Wer haftet bei einem Kletterunfall?
Der Kletterunfall von Evelyne Binsack gibt zu reden – und zu denken. An einer Landwirtschaftsmesse in Ilanz stürzte die Profialpinistin bei einem Showduell aus 4 Metern Höhe ungebremst auf den Boden. Dabei erlitt sie eine Fraktur am sechsten Halswirbel. Es geschah, als sie sich abseilen lassen wollte.
Gegenüber den Medien sagte die 43-Jährige, sie könne sich den Sturz nur dadurch erklären, dass sie falsch gesichert worden sei. Die verantwortliche Seilführerin habe sich bei ihr telefonisch entschuldigt und gleichzeitig gesagt, sie sei erst am Morgen der Veranstaltung über die Handhabung des Abseilgeräts instruiert worden. Binsack prüfe mit ihrem Anwalt, ob der Veranstalter zur Rechenschaft gezogen werden kann. Eine Anzeige wegen Körperverletzung wurde bei der Polizei bereits eingereicht.
Diese Aussagen bestätigte gestern ihr Lebenspartner Marcel Guinand, während Evelyne Binsack in der Schulthessklinik in Zürich zur neurologischen Nachuntersuchung war. Operieren muss sie den Wirbel nicht. Am meisten machen ihr im Moment die Folgen der Hirnerschütterung zu schaffen, die sie beim Aufprall zusätzlich erlitten hatte: Kopfschmerzen und Müdigkeit. An Sport darf sie vorläufig nicht mal denken. Maximal eine Stunde täglich langsames Spazieren, die restliche Zeit muss sie liegen. Wie lange die Heilung dauert, könne man im Moment nicht abschätzen. Aber es wird einige Wochen dauern. Ihre Projekte muss sie vorläufig auf Eis legen. Dass sie einen Juristen eingesetzt hat, der sie bei einem möglichen Strafverfahren und Zivilprozess vertreten kann, sei nicht böse gemeint, sondern «eine Folge des Vorfalls, die man sich nicht wünscht».
In der Halle klettert jeder auf eigene Verantwortung
Losgelöst von Evelyne Binsacks Unfall, Showduell und kommerziellen Anlässen stellt sich die Frage: Wie sieht die Situation für uns gewöhnliche Kletterer aus, wenn wir in der Halle oder im Klettergarten trainieren? Liegt die Haftung alleine bei der sichernden Person, falls es zu einem Bodensturz mit schweren Verletzungen kommt? Es geht ja nicht nur um den moralischen Aspekt. Ein Unfall kostet schnell mal mehrere 10’000 Franken. Spital, Rehabilitation, Arbeitsausfall, etc. Sobald Versicherungen ins Spiel kommen, wirds oft ungemütlich. Sie räumen Vertrauen und Kameradschaft innerhalb einer Seilschaft keinen Platz ein. Auch der Berg gilt nicht mehr als rechtsfreie Zone, so wie das früher vielleicht mal der Fall war.

Gefährlich sind Stürze bis zum dritten oder vierten Haken. Ist der sichernde Partner nicht aufmerksam und vorbereitet, kann es zu einem Bodensturz kommen.
Und wem ist in der Halle oder im Klettergarten nicht schon aufgefallen: Es gibt Leute, die ihren Kletterpartner so dilettantisch und womöglich auch fahrlässig sichern, dass man sich fast nicht getraut hinzuschauen. Patrick Hilber, Geschäftsführer des Kletterzentrums Gaswerk in Schlieren: «In der Halle klettert jeder auf eigene Verantwortung. Er muss beim Eintritt per Unterschrift bestätigen, dass er ausgebildet ist und seinen Kletterpartner entsprechend sichern kann. Wir haften einzig, wenn zum Beispiel ein Haken aus der Wand bricht, wir sind für die technische Sicherheit verantwortlich und überprüfen unsere Infrastruktur darum fortlaufend. Unser Personal klettert selber und ist in der Lage, Besucher die falsch sichern, die uns von Kunden gemeldet werden, auf ihre mangelnde Sicherungstechnik hinzuweisen und notfalls einzugreifen.»
Ein wegweisendes Urteil
Zwar sind in der Schweiz bereits Gerichtsurteile nach Kletterunfällen gesprochen worden. Und aus Deutschland und Österreich ist bekannt, dass Leute, denen beim Sichern ein fahrlässiger Fehler unterlaufen ist, zur Rechenschaft gezogen wurden. Eine generelle Gesetzgebung gibt es jedoch nicht. Jeder Fall muss einzeln untersucht und beurteilt werden. Trotzdem: Ein richterlicher Entscheid zum Unfall von Evelyne Binsack wird für uns alle wegweisend sein.
Solange man jedoch mit einem ausgebildeten Partner klettert, braucht man sich allerdings wenig Sorgen zu machen. Denn Sichern ist keine Hexerei, sondern eine Frage der Routine. Ähnlich wie Autofahren.
Aufmerksam sollte man beim Klettern alleweil bleiben, selbst wenn man von seinem Partner gut gesichert wird. Im nachfolgenden Video sind einige sehr unglückliche Stürze zu sehen. Schauen Sie es sich nur an, wenn Sie gute Nerven haben!
10 Kommentare zu «Wer haftet bei einem Kletterunfall?»
Der heutige Blog zeigt m. E.sehr eindringlich, dass man sich vor dem Klettern zuweilen ein paar Gedanken über haftungssrechtliche Fragen machen sollte. Darüber hinaus zeigt der geschilderte Unfall, wie wichtig es ist, dass man beim Klettern mit den Sicherungsgeräten wirklich vertraut ist. Viele Unfälle in der Halle oder im Gelände ließen sich vermeiden, wenn die Beteiligten besser mit den Grundlagen der Klettertechnik, mit Sichern und Ablassen sowie den Seilkommandos vertraut wären.
Mein Tipp: Informieren Sie sich bei den Alpen-Vereinen und Kletterhallenbetreibern in Ihrer Nähe über akutelle Kletterkursangebote. Die Gebühren sind in der Regel erschwinglich und die Kurse relativ kompakt.
:-)
Frau Binsack eine schnelle, vollständige Genesung!
Zur Haftungsfrage: Für mich ein Fall für die Privathaftpflicht des Sichernden sowie die Unfallversicherung der Verunfallten.
Eine Privathaftpflicht zahlt in der Regel nicht, wenn die Handlung im Auftrag geschah, also z.B. wenn jemand für einen Arbeitgeber unterwegs ist oder gegen Bezahlung etwas tut – dann ist der Zahlende Auftraggeber und seine Haftpflicht kommt zum tragen. Wenn die sichernde Person im vorliegenden Fall vom Veranstalter aufgeboten und ungenügend instruiert wurde oder grundsätzlich für die Aufgabe ungeeignet war, dann wird es wohl ein Problem für den Veranstalter werden. Auch das Thema „Partnercheck“ finde ich etwas seltsam bei einer solchen Veranstaltung: Da darf oder muss doch davon ausgegangen werden, dass Leute am Seil stehen, die das auch ohne irgendeine Einschränkung und perfekt können! Routine, nota bene, kann auch eine Kehrseite haben, wenn durch sie die Aufmerksamkeit nachlässt.
Ich denke hier kann die Schuld nicht alleine auf die sichernden Person abgeschoben werden. Letzlich ist der Kletterer selbst dafür verantwortlich, dass ein Partnercheck gemacht wurde – hier gehört für mich (bei einem unbekannten Sichernden) auch eine Frage nach dem Ausbildungsstand am Sicherungsgerät dazu. Leider sieht man auch in der Halle oft eine „das wird schon passen“ Mentalität, in diesem Fall leider mit unglücklichem Ausgang.
Offensichtlich war die Sicherungspartnerin von Frau Binsack nicht auf alle Eventualitäten geschult und/oder hatte zu wenig Übungspraxis. Jemanden erst kurz vorher in ein Sicherungsgerät einzuweisen und jemanden auf einer Veranstaltung unter besonderen Bedingungen sichern zu lassen ist aus unserer Sicht völlig inakzeptabel.
Die Bedingungen unterscheiden sich bei Veranstaltungen völlig von denen beim Hobbyklettern. Zeitpläne, Showatmosphäre, Publikum etc. erfordern ein deutlich höheres Ausbildungsniveau als bei Hobbykletterern – dies ist nicht nur eine Frage von Routine.
Wer klettert ist grundsätzlich selber schuld. Klettern mag ja für einige zum Leben gehören, aber der Allgemeinheit kann dies egal sein. Zudem hoffe ich ja schon, dass die Kosten durch den Kletterer selber getragen werden, sei es über Zusatzversicherungen. Was den Unfall von Frau Binsack angeht, sollte man eigentlich davon ausgehen, dass sie einen entsprechenden Vertrag mit dem Veranstalter abgeschlossen hat. Sonst ebenfalls selber schuld – obschon mir dies natürlich sehr leid tut. Gute Besserung!
@Mike Keller:
Die Frage ist ja, ab wann eine Aktivität fahrlässig ist. Man kann ja genauso Argumentieren, dass Skifahrer oder Mountainbiker selbst schuld sind. Ich denke die Unfallwahrscheinlichkeit beim Klettern ist nicht grösser als bei den oben genannten Sportarten. Oder benötigt in Zukunft jede Sportart eine Zusatzversicherung? Aber dann bitte auch eine Zusatzversicherung für Personen die keinen Sport betreiben, und potentiell höhere Gesundheitskosten verursachen.
Ob Personen die keinen Sport betreiben, höhere Gesundheitskosten verursachen, scheint mir nicht erwiesen. Sport, man denke nur an Fussball mit den tausenden von Verletzungen jedes Jahr und den entsprechenden Arbeitsausfällen, verursacht höhere Unfall/Krankheitskosten. Das heisst aber nicht, dass man auf Sport verzichten soll, Spass hat eben seinen Preis und alles nur auf Kosten reduzieren macht eh keinen Sinn. Sinn hingegen macht, dass sich jeder Sportler privat absichert.
Für sowas müsste in meinen Augen die Unfallversicherung aufkommen, schliesslich ist es ja dann ein Unfall. Logischerweise.
Klar kommt die Unfallversicherung auf. Diese wird aber mit allen rechtlichen Schritten schauen, dass diese die Kosten los werden. Hatte Sie schon einmal einen Bruch? Falls ja, dass wäre eine Minderung des Unfalles (dafür mehr Krankheit). Sicher ist mal, dass etwas nicht mit der Sicherung geklappt hat (es ist ja etwas passiert). -> Haftpflicht …