Der andere linke Bruderstreit
Die Linke steht vor der Zerreissprobe. Die einen wollen den Kampf gegen eine bürgerliche Übermacht auf sich nehmen, die anderen entscheiden sich lieber für das kleinere Übel. Und beide Seite laufen am Ende Gefahr, mit leeren Händen dazustehen.
Nein, es geht hier nicht um die Asylrevision und das geplante Referendum dagegen. Auch wenn die Schärfe des Tonfalls einen anderen Eindruck vermittelt, sind sich die Schweizer Linken in Sachen Asyl weitgehend einig. Je näher die Abstimmung rückt, desto deutlicher wird sich das zeigen. Und falls das Referendum nicht zustande kommt, wird es noch einen heftigen Familienkrach geben. Dann ist der Konflikt für SP, Grüne, Alternative und Gewerkschaften erledigt.
Aber, auch wenn dies an der SP-Delegiertenversammlung vom letzten Wochenende keine Wellen schlug, steuern Sozialdemokraten und Gewerkschaften auf ein Zerwürfnis zu, dessen Folgen lange nachwirken könnten: auf die Abzocker-Abstimmung im Frühjahr 2013. Das jahrelange Hin und Her um Thomas Minders Volksbegehren endete zwar scheinbar mit einer Niederlage der Verzögerer und Verwedler. Aber in Wahrheit haben sie zumindest ihrer linken Gegnerschaft eine clevere Falle gestellt: Die muss sich nun entscheiden zwischen der Initiative oder einer Gesetzesrevision, die nur in Kraft tritt, wenn die Initiative abgelehnt wird.
Die Abzocker-Abstimmung droht zu einem fruchtlosen Streit innerhalb der Linken zu führen.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund ist gegen die Abzocker-Initiative: SGB-Chefökonom Daniel Lampart. (Keystone)
Sowas wäre keine Katastrophe, wenn sich SP und Gewerkschaften einig wären, was das kleinere Übel ist. Doch das sind sie nicht. Der einflussreiche SGB-Ökonom Daniel Lampart hat sich schon seit Sommer entschieden: gegen die Abzocker-Initiative. Er anerkennt zwar, dass die «Minder-Initiative», wie er sie nennt, dank ihres bekannteren Namens «unter dem Gesichtspunkt des Politmarketings gut aufgestellt» sei. Doch damit unterstellt er ihren Befürwortern auch gleich, auf einen Etikettenschwindel hereinzufallen.
In seinen Augen ist die Vorlage ein «Eigengoal», weil sie die Rechte der Aktionäre stärke. Doch das nütze den Arbeitnehmern nichts. «‹Abgezockt› haben nicht nur die Topmanager, sondern auch die Aktionäre», findet Lampart. Der Gewerkschaftsbund liess sich überzeugen, empfiehlt leer einlegen und hofft auf den indirekten Gegenvorschlag.
Die SP dagegen beschloss am Samstag, die Abzocker-Minder-Initiative zu unterstützen. Mit 144 zu 2 Stimmen. Das ist deutlich. Von ihren SGB-Kollegen dürfen sich diese Sozis nun vorhalten lassen, die wahren Abzocker zu unterstützen. Und bereits scheren erste Sozialdemokraten aus: «Abzocker-Initiative – lest die Packungsbeilage!» warnt ein Blog auf der Webseite der Stadtzürcher SP1 und 2. Er übernimmt Lamparts Argumentation und lobt gar den Gegenvorschlag, weil er einen jährlichen Vergütungsbericht vorschreibe.
Dagegen bleibt die Argumentation der Mehrheits-SP stets recht knapp. Sie begrüsst immer wieder, dass die Bevölkerung die Chance habe, ein Zeichen zu setzen gegen «Lohneskapaden und Abzockerei». Sie beklagt, dass die Idee einer Bonussteuer im letzten Moment aus dem Gegenvorschlag gekippt wurde, und gibt dafür den Grünliberalen die Schuld. Und sie verweist auf die «einzig wirksame» Lösung, die 1:12-Initiative der Juso. Was im übrigen auch Lampart macht.
Doch diese Hoffnung auf ein Vorhaben, dass die Löhne der Chefs auf das 12-Fache ihrer tiefsten Mitarbeiterlöhne beschränken will, hat etwas Rührendes. Wir leben schliesslich im Land, das eine Initiative zur Einführung einer zusätzlichen Ferienwoche mit 66,5 Prozent Nein bachab schickte. Die Wettquoten für die 1:12-Initiative dürften in etwa ihrem Titel entsprechen.
So droht die Abzocker-Abstimmung zu einem fruchtlosen Streit innerhalb der Linken zu führen, der anders als beim Asylthema bis zum Abstimmungstag dauert. Und der, bei welchem Ergebnis auch immer, böse Blut hinterlassen könnte. Man stelle sich vor, die Initiative scheitert ganz knapp am Volksmehr, und der SGB freut sich über den Gegenvorschlag, während sich die SP vorhalten muss, ein einst als garantierten Erfolg gehandeltes Anliegen verloren zu haben. Garniert wird das Ganze mit einer Kanterniederlage bei der 1:12-Initiative. Im Jahr darauf zeigt sich, dass die Aktionäre sich arrangiert haben und weiterhin Millionenboni ausbezahlt werden.
Die Aufarbeitung dieser Fehlschläge dürfte einiges mehr an Geschwisterliebe kosten als ein Strategiestreit über eine Asylrevision.
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12 Kommentare zu «Der andere linke Bruderstreit»
Schade, dass es im linken Spektrum immer wieder zum Bruderstreit kommen muss, dabei sind doch die Gegner der linken Bewegung so stark und mächtig – eine einheitliche, schlagkräftige und vor allem geeinte Linke wäre dringend nötig, um unsere Gesellschaft gerechter und sozialer zu gestalten. In dieser Argumentation unterstütze ich aber Herrn Lampart, er ist weise und blitzgescheit. Aktionäre sind auch gemeine Abzocker und eine viel grössere Zielgruppe als die handvoll Topmanager in der Schweiz. Wird eine soziale Marktwirtschaft je möglich sein? Ich glaube die Gier der Menschen ist grösser…
Soziale Marktwirtschaft ist nicht möglich, das sehen wir ja deutlich bei uns. Die Sozialversicherungen stehen vor dem Kollaps, eine Erhöhung des Rentenalters verschiebt die Probleme bloss auf andere Kostenstellen. Die Arbeitslosenzahlen steigen, die der Ausgesteuerten auch. Vielleicht nutzt die Initiative nichts, aber es hindert einige daran, in den Topf zu greifen und sich schamlos und ungerechtfertigt zu bereichern. Besser 50 Mio an 10’000 Aktionäre ausschütten als an 10 „Topmanager“ zu verteilen.
Ich bin mit meiner Pensionskasse an diversen Firmen Aktienmässig beteiligt. Gerechtfertigte Dividenten kommen meiner und eurer Pension zugute und sollen nicht von neidischen Gewerkschafts-Funktionären verteufelt werden!
Die Gewerkschaften sind die ersten die gross Heulen, wenn die Umwandlungssätze kleiner werden, aber tun alles damit die Pensionskassen als Aktionäre leer ausgehen!
Das peinliche DENKVERWEIGERN der Linken ist um einiges grösser als die Gier der Menschen.
Nicht nur die Diskussion der Genossen über die 1:12-Initiative hat etwas Rührendes, sondern auch alle anderen linken Diskussionen über Strategie, Ideologie, 1.Mai, usw. Denn die Linke diskutiert nun mal leidenschaftlich gern, und stirbt dabei halt immer wieder in ideologischer Reinheit, während die Entwicklung an ihr vorbeigeht. Diskussionskultur wird hochgehalten, ausser beim politischen Gegner, dann wird zielgerichtet die Diskussionskultur abgewürgt (letztes Bsp. Rasmussen in Zürich). Was mich vom SP-Insider Ley mehr interessieren würde, inwiefern sich die Linken beim Asylstreit einig sind.
In allen politischen Lagern gibt es Zerwürfnisse. Auch im rechten Lager und im Lager der Mitteparteien. Es gibt eben nicht nur linksrechts sondern auch noch progressiv, konservativ, religiös, nichtreligiös usw. Wer glaubt, dass es im rechten Lager nur Blocher-Groupies gibt, der irrt.
Ich versteh nicht, warum sich die Linke nicht für den Gegenvorschlag zur Minder-Initiative ausspricht. Dieser ist genauso rigide wie die Initiaitve wenn es darum geht, die exorbitanten Entschädigungen zu MINDERN, und er kann direkt in Kraft treten, falls die Minder-Initiative abgelehnt würde.
Es geht doch den Linken darum, gegen die „Abzocker“ ins Feld zu ziehen, weil sie spüren, dass sie für einmal auf der Seite der Sieger sein können. Reiner Populismus, genau das, was sie der SVP immer vorwerfen.
Die Linken werden so lange hin und her streiten bis das wir weder -noch haben ! Im Moment ist von bürgerlicher Seite noch viel Unterstützung zu erwarten, aber wenn das Klima dann zu antikapitalistsch wird, muss ich sagen ,weg damit,es war eine gute Idee.
Thomas Ley schwört einen „Bruderstreit“ herauf wo keiner ist: Der SGB empfiehlt „leer einlegen“ weil er weder die Minder-Initiative noch den Gegenvorschlag unterstützen will. Würde der SGB den Gegenvorschlag bevorzugen, hätte er die Nein-Parole beschlossen. Leer einlegen bedeutet bloss, dass nicht die Minder-Initiative für gerechte Löhne sorgt, sondern die Mindestlohn-Initiative und die 1:12-Initiative.
wie heisst dieses etwas ruppige sprichwort? linggs schnorre, rächts frässe, das ist weltweit so
Wie kann eine Linke rhetorisch so an der Bevölkerung vorbeischiessen, wie es bezüglich eines EU-Beitritt ist?
Es würde reichen, wenn gesagt würde: Ein EU-Beitritt steht bei einer solchen EU nicht zur Debatte. Dann wäre auch klar, dass sich die EU bewegen müsste. Dann hätten SP und Grüne längst eine Mehrheit. Aber irgendwo muss es in diesen Parteien mächtige Gurus geben, welche vorschreiben, immer dieselbe Leier von angeblicher Mitbestimmung aufzusagen. Welche mit dem Mahnfinger vor sogenannt negativen Formulierungen warnen. Letzlich besteht der Zwist exakt in der Frage des EU-Beitritts.