Festung Grynau und der deutsche Agent


Zwischen Zürichsee und Walensee bietet sich der deutschen Wehrmacht die ideale Lücke zum Durchbrechen – flaches Terrain. Der Schweizer Kriegsgeneral Henri Guisan entwickelt den Plan, die Linth-Ebene im Notfall zu fluten. An Punkten wie der Grynau baut man Festungen – die wiederum Agenten anziehen. Der in Zürich lebende Reichsdeutsche Wilhelm Gebhardt wird verhaftet. Er gibt zu: «Ich kam dann nach dem Schloss Grinau (…), schaute die Bunker und Stacheldrahtverhaue an und kehrte dann wieder nach Uznach zurück. (…) Aus einer kleineren Anhöhe herab machte ich aus dem Walde eine fotografische Aufnahme des Schlosses Grinau, wie auch vom dortigen Elektrizitätswerk.»

Ich muss an den Weltkrieg denken, als ich bei der Grynau aus dem Bus steige. In dieser Festung am Buechberg, dessen Rücken sich beim Schlossturm aus der Ebene löst und parallel zum oberen Zürichsee mächtig emporsteigt, waren 160 Mann stationiert. Sie hofften, dass der Feind nicht käme, sehnten sich nach der Familie. Mittagessen gab es in Uznach, täglich marschierte man hin und retour. Und wer beim Rauchen auf der Wache erwischt wurde, kassierte fünf Tage Arrest. Der Historiker David Mynall hat darüber ein Buch geschrieben – lesenswert.

Ein See von Zürich bis Sargans

Die Rotegg auf dem Buechberg ist mein erstes Ziel, ich ziehe los, und schon sehe ich ein Wegweiserchen; es lenkt zum MG-Bunker 16. Etliche Bunker, Artilleriestellungen, Beobachtungsposten folgen. Um sie zu betreten und von innen zu erleben, müsste ich mich freilich einer Führung anschliessen.

Dann ein Findling, ein Sernifit, der vor 16’000 Jahren auf dem Gletscher anritt. Bereits bin ich ein gutes Stück gestiegen. Zur Rechten habe ich den See, den ich kaum sehe: Der Buechberg ist oben zu breit, und der dichte Forst behindert das Auge zusätzlich. Zur Linken habe ich die March mit dem Dorf Tuggen. A propos: In der Prähistorie erstreckte sich ein See von Zürich bis Sargans. Flussgeschiebe verwandelte Teile in Land, doch der Tuggenersee, seichte Verlängerung des Zürichsees, bestand bis in die frühe Neuzeit fort. Auf der Karte des Zürcher Stadtarztes Konrad Türst um 1496 ist er noch vorhanden.

Gruselige Waldwanderung und trinkfreudige Katholiken

Mal auf breiten Forstwegen, mal auf Gratpfaden ziehe ich vorwärts. Hat man eine wilde Phantasie, kann man sich hier gut fürchten; vor allem, wenn man den Horrorfilm «Blair Witch Project» gesehen hat, in dem junge Leute in einem Wald einem namenlosen Schrecken ausgesetzt sind. Ich bin froh, zwei Menschen zu treffen. Bei einer kleinen Hütte bräteln eine Mutter und ihr Töchterlein. «Saisonbeginn», lacht die Mutter. Das Kind hält die Wurst mehr ins als übers Feuer.

Nach der Rotegg lichtet sich der Wald. Hinter mir füllt der Federispitz den Horizont, links zeigt sich der Gross Aubrig, und weit vorn sehe ich die bewaldete Kappe des Etzel. Der Abstieg beginnt. Die letzte Stunde beschert mir kleine Sensationen und Dinge: den Golfpark Nuolen mit seinen Kunstseelein. Reben und das ambitionierte Weingut Clerc Bamert. Und ein infernalisches Rasseln, als ob Zyklopen einen Werkhof betrieben. Ich unterquere eine Röhre, auf deren Förderband Kies transportiert wird, und entdecke die Grube der Kibag. Dann lange ich in Wangen an. Noch steht der Gang zur Bahnstation Siebnen-Wangen an. Zuerst wird aber eingekehrt. Im Dorfkern ballen sich die Wirtschaften, dass es eine Freude ist. Die Katholiken verstehen sich aufs Geniessen.

Infos:

Route: Schloss Grynau (Bus ab Uznach Bahnhof; SBB-Fahrplan: «Grynau, Tuggen») – Höchegg – Rotegg – Buebental – Rüti/Kiesgrube – Bühl – Wangen – Station Siebnen/Wangen

Dauer: dreieinhalb Stunden.

Höhendifferenz: je 200 Meter auf- und abwärts.

Charakter: Leichte Wanderung auf guten Waldwegen, auch im Winter machbar, vereinzelt kann es vereiste Stellen geben. Stöcke oder Schuhkrallen helfen. Einsamer Wald auf dem Berg, dann geschäftiges Treiben in der Ebene.

Höhepunkte: Die holländische Atmosphäre in der flachen Linthebene bei der Grynau. Die Festungsüberbleibsel. Die infernalische Kiesgrube vor Wangen.

Einkehr: «Zur frohen Aussicht» gleich bei der Kiesgrube (Mo, Di zu). Wenig später die «Weinrebe» (sieben Tage offen). Diverse in Wangen.

Karte: Am praktischsten ist die Wanderkarte 1: 50 000 «Zürichsee» (Hallwag, Outdoor Map).

Thomas Widmers Wanderbücher gibt es im Echtzeit-Verlag, www.echtzeit.ch.

Wanderblog: widmerwandertweiter.blogspot.com

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8 Kommentare zu «Festung Grynau und der deutsche Agent»

  • Jaggi sagt:

    Ich wundere mich, dass nirgens etwas zu lesen war von der probeweise Flutung der ganzen Linthebene von Grynau an aufwärts. 1939 Die Tanks der Deutschen – Panzer gab es damals noch nicht – wären sicher „versoffen!“

  • Thomas Surber sagt:

    Auch ein Blick in die Festung ist empfehlenswert. Sie ist gut erhalten und eine Führung lehrreich: http://www.schwyzer-festungswerke.ch.

  • Th. Marthaler sagt:

    Die Wanderung ist schön und ruhig. Alternativ empfehle ich auch den (etwas nassen zwar) Weg entlang dem Obersee. Zu Abschluss leider ein scheussliches Beispiel der aktuellen Landschaftsverbauung und Zersiedelung: Wangen SZ.

  • David Mynall sagt:

    Nun, die Deutschen sind (zum Glück) nicht in die Schweiz einmarschiert. Die Grynau war übrigens Schauplatz eines Gefechts zwischen russischen und französischen Truppen im ersten Koalitionskrieg.
    Die Festung Grynau ist ein Zeitdokument, das den heutigen Menschen zeigt, wie wertvoll und nicht selbstverständlich die Sicherheit unseres Landes ist.

  • Richard Hennig sagt:

    Als ich habe die Kibag Kiesgrube nicht als „infernalisch“ in Erinnerung. Denn als Kind ging ich dort verbotenerweise an den Wochenenden in den Schlammgruben mit meinen Freunden baden. Ob das heute noch gemacht wird, weiss ich nicht, da ich nicht mehr dort lebe. Aber sonst ein interessanter schöner Bericht von der Gegend wo ich aufgewachsen bin. Danke!

    • Ulf Dietmar sagt:

      Es war ja auch nicht die Kiesgrube, die infernalisch lärmte, sondern das Förderband, das natürlich an Wochenenden stillstand und deshalb von Richard Hennig nicht gehört werden konnte!

  • Hoffmann sagt:

    Vielleicht sollte man auch erinnern dass die letzte Nation die in die Schweiz einmarschiert ist nicht Deutschland war sondern Frankreich unter Napoleon.
    Damals wurden übrigens auch Schweizer zwangsrekrutiert.

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