann von Simonetta Sommaruga wissen wir nur deshalb mehr, weil er schon vorher ein bekannter Schriftsteller war. Zu seiner Frau äussert sich Lukas Hartmann kaum, und wer ihn am Wahltag gesehen hat, musste sich fragen, ob ihn die Wahl seiner Frau überhaupt erfreute.
Dass man von den Gatten und Gattinnen der Bundesräte wenig hört und fast nichts über Politik vernimmt, hat wenig mit Politik zu tun. Es ist auch keine Frage des Charakters. Es ist eine Frage der Mentalität. Schweizerinnen und Schweizer sind ausgesprochen private Menschen, also auch ihre Politiker. Bis man hierzulande eingeladen werde, schreibt der englische Schweizversteher Diccon Bewes in seinem gleichnamigen Buch, brauche es sehr lange. Dafür fühlen sich internationale Stars wohl hier, weil man sie in relativer Ruhe lässt. Anders als zum Beispiel in England respektiert die Presse diese Privatsphäre. Was dann dazu führt, dass schon die Tätowierung auf der Schulter von Babette Deiss, der Frau von Joseph, einiges zu reden gab.
Die Ausnahme wie immer: Christoph Blocher. Der Politiker, der das neue Eherecht und das Recht auf Abtreibung bekämpfte und ein konservatives Familienbild vor sich hertransportiert, bezeichnet seine Frau als engste Beraterin. Sie trat verschiedentlich für ihn und immer wieder mit ihm auf, hielt nie mit ihren Ansichten zurück, eine kämpferische Frau mit scharf konturierten Überzeugungen. Dass ihre Doppelauftritte nicht immer so gut herauskamen, wie das Paar es sich vorgestellt hatte, gerade weil das Paar sich so zeigte, wie es sich gut fand, belegte «Die Blochers», das servile Fernsehportrait von 2004. Wie das Milliardärspaar vom Schlossgarten in Rhäzüns auf die Demokratie herunterblickte, machte den Schweizern unten bewusst, dass es schon seinen Grund hat, warum sie nie einen König haben wollten – und seine Königin.
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28 Kommentare zu «Die Tätowierung der Babette Deiss»
Seien wir Stolz und geben weiterhin acht, dass diese Magistraten-Familien sich frei bei uns bewegen können.
Finde ich auch.
Da hat wieder jemand ein Riesenproblem gefunden! An und für sich keinen Buchstaben wert, wäre da nicht das ständige am „Schweizerischen “ herummeckern. Was hat das mit Emanzipation zu tun wenn Herr Bundesrat nicht ständig die Frau (oder umgekehrt den Mann) als Umrahmung seiner selbst mitschleppt und somit den Steuerzahler noch mehr kostet? Wird da vielleicht der Neid auf die, nun mal viel grösseren, deutlich?
Die internationalen Gepflogenheiten (Protokoll, Völkerrecht) richten sich nach dem „Königsrecht“, und ein König hatte/hat immer eine Frau zu heiraten und bei offiziellen Anlässen zu präsentieren, auch wenn er sich privat mit einer anderen verlustiert(e) oder am eigenen Geschlecht Gefallen fand/findet – s. Prince Charles, Lady Diana Spencer und seine frühere Mätresse (engl. Wikipedia!) Camilla Parker Bowles, damals noch Ehefrau von Major Bruce Shand…
Manchmal sind wir Schweizer halt wirkliche Republikaner – aber nur manchmal.
Haben Sie den gleichen Artikel gelesen wie ich? Es wird ja gerade explizit erwähnt, dass es eben nichts mit Emanzipation zu tun hat, dass die Bundesräte sich nie mit Ehepartner zeigen. Ausserdem kann ich in keinem Satz sehen, dass an der schweizerischen Art und Weise herumgemeckert würde…
Insofern ist Ihre Kritik, hier habe wieder jemand ein „Riesenproblem“ gefunden, absolut unbegründet. Der Artikel bringt lediglich ein aktuelles Ereignis (nämlich das Verhalten eines deutschen Politikers) in einen Vergleich mit den hiesigen Verhältnissen. Ein absolut legitimes journalistisches Vorgehen!
Meckern? Für mich klingt der Artikel wie ein Hochgesang auf diese Verhaltensweise…
Steinbrück und Tränen…..Krokodilstränen….die Arroganz kommt bestimmt wieder
nein, er ist bloss sehr schnell verunsichert, deshalb: harte Schale, crèmeweicher Kern – bringen Sie doch etwas mehr Empathie auf für den Softie Steinbrück 😉
Es scheinen sehr viele – auch hierzulande – auf den Propagandatrick vom Steinbrück (SPD) reingefallen zu sein.
Es schmerzt, dass auch hier viele Wähler so leicht hinters Licht zu führen sind. Das zeigt die Grenzen der Demokratie auf, wenn schlaue PR gemischt mit viel Geld die Systeme untergräbt.
– Ins Schweizer Stammbuch: da die Bürgerlichen (FDP,SVP,CVP) die Offenlegung der Parteienfinanzierung seit Jahrzehnten verhindern, meine ich, dass die Schweiz doch eher als Oligarchie einzustufen wäre (wie z.B. heute Russland).
Ganz ehrlich:Wenn man tgl. lesen/hoeren kann wie die Medien seit 9Monaten aktiven Wahlkampf fuer Merkel und die serbelnde Reg.-Koalition betreibt, da kommen auch mir die Traenen. Wie hier z.T. unsachlich auf Peer Steinbrueck eingedroschen wird, ist unter aller…..
Menschen die arbeiten und etwas zu sagen haben, koennen auch (verzeihbare) Fehler machen, sie eingestehen und korrigieren (wollen – sieheSPD). Und sie duerfen auch Gefuehle zeigen. Alle Hochachtung vor Herrn Steinbrueck.
Waere an der Zeit, wenn die polierte Chromstahlstange in Berlin auch mal Fehler eingesteht ……und geht.
Die Schweiz ist, wie sie ist, und das ist gut so! Nicht, dass bei uns alles Gold ist, was glänzt. Die Familie Blocher wollen wir in diesem Zusammenhang aber nicht schon wieder spöttisch als „Milliardärspaar vom Schlossgarten Rhäzüns“ bezeichnen. Qualitäts-Satire sieht anders aus. Immerhin hat Blocher einen Leistungsausweis vorzuzeigen, was praktisch von keinem seiner Kritiker behaupten werden kann. Das Tattoo von Babette Deiss verursacht keine Angstneurose, verleitet aber auch nicht zu einer euphorischen Beurteilung ihrer Persönlichkeit. Bettina Wulff teilte diese Vorliebe mit Frau Deiss.
Sie haben die Sendung nicht gesehen, gell? Genau so kams rüber. Aber danke, dass Sie hier Ihre eigene Servilität an den Tag legen – es ist immer wieder verwunderlich, wie der alte Mann zu solchen Zeloten kommt. Nun denn: Willkommen in der Monarchie! Christoph I. lächelt huldvoll mit Gemahlin von Schloss Rhäzuns auf die Untertanen herab. – So besser?
Immer dieser ominöse, nie spezifizierte Leistungsausweis des Tretminen – pardon: Airbag- Zünder-Fabrikanten und Polteriparteieigentümers.
Klären Sie uns doch mal auf: Worin besteht denn dieser sagenumwobene Leistungsausweis? Oder ist der etwa geheim?
„Die Schweizer sind, so wie sie sind…“. Frage: und wie sind sie? Ab welche Jahrzehnte fängt man an, sie zu bewerten? Ab Bankenskandal? Ab Judenguthaben? Ab Offshore-land? Gruss
Warum wohl? Weil der Politiker gewählt wurde und nicht sein/ihr Ehegespons.
Die Schweizer sind in solchen Sachen geradlinig. Man sagt dem Ehemann der Dorfärztin auch nicht „Herr Dokter“.
„machte den Schweizern unten bewusst, dass es schon seinen Grund hat, warum sie nie einen König haben wollten“ – da bin ich mir nicht so sicher, der Mainstream möchte doch alles so haben wie es die andern Staaten haben rundherum: Steuerhinterziehung als Straftatbestand nach Strafgesetzbuch und nicht als Straftatbestand nach Verwaltungsrecht, gleiche Steuern und Stipendien in allen Kantonen – aber dann dann wollen sie den Förderalismus doch wieder, wenn es um Englisch statt Französisch in der Primarschule geht, wenn sie wegen der Gleichschaltung mehr Steuern bezahlen müssten, wenn…
@Ali Ferkous: Ja, dieSchweizer lieben die „eierlegende Wollmilchsau“. Von allem ein bisschen, aber bitte nicht zu viel. Vor allem aber: Eine hohe Steuerlast für andere, eine geringe für sich selbst. Und dann natürlich massgeschneiderte Stipendien, auf den eigenen Bedarf zugeschnitten. Das ist halt das Wesen der Schweiz mit ihrer teilweise auch mediokren Attitüde.
Toller Artikel…sehr treffend.
So verschieden können halt Meinungen sein. Für mich ist der Text eher ein Füller fürs Sommerloch.
Es ist absolut richtig, dass man gegenüber der Einflussnahme von Ehegatten und -gattinen kritisch ist: schliesslich haben diese kein politisches Mandat. Die First Lady bekleidet in Amerika das vermutlich mächtigste Amt, bei dessen Besetzung die Bevölkerung kein Wort mitzureden hat. Hoffen wir, dass die Irritation gegenüber dieser Art von undemokratischer Einflussnahme bestehen bleibt!
Es ist toll, dass hierzulande selbst prominenteste Exekutiv- und Legislativpolitiker (wie auch Kulturschaffende) frei unterwegs sein können, ohne ständig begafft oder fotografiert und damit belästigt zu werden bzw. Bodyguards zu benötigen.
Und weil deren Ehefrauen bzw. -männer ja auch kein Volksmandat haben, soll sich ihre politische Bedeutung auf die stille Beratung ihrer Partner/in beschränken. Die Schweizer Politik verfällt auch so schon zu oft der Personalisierung statt der Sachlichkeit, und was nützt es mir, wenn ein/e Politiker/in privat Engagement/Herz zeigt aber als Amtsperson nicht!?
und das soll ein thema für einen polit-blog sein??? saure gurken zeit beim tagi!?
Politikern in der Schweiz war und ist es leider seit jeher wenig bewusst, dass das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit ein wesentlicher Bestandteil ihres Amtes ausmacht. Ich erinnere mich noch an den Staatsbesuch des deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäckers 1987 in Bern. Bundesrat Otto Stich im zu grossen Anzug, seine Frau im geblümten Einteiler etc, etc. Ein Bild des Grauens und einfach nur peinlich. Hat sich seither viel geändert?
Weil die Frau von Herr Deiss, doch so wie überall, die Hosen anhat.
Die Frau von Premier John Major sah man praktisch nie und die Frauen von Tony Blair und von Cameron hielten/halten sich ja auch eher zurückl Auch in Frankreich sind die Gattinnen der Spitenpolitiker nicht medienpräsent (Ausnahme Frau Sarkozy)
Das hat mit unserem Demokratieverständnis zu tun: die Ehegatten sind nicht gewählt, die kennen wir nicht, wissen nicht, wie ihre Einstellung ist, und deshalb haben sie in der Politik ihrer besseren Hälfte nichts zu suchen. Dass dies richtig ist, bewies ja BR’in Elisabeth Kopp, die an ihrem Mann scheiterte.
das wundert mich nicht. in einem ländle, das den frauen das wahlrecht erst 1971 zugebilligt hat, da sollen die frauen der politiker jetzt schon öffentlich auftreten ? oder gar noch politisch in erscheinung treten ? vor 2100 wird das wohl nichts werden.
Die Antwort ist einfach: Ein guter Politiker wird zu 95 % von seiner Gattin beeinflusst und meistens richtig und objektiv beratet. Die Gattin gehört schon längstens nicht mehr in der Küche und bei den Kinder, für solche Probleme gibts Alternative !