Mein herpetologischer Lottosechser
Nein, diese Kolumne hat trotz ihres Titels nicht mit Herpes zu tun. Der Begriff der Herpetologie leitet sich zwar wie jene Virusinfektion vom griechischen Wort herpein gleich «kriechen» ab. Doch befasst sich die Herpetologie mit Tieren. Mit den Amphibien und den Reptilien.
Und damit zu meinem Wanderziel Born, 719 Meter über Meer. Ich mustere den bewaldeten Hoger kurz nach Olten aus dem Zug. Ein gewaltiger Steinbruch in der Flanke zeichnet ihn. Zwei Stunden später werde ich oben an der Kante des Bruchs stehen, die mit einem Drahtzaun gesichert ist.
Startpunkt ist die Haltestelle «Kappel Kreuz» des Busses ab Bahnhof Hägendorf. Auf der Mittelgäustrasse laufe ich Richtung Olten und biege endlich rechts in den Hasenweg. Nun ist der Weg gelb markiert. Er führt mich hinauf zur anderthalb Jahrhunderte alten Bornkapelle. Das Steinkreuz trägt die Inschrift «O Gott bewahre unsere Fälder, Matten und Wälder». Kurz danach habe ich das erste Mal viel Sicht: Weit reicht der Blick ins Aargauische, Bernische, Luzernische, ich sehe Hügel und Wälder und den Alpenkranz, nicht aber die tiefer liegenden Strassen. Später werden sie sich allerdings zeigen und Autobahnlärm an mein Ohr branden.
Hinab nach Olten
Auf dem Rücken des Born gibt es Panoramapunkte wie das terrassierte Chänzeli, aber auch Naturfaszinosen wie das Heidenloch, so heisst ein begehbarer, burggraben-artiger Schlitz im Kalkstein. Überhaupt suchen all die Tiefblicke ihresgleichen. Und auch die 500-stufige Direttissimatreppe hinab nach Aarburg macht mir Eindruck. Besagtes Städtchen liegt bei der Klus der Aare. Eigentlich war es aber, erdgeschichtlich gesehen, die kleinere Wigger, die die Klus einst ausfrass. Die Aare strömte damals noch dem Jurasüdfuss entlang durchs Dünnerntal. Als Gletscherschotter ihr den Weg versperrte, suchte sie sich ein neues – ihr heutiges – Bett.
Irgendwann ist da ein Schlänglein auf dem besonnten Weg, kaum 50 Zentimeter lang, mit schmucker Fleckenzeichnung auf dem Rücken. Ich fotografiere es, scheuche es danach weg, unwillig kriecht es ab ins Laub. Und ich ziehe weiter, improvisiere einen Abstecher nach links zur Kante des besagten Steinbruches, in dem über mehrere Jahrzehnte Kalk für die Zementproduktion abgebaut wurde. Dann steige ich ab, erreiche die Aare, gelange über den Fussgängersteg an ihrem linken Ufer und eine Baustellen-Umleitung zum Bahnhof Olten.
Seltene Schlangen
Auf dessen Ostseite kehre ich im «Flügelrad» ein. Die Quartierbeiz war eigentlich schon tot. Da erwarben sie der Journalist Werner de Schepper sowie die Schriftsteller Alex Capus und Pedro Lenz, bauten sie neu, und seit Anfang Jahr ist das «Flügelrad» ein helles, gastliches, volksnahes Lokal. Ein guter Ort, diese Wanderung zu beschliessen.
Zuhause melde ich meinen Schlangenfund, wie es sich gehört, samt beigefügtem Foto der Fachstelle Karch.ch. Wenige Tage später mailt mir ein euphorisierter Forscher von der Uni Neuenburg zurück. Offenbar handelt es sich um die sehr rare Schlingnatter. Ungiftig und für unsereins harmlos, tötet sie ihre Beute, andere Schlangen etwa und Eidechsen, durch Erdrosseln. Auf dem Born wurde sie erst zweimal gesichtet, 1964 und 1987. Und jetzt bin ich, Widmer, 2011 der dritte Beobachter. Mir ist, um den Schlangenexperten zu zitieren, ein «herpetologischer Lottosechser» zuteilgeworden.
Route: Bus ab Bahnhof Hägendorf zum Startort Kappel-Kreuz (zu Fuss 15 m). Auf der Mittelgäustrasse Richtung Olten vorbei an Kreuz, Rose, Linde, Pöstli und erst danach beim Hasenweg rechts einbiegen (ab hier Wandersignalisation). Bornkapelle. Born-Chänzeli. Born-Heidenloch. Oltnerberg. Linksseitiger Aareuferweg in Olten. Bahnhof Olten. (Abstecher zum Flügelrad auf der Ostseite des Bahnhofs und retour).
Dauer: drei Stunden.
Höhendifferenz: je circa 300 Meter auf- und abwärts.
Charakter: Leicht, aussichtsreich. Gut die Hälfte im Wald. Bei Nässe kann der Kalk unangenehm glitschig sein, Vorsicht beim steilen Abstieg!
Schlingnatter: Ein ausführliches Porträt der seltenen Art gibt es auf www.karch.ch
Höhepunkte: Die Bornkapelle. Die Tiefblicke vom Born auf die Aare, die Bahnlinie Olten-Langenthal, Aarburg, den Bornbruch.
Einkehr: Sehr gut isst man im Kreuz in Kappel am Startort (Di, Mi Ruhetag). www.kreuz-kappel.ch. Einen guten Eindruck macht das gemütliche Flügelrad in Olten (Sa, So Ruhetag, unter der Woche offen ab 11.30). www.flügelrad.ch
Karte: Wanderkarte 1: 50 000 «Olten», 224 T.
Thomas Widmers Wanderbücher gibt es im Echtzeit-Verlag, www.echtzeit.ch.
Wanderblog: widmerwandertweiter.blogspot.com
6 Kommentare zu «Mein herpetologischer Lottosechser»
Die Schling- oder Glattnatter (Coronella austriaca) ist selbst dort wo sie häufiger vorkommt schwer zu finden weil sie meist sehr versteckt lebt. Es sind hübsche und völlig harmlose Tierchen und damit eigentlich ein guter Anfang für Menschen mit Schlangenphobie.
Aber, @Daniel, keine Angst – Du wirst sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht sehen.
Ich bin häufig, gezielt in Reptilienbiotopen unterwegs. Trotzdem ist es für mich jedes Mal ein Highlight diese Tierchen zu finden – und das bei gezielter Suche!
Wer Bilder mag:
http://www.salamanderseiten.de/naturfotos/reptilien/coronella_austriaca/coronella_austriaca.htm
Um die Born-Sage zu finden gehst du auf amobo.de und suchst unter dem Titel: Drei Sagen aus dem Schweizer Mittelland.
Es existieren übrigens einige Sagen vom Born. Eine besonders schauerlich-schöne ist „Der Werwolf vom Born“
Am Born auf Aarburger Seite liegt übrigens das „1000er Stägli“, ein sehr lange Treppe mit über 1000 Tritten, welche von der Aare in gerader Linie fast bis ganz oben auf den Born führt.
Bild und Lage siehe hier:
http://www.panoramio.com/photo/23262682
Schönes Ausflugsziel. Ich hoffe einach das ich keine Natter sehen werde. Ich habe eine Reptilienphobie.
Wer seltene Schlangen beobachtet, kann diese wie alle Amphibien und Reptilien der Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptliienschutz in der Schweiz (karch) melden:http://www.cscf.ch/cscf/page-3817_de_CH.html. Die Beobachtungen werden dann in der schweizerischen Fauna-Datenbank abgelegt und dienen Schutz- und wissenschaftlichen Projekten.