«Ich kann das nicht!»

Die Selbstzweifel beiseite schieben: Die Autorin bei der Überwindung ihres inneren Schweinehundes. Foto: Privat

Wenn es um Sport und Bewegung geht, ist es (leider) nach wie vor einer meiner am häufigsten verwendeten Sätze: «Ich kann das nicht.» In den letzten Wochen und Monaten habe ich herausgefunden, dass dahinter ein komplexerer Satz steckt: «Ich will das gar nicht erst probieren, denn ich könnte scheitern.»

Ich erinnere mich, als ob es erst gestern gewesen wäre: Wir hatten in der Mittelstufe für eine Turnprüfung den Auftrag erhalten, den Felgenaufzug am Reck zu machen. Ich war schon damals pummelig und die Einzige in unserer Klasse, die das nicht «einfach so» konnte. Dasselbe galt für Klettern, schnelles Schwimmen und für Fussball, wo man mich bestenfalls noch als Goalie einsetzen konnte – meine Angst vor scharfen Bällen hat mich jedoch auch dort an einer grossen Karriere gehindert.

Doch zurück zum Felgenaufzug: Ehrgeizig war ich schon damals. Ich wollte das wirklich können. Meine beste Schulfreundin unterstützte mich, und wir übten an unseren freien Mittwochnachmittagen auf dem Pausenplatz. Gottseidank vor der Smartphone-Ära, denn ich bin mir sicher, meine vergeblichen, verzweifelten Versuche hätten ihren Videoweg in die sozialen Medien gefunden. Ich habe es einfach nicht geschafft, mich hochzuziehen. Ich gab nicht etwa nach drei Mal auf, nein, ich war so richtig verbissen – ich wollte es wirklich können.

Am Abend war meine ganze Leiste mit blauen Flecken übersät und ich komplett niedergeschlagen, aber immer noch kampfbereit. Wir übten weiter, in jeder Pause, nach der Schule… bis ich es einmal schaffte. Dieses Gefühl war richtig grossartig, ich war sooo unglaublich stolz, und die ganze Frustration und die blauen Flecken waren vergessen. Leider schaffte ich es dann an der Turnprüfung nicht und erhielt eine ungenügende Note. Es war ein bitterer Moment. Ich brach in der Turnhalle in Tränen aus, weil mein ganzer Effort, der zähe Weg dorthin nicht belohnt wurde und für den Turnlehrer nur das Endresultat, diese Momentaufnahme, zählte.

Zugang zur Bewegung finden

Das Ziel nie aus den Augen verlieren: Blick auf die Rigi. Foto: Privat

Ich schreibe diese Zeilen, und die Frustration von damals schaut mir dabei über die Schulter. Dieses Versagensgefühl hat sich tief bei mir eingeprägt, zusammen mit unzähligen anderen Malen, bei denen es nicht geklappt hat mit sportlichen Vorhaben. Es ist eine von zwei Prägungen, über die ich auch bereits im Artikel «Warum machen Dicke keinen Sport?» geschrieben habe. Seit den 90er-Jahren ist in der Turnhalle einiges passiert.

Viele Jahre meines Lebens waren von einer starken Bewegungslosigkeit geprägt, welche mit dem Start meines Blogs «Run Couchpotatoes Run» ein Ende fand. Umso erstaunlicher ist es für mich nun, dass ausgerechnet ich zur Anlaufstelle wurde für unterschiedlichste Menschen, die aus verschiedenen Gründen sagen «Ich würde gerne Sport machen / ins Fitness gehen / einen Lauf absolvieren», immer direkt gefolgt von «Aber ich kann es nicht». Ich frage dann natürlich immer gleich nach, warum sie dieses Gefühl haben. Meistens folgt ein längeres Schweigen und dann Aussagen wie «Ich bin einfach zu faul oder zu unsportlich». Wirklich handfeste Gründe – dazu zählen für mich beispielsweise gesundheitliche Einschränkungen, die gewisse Bewegungsformen unmöglich machen – höre ich selten.

Ich kann die Aussagen ein Stück weit nachvollziehen, schliesslich weiss ich ganz genau, wie bequem es auf der heimischen Couch sein kann. Trotzdem versuche ich, Menschen, bei denen das «Ich kann nicht» im Vordergrund steht, zu
motivieren. Wir leben in einem Zeitalter, in welchem es unzählige Fitnessangebote gibt, vom Onlinekurs über Gruppenfitness bis hin zur persönlichen Betreuung. Gut, vielleicht kannst du nicht joggen – dann gibt es noch gefühlte 300 andere Sportarten, die du versuchen kannst. Ich persönlich finde, der ständige «Kampf mit dem inneren Schweinehund» ist ja auch bereits schon fast eine eigenständige Sportdisziplin. Am meisten freut es mich dann, wenn mir ebendiese Menschen, die sich selber als «hoffnungslose Fälle», als zu «faul» und zu «unsportlich» bezeichneten, mir später Bilder von sich beim Walken, Schwimmen oder Wandern schicken. Um es in Obamas legendären Worten zu sagen: «Yes we can!» – und zwar unabhängig von unserer Körperform.

«Ich kann ja doch!»

Ich ertappte mich in den letzten Monaten bei der Vorbereitung meines geplanten Rigi-Aufstiegs trotzdem auch immer wieder dabei, dass dieses «Ich kann das nicht» stark in meinem Kopf herumschwirrt. Zusammen mit der Frage, ob dieses Fragen nicht vielleicht doch eine Nummer zu gross ist für mich. Selbstverständlich gibt es auch genug Zweifler, welche mir noch so gerne süffisant mitteilen, dass ich eh keine Chance habe, dieses Ziel zu erreichen. Aber wisst ihr was?
Der Willensfunke ist entzündet bei mir, genauso wie damals beim Felgenaufzug. Natürlich werde ich länger für die Vorbereitung brauchen als normalgewichtige Sportler. Ebenso liegt es nahe, dass ich einiges länger als andere für den Aufstieg selber benötigen werde. Aber mit «Ich kann das nicht» möchte ich abschliessen – dieser Leitsatz prägte mich viel zu lange und hat nun endgültig ausgedient.

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22 Kommentare zu ««Ich kann das nicht!»»

  • Doris sagt:

    Ich unterstütze Sie, Alexandra, und ich bewundere Sie, dass Sie dranbleiben und nicht aufgeben.

  • Markus sagt:

    Ein Schritt nach dem anderen. So erreichte Kilian Jornet letzten Sommer laufend den Gipfel des Mt. Everest in Rekordzeit und ohne Sauerstoff, so erreiche ich mit über 60 Jahren das Ziel eines 50km+ Ultratrails, und so erreichst auch Du die Rigi. Letztlich ist es DEINE Entscheidung, ob Du das willst und was es Dir (auch insbesondere in der Vorbereitung darauf) wert ist.
    Also pack es an und viel Spass dabei.

    • Alexandra sagt:

      Vielen Dank Markus. Wow – ein 50Km+ Ultratail mit Ü60 – gratuliere zu dieser Wahnsinnsleistung. Die Rigi-Vorbereitungen sind am laufen und es macht Spass – werde sicher auch an dieser Stelle mal noch mehr darüber berichten :-) Auch für dich nur das Allerbeste und weiterhin viel Freude am Sport!
      Herzlich, Alexandra

  • W.M. sagt:

    Liebe Frau Baumann
    Geniessen Sie die Bewegung und die Zeit draussen. Es ist bei jedem Wetter so viel schöner als auf der Couch! Der Rest ergibt sich von selbst.

    • Alexandra sagt:

      Das stimmt… ich habe mich zwischenzeitlich sogar an den Regen gewöhnt. Mein nächster Schritt ist nun, mit dem Schnee Freund zu werden – mit dem stehe ich nämlich bis jetzt noch auf Kriegsfuss ;-) Ihnen ebenfalls eine schöne Zeit draussen! Beste Grüsse, Alexandra Baumann

  • Laura Fehlmann sagt:

    Es ist sehr viel möglich! Selber zäh und sportlich beobachte ich das bei einer Freundin, die plötzlich stark an Gewicht zugelegt hat. Ebenso plötzlich hat sie begonnen, sich zu bewegen und etwas gesünder zu essen. Schlank wird sie wohl nie, aber sie ist sehr ausdauernd, gesünder und die üppigen Formen sehen richtig gut aus. An sich glauben und nicht aufgeben wie beim Felgenaufzug, sowie den Humor und die Liebe zu sich selber nie verlieren. Das alles bringts.

    • Alexandra sagt:

      Mit „an sich glauben“ und Selbstliebe sprichst du hier ein paar Punkte an, mit denen ich mich grad noch schwertue… aber es wird kommen, ganz bestimmt. Ich bleibe dran. Schön, dass deine Freundin fitter und gesünder ist – eine wunderbare Geschichte!

  • super sagt:

    ich hatte glücklicherweise noch nie Probleme mich für Sport zu motivieren auch im Turnuterricht hatte ich nie das Problem nicht mithalten zu können. Trotzdem glaube ich ein Stück weit verstehen zu können dass der Kampf mit dem Schweinehund eine eigene Disziplin ist und glauben sie mir, ich habe riesen Respekt vor Ihrer Leistung. Hoffentlich können Sie noch viele Leute ermutigen und ich wünsche Ihnen schon jetzt viel Spass und Erfolg bei der Rigiwanderung.

  • Othmar Riesen sagt:

    Liebe Frau Baumann, ich bin in der gleichen Situation wie Sie, wenn auch ungleich älter (67). In der Schule wurde ich ausgelacht, weil ich die „Rolle“ nicht schaffte (über den Kopf hinweg zu rollen). Klar, ich hatte Angst, ich würde meine Wirbelsäule brechen. Seither habe ich seit vielen Jahrzehnten das Schwimmen in Angriff genommen, ganz süfferli, nadisna, wie wir Schweizer sagen.. Mittlerweile habe ich einige Medaillen erworben. Und meine Schulfreunde, die mittlerweile träge geworden sind, können nur staunen. Na also: da haben Sie Zukunftsperspektiven!

    • Alexandra sagt:

      Lieber Herr Riesen
      Ouuu die Rolle – da kommen weitere unschöne Turnunterricht-Erinnerungen bei mir auf :-) Schön, dass Sie mit dem Schwimmen das gefunden haben, was Ihnen Spass macht und ich gratuliere Ihnen zu diesen tollen Erfolgen. Dann bin ich doch gespannt, was meine Zukunft noch so bringt…
      Herzliche Grüsse und auch für Sie nur das Allerbeste!

  • Petra sagt:

    DU schaffst das ;-)

  • Martin sagt:

    Gratuliere. Der Sinneswandel vom Pessimisten zum Optimisten/ Realisten, pardon, ich meine Realistin, ist vollzogen. Man kann vieles erreichen. Ich denke, Ihre Ziele sind alle realistisch und machbar, von daher, ja nicht entmutigen lassen. Schieben Sie diese Zweifler beiseite und lassen Sie sich nicht runter ziehen. Wenn die Einstellung und die Motivation stimmen, ist die Hälfte schon getan. Viel Erfolg.

    • Alexandra sagt:

      Herzlichen Dank für Ihre Zeilen. Ich glaube, mein Sinneswandel ist noch nicht komplett vollzogen, aber auf dem allerbesten Wege dazu. Lassen wir die Zweifler im Tal unten auf dem Weg zur Rigi – dann wirds gut kommen :-)

  • H.Decurtins sagt:

    Gratuliere ! Die Glaubenssätze wie: ich kann das nicht, du bist noch zu klein, das verstehst du nicht etc. etc. diese sitzen schon sehr tief in uns. Was haben wir als Kinder nicht zu hören bekommen ? Ich kann nur jedem empfehlen sich dieser Glaubensätze, die er noch in seinem Rucksack hat schnellstens zu entledigen.
    Wir brauchen sie nicht ! Wer wagt, gewinnt – und wagen wir doch mal was Neues, das wir uns noch nie zugetraut haben.
    WIr können doch nicht ändern, was andere über uns denken ! Also auf zu einem neuen Lebensgefühl und weg mit den alten Glaubenssätzen.

    • Alexandra sagt:

      Ja die Glaubenssätze lassen sich (leider) nicht von einem Tag auf den anderen umkrempeln. Aber die Arbeit auf dem Weg dorthin ist ja auch spannend – man lernt nie aus. Ich bin gespannt darauf, was mit neuen Glaubenssätzen noch alles möglich sein wird :-)

  • Amerigo sagt:

    Toll! Gratuliere! Und jetzt wäre es an der Zeit, alle diese Glaubenssätze zu prüfen. Beispiele: „Wer mit dem Rauchen aufhört, nimmt unweigerlich zu“, „Kalorienzählen funktioniert bei mir nicht“, „Mein Stoffwechsel ist kaputt“, „meine schlanke Freundin isst viel mehr als ich“ etc. Damit sage ich nicht, dass diese Sätze bei ihnen vorhanden sind. Ich würde jetzt aber einfach nicht beim „Ich kann das nicht“ aufhören.

    • Alexandra sagt:

      Oh ja, das ist definitiv „Work in Progress“ (mir fällt gerade der passende deutsche Ausdruck dafür nicht ein). Da ist noch so einiges vorhanden, das Dinge verhindert – aber ich bleibe dran :-)

  • Georg sagt:

    Ein tolles Ziel! Viel Erfolg und Spass beim Erreichen.

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