Wer entscheidet über Sterbehilfe?

Hat Willensfreiheit nicht auf beiden Seiten des Röstigrabens dieselbe Bedeutung? Am 17. Juni 2012 erlassen die Waadtländer als Erste ein Gesetz über die Beihilfe zum Suizid, nachdem die Waadtländer Regierung auf die Exit-Initiative zur Suizidbeihilfe in Alters- und Pflegeheimen mit einem Gegenvorschlag reagiert hat. Darin erlaubt sie die Beihilfe zum Suizid und weitet sie auf die Spitäler aus. Sie ist aber auch an gewisse Bedingungen geknüpft. Konkret muss der behandelnde Arzt zwei Fragen beantworten: Ist der Patient urteilsfähig? Leidet er an einer schweren oder unheilbaren Krankheit? Ältere Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen möchten, müssen folglich zuerst eine «Prüfung» bestehen, bevor ihr Wunsch in Erfüllung geht, sich ins Jenseits zu verabschieden.

Aber ist kontrollierte Freiheit, die von einer Drittperson quittiert wird, eigentlich noch Freiheit? Unsere westliche Gesellschaft scheint immer öfter von Unwohlsein und Niedergeschlagenheit geprägt zu sein. Sowohl Sektengurus, die das Ende beschwören, wie auch harmlose Wellness-Verkäufer nützen das aus. Sie alle wollen uns beibringen, was es bedeutet, wirklich zu leben. Doch wenn man uns das wahre Leben beibringen will, wie steht es mit dem Sterben? Diese ethische Frage ist ebenso grundlegend wie jene immer wiederkehrende über das Recht, sich das Leben zu nehmen.

Das Individuum steht seiner Freiheit und seinen Sehnsüchten, auch wenn sie nach dem Tod verlangen, alleine gegenüber.

Eine Pflegerin hält die Hand einer alten Frau. (Keystone)

Wer im Waadt seinem Leben eine Ende setzen will, muss sich in Zukunft einer «Prüfung» unterziehen. Eine Pflegerin hält die Hand einer alten Frau. (Keystone)

Zürich konnte sich letztes Jahr diese knifflige Debatte ersparen. Zwei Initiativen zielten darauf ab, die Möglichkeit der Sterbehilfe einzuschränken bzw. ganz zu verbieten. Die Zürcher Politiker entschieden sich für die Ablehnung beider Initiativtexte – ohne Gegenvorschlag. Die Volksinitiative «Nein zum Sterbetourismus im Kanton Zürich» brachte es auf lediglich 20 Prozent Stimmen, der andere Initiativtext mit noch mehr Einschränkungen auf gerade mal 15 Prozent. Mit diesem Ergebnis verharren die Zürcher in einer Situation, die weder Fisch noch Vogel ist.

«Nicht dafür, aber auch nicht dagegen», so könnte man ihre Antwort ironisch formulieren. Es scheint beinahe so, als ob sie sich dabei von der Aufschubhaltung inspirieren lassen hätten, die in der Regel die Waadtländer auszeichnet. In diesem Fall – und über die prägnante Formulierung hinaus – unterliegt die Freiheit derjenigen Menschen, die den Tod herbeiwünschen, keiner Bedingung und bedarf auch keiner weiteren Überprüfung. Das Individuum steht seiner Freiheit und seinen Sehnsüchten, auch wenn sie nach dem Tod verlangen, alleine gegenüber.

Lebensmüdigkeit. Diesen Grund geben immer mehr Menschen an, die Suizidbeihilfe in Betracht ziehen. Sie leiden an keiner unheilbaren Krankheit. Sie sind es einfach leid zu leben, weil sie sich in ihrem Körper, ihrem Geist und ihrer Selbständigkeit eingeschränkt fühlen, und wählen deshalb den Tod. Wer hat das Recht, ihnen diese freie Entscheidung zu verweigern?

Indem die Waadtländer Regierung einen gesetzlichen Rahmen für die Beihilfe zum Suizid schafft, geht sie das Risiko ein, bei positiver Beantwortung der entscheidenden Fragen die Rolle des Komplizen und der Legitimierungsinstanz der Händler des Todes einzunehmen. «Herr Sowieso hat sich entschieden, uns gemäss Artikel 22, Absatz 4 zu verlassen.» Stellen Sie sich diese Art von Todesanzeige in unseren Tageszeitungen vor – welch Irsinn, welch Absurdität der Überreglementierung!

Der Waadtländer Gesundheitsminister Pierre-Yves Maillard hat sich also dafür entschieden, auf die Exit-Initiative mit einer gesetzlichen Grundlage zu reagieren. Die tiefen Beweggründe des Sozialisten sind bekannt. Der neue Präsident der Waadtländer Regierung und Hüter der sozialen Gerechtigkeit bis zum Gehtnichtmehr zeigt in der Regel eine Aufrichtigkeit und einen Einsatz, für die er viel Bewunderung erntet. Doch diesmal macht der Staatsmann einen Fehler, denn es gibt Fragen, für die es keine richtigen Antworten, keine Wahrheiten, keinen gesunden Menschenverstand und keine Gerechtigkeit gibt. Zu diesen gehört auch die Frage um den Tod.

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29 Kommentare zu «Wer entscheidet über Sterbehilfe?»

  • Philipp Rittermann sagt:

    der freitod ist etwas sher persönliches und ich finde es daher unfair, die verantwortung für die sterbehilfe auf drittpersonen abzuschieben.

  • Nische sagt:

    Sterbehilfe vor Todesstrafe, könnte man es auch nennen. Jemanden wehrlos bis zum natürlichen ende dahinsiechen lassen, weil das Gesetz die Beihilfe zum befreienden Selbstmord verbietet? Wie soll man das nennen wen nicht Todesstrafe für wehrlose unschuldige?

    Ist es nicht Freiheitseinzug, wen mir der Tod verweigert wird, nur weil ich nicht mehr in der Lage bin selbst vor den Zug zu springen?

  • Gemmon sagt:

    Ein Mensch der es leid ist zu leben un die Möglichkeit hat, Suizid ohne Beihilfe zu leisten, kann das ja tun. Das Gesetz ist aber auch dazu da, Menschen zu helfen, die jene unterstützen, die diesen Akt der Selbsttötung nicht mehr ohne Hilfe Dritter würdig vollziehen können. Aber um das zu verstehen, müsste man sich wohl mal in ein Altersheim, ein Hospitz oder eine PAlliativstation begeben und das Leiden anschauen, anstatt von seiner In-Kneipe mit jungen, gesunden Jahren über Lebensmüdigkeit zu philosophieren.

    • Cornelia sagt:

      Endlich einmal eine richtige Ansicht dieses Problemes! Es sollte Pflicht sein bevor man sich dagegen stellt in eine Palliativstation zu gehen!

  • Martin sagt:

    Ein wichtiges Thema das endlich gesellschaftlich diskutiert werden sollte. Indem man sich nach dem zitierten Motto „Nicht dafür aber auch nicht dagegen“ raushält und die unangenehmen Fragen scheut, bleibt das Problem an den Aerzten hängen. Was nicht gut ist, denn für das Thema Freitod und Sterbehilfe braucht es gesamtgesellschaftlich einen Konsens. Noch vor 10-15 Jahren war es ein Tabu, psychisch kranken Menschen die definitionsgemäss nicht klar über einen möglichen Freitod urteilen können, diesen zu gewähren. Heute werden reihenweise solche Patienten mit Exit/Dignitas ins Jenseits befördert.

  • Sugi sagt:

    Wer entscheidet: Die Bundespräsidentin und Girafo Gondolfsky ,
    Personen die über allem stehen.

  • Leo Nauber sagt:

    Wie lange dauert es bis es heisst: Dieses Leben wird uns zu teuer (finanziell gemeint), es zu pflegen hindert uns zunehmend an der eigenen Selbstverwirklichung, verursacht uns zu viele Überstunden, Nachteinsätze und hindert uns, unser eigenes Leben in vollen Zügen zu geniessen – also geben wir dem den Schlusstrunk, die letzte Pille, die letzte Spritze oder was auch immer.
    Beim gezeugten, noch ungeborenen Leben sind wir ja schon so weit. Also nicht damit kommen, das wird mit Alten und Kranken so nie geschehen. Das wären total verschlossene Augen.

    • Urs Holzapfel sagt:

      Lieber Herr Nauber,genau wie offensichtlich Sie fürchte auch ich,dass bei weiterer Überalterung der Gesellschaft und knapperen Mitteln für Renten- und Krankenkassen der Druck auf alte Menschen steigen wird,ihrem Leben „freiwillig“ ein Ende zu setzen.“Freiwillig“ mit ein bisschen „Sterbe(nach)hilfe“ ihre Umgebung.Wehret den Anfängen!

    • raetus sagt:

      Hallo Leo Nauber. Ich weiss nicht genau was sie mit ihrem Kommenta sagen wollen. Ich finde es aber schade wen über ein Thema nicht gesprochen werden sollte, weil in irgendwelcher Zukunft ein weiteres Thema eventuell folgen könnte.

      Ich finde Sterbehilfe um vieles besser und humaner, als wen sich die Lebensmüde vor einen Zug werfen

      • Leo Nauber sagt:

        @raetus: Ich habe nicht gesagt, man solle oder dürfe darüber nicht sprechen. Ich wünsche sogar Diskussion.
        Aber, wer sich nur an die Hitlerzeit, Stalin oder sonstige Zeitgenossen, vor allem dem Kommunismus zurückerinnert oder darüber liest wird schnell verstehen, dass die Gesellschaft sehr schnell für Selektionen zu haben ist.
        Siehe Kommentar von Urs Holzapfel

        • maia sagt:

          Ich frage mich auch, warum die Menschen „lebensmüde“ sind.
          Sind sie es vielleicht auch, weil die Gesellschaft sie nur noch als „wirtschaftliche Belastung“ sieht? weil nur noch diskutiert wird, dass die Pflege sehr viel kostet? Weil immer wieder vermittelt wird dass die Pflege aufwändig und teuer ist? Menschen nicht mehr als wertvoll wahrgenommen werden? sondern nur noch als Last! – ist es nicht so, dass die Gesellschaft viele Menschen direkt in die Lebensmüdigkeit und damit in den Suizid treibt? Zur Zeit noch sogenannt „freiwillig“ aber wann wird es so sein wie Herr Nauber schreibt?

  • Sacha Meier sagt:

    Jedem Menschen sollte ohne Einschränkungen erlaubt sein, sein eigenes Leben zu beenden und dafür auch Hilfeleistung Dritter in Anspruch zu nehmen. Sei dies aus gesundheitlichen, persönlichen oder wirtschaftlichen Gründen. Mit der zunehmenden und unumkehrbaren Verarmung der Massen in allen westlichen Ländern wird der letztgenannte Suizidgrund bald Millionen von Menschen betreffen. Das ist bereits in Griechenland und Italien an der Tagesordnung. Auch ich würde als armer Chronisch-Kranker irgendwann den schnellen Ausstieg wählen wollen, wenn sich alle Hoffnungen zerschlagen hätten.

  • heidi reiff sagt:

    Ich habe viele traurige Dinge erlebt von mir nahestehenden Menschen SUIZID, teilweise auf schreckliche Art, keine details, ich habe so meine eigenen Bresten, vom Wunsch her möchte ich uralt werden. Ist eigentlich diese DIGNITAS eine Sekte……..

    • max sagt:

      @Heidi Reiff

      Dignitas ist nicht genau eine Sekte. Sie wird von dem sehr eifrigen, von seinen Anliegen ziemlich verbiestert überzeugten Ex-Journalisten, Ex-Linken Rechtsanwalt geführt. Ich denke, ihm ist die Sache an sich ein Anliegen. Religiöser Eifer ist mir nie aufgefallen. Einfach eine Art sture Verbissenheit.

  • Martin Cesna sagt:

    1. Die Idee von der Freiheit in Zusammenhang mit dem noch assistierten Sterben lässt ausser acht, dass besonders ältere Menschen dann lieber sterben, wenn ihre Lebensbedingungen nicht mehr passen. So geht es zuerst um Lebensbedingungen, die dem qualitativen Leben förderlich sind. Sonst öffnet man einem durchaus letalen Darwinismus Tür und Tor.
    2. Ich erwarte im Waadtland ein humanes Ablaufprozedere, dass nicht etwa dem schweizerischen Ausländergesetz von 1936 entspricht (zu teuer also weg!). Der Wille sollte sachlich nachvollziehbar sein und nicht depressiver Natur sein. Und „Exit“ u.ä. raus!!

  • Francis Schaad sagt:

    Un patient mort est un client perdu pour beaucoup qui prétendent aider.

  • Katharina sagt:

    Ich finde es richtig, dass eine saubere gesetzliche Grundlage für assistierten Suizid geschaffen wird. ich würde aber, um jeglichen Zweifel betreffend Interessenkonflikten zum vornherein auszuschalten, die Spitäler etc. und dort dienst tuenden Mediziner aus einem solchen Gesetz explizit ausschliessen und zwar sowohl in der Beurteilung der Kriterien für einen konkreten Patienten, als auch in den für den Suizid notwendigen Massnamen.

  • Susanne Reich sagt:

    Obwohl ich absolut für ein selbstbestimmtes Leben bin, also auch, dass ein Mensch selbst bestimmt, ob er sein Leben nun beenden will und auf welche Weise. Es ist sein Leben! Ich könnte mir nur vorstellen, dass nicht jeder Arzt einverstanden damit wäre, Sterbehilfe zu leisten. Auch er hat ein Recht auf seine Entscheidung. Es darf nur nicht zum Kommerz werden, sondern die Hauptsache muss die Würde und der Wille des Erkrankten bleiben!

  • Marianne Gautschi sagt:

    Wer von uns möchte gerne, wenn er/sie alt, müde und schwach ist, in ein Alters-und Pflegeheim abgeschoben werden? Zu wenig Personal ist vorhanden, zu wenig Zeit für den Einzlnen. Ich möchte meine Würde behalten und, wenn für mich dies nicht mehr gewärleistet ist, die Sterbehilfe sehr gerne in Anspruch nehmen. Das ist nun wirklich nicht zuviel verlangt.

    • maia sagt:

      Es ist auch nicht zuviel verlangt, dass Sie ihre Würde bis zum Tod behalten können. Unsere Energie sollte genau dahin gehen, dass dies die Gesellschaft gewährleistet. Das ist nicht zuviel verlangt. Es ist zuviel verlangt, dass die Leute Sterbehilfe wählen müssen damit die Gesellschaft keine Verantwortung übernehmen muss.

  • Je pense qu’il faut autoriser cette aide au suicide car la souffrance dans les EMS est épouvantable. Après 11 ans de dyalises trois fois par semaine, ma maman n’a demandé que de mourir les 4 derniers mois de sa vie. Ce que je n’ai pas pu lui apporter. Mais maintenant il le faut. (Nous pouvons le faire pour nos animaux domestiques, pourquoi pas pour les personnes qui nous sont les plus chères ?)

  • Monique BRANDT sagt:

    Pour poursuivre la réflexion à ce sujet, à lire absolument „Rencontre avec la nuit“ de Jacqueline Voillat, Editions d’en Bas, avril 2012

  • Roland K. Moser sagt:

    Ich bin seit ca. 25 Jahren Exit-Mitglied. Eigentlich ist es tragisch, dass es eine Organisation braucht, welche dafür sorgt, dass Menschen entweder natürlich sterben können/dürfen oder eine Freitodbegleitung erhalten.
    Ursache sind die Religionstümler, die immer noch viel zu viel Macht haben.
    Wer gehen will, mussl die dazu nötige Unterstützung erhalten, ohne dass jemand anders über die „Gültigkeit“ des Sterbewunsches befinden darf. Die Selbstbestimmung des Menschen ist doch durch das übergeordnete Menschenrecht gewährleistet?

  • Gérer sa propre mort est une question tout à fait personelle, dont seul le patient peut en décider. Une maladie incurable à un âge avancé, une telle vie ne vaut vraiement plus la peine d’être vécue. Pour cela il faut y remédier et mettre une fin. Personellement j’en ferais pareil. Ne pas incomber plus longtemps au frais de la société et surtout partir le plus rapidement possible afin d’abréger la souffrance!

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