Ein Drama mit zwei Happy Ends

Philipp Pflieger, hier beim Training im Engadin. Foto: zvg

Am diesjährigen Berlin Marathon hoffte die Sportwelt auf einen Weltrekord, schliesslich waren die drei schnellsten Männer am Start. Die Bestmarke blieb unerreicht. Trotzdem hat der diesjährige Marathon Sportgeschichte geschrieben. Er wurde zum Schauplatz eines Dramas – mit zwei Happy Ends. Der Protagonist war aber nicht etwa ein Langstreckenläufer, sondern ein heldenhafter Passant. Fieberhaft suchte die Laufwelt diese Woche nach ihm – über den Äther, im Blätterwald und in den sozialen Netzen. Bis gestern. Aber von vorn.

Die dramatische Szene spielt sich knapp drei Kilometer vor dem Ziel beim Brandenburger Tor ab. Es ist ungefähr 11.20 Uhr. Nur wenige Minuten, nachdem das afrikanische Führungsduo vorbeigestürmt ist, torkelt Philipp Pflieger – der deutsche Favorit – an den Streckenrand. Nachdem er bis Kilometer 37 ein sehr starkes Rennen gezeigt hatte, versagen ihm zum dritten Mal innert zwei Kilometern die Beine den Dienst.

Diesmal hält ihn auch sein eiserner Wille nicht mehr aufrecht. Er verliert die Kontrolle über seinen Körper. Schleppt sich geknickt und mit letzter Kraft zu einem der Pylonen, die die Strecke markieren. Hält sich daran fest. Droht zusammenzubrechen.

«Es wäre ganz gut, jetzt stehen zu bleiben»

Und da tritt er an ihn heran, jener junge Passant in der hellen Jeansjacke, den schwarzen Hosen, den weissen Kopfhörern und der geschulterten Sporttasche. Unaufgeregt, als stünde er genau dafür am Streckenrand, fängt er den zusammenbrechenden Spitzenathleten auf und bewahrt ihn so vor dem Sturz auf den Asphalt. Pflieger kann kaum mehr stehen, sinkt entkräftet in seine Arme.

«In ruhigem Ton sagte der Unbekannte so etwas wie: Es wäre ganz gut, jetzt stehen zu bleiben», wird der Marathonläufer später sagen. Die Kameras sind auf die beiden Männer gerichtet. Die Öffentlichkeit leidet mit, als der Passant eine Wasserflasche hervorkramt, sie dem Läufer an den Mund hält, um ihm dann kühlendes Nass über den Kopf zu giessen. Er bleibt bei Pflieger, bis dessen Manager eintrifft. Und als hätte er seine Funktion damit erfüllt, packt der junge Mann seine Tasche und marschiert los, sobald der erschöpfte Athlet in ein Begleitfahrzeug steigt.

Die Suche nach dem Unbekannten

Erst nachdem sich Philipp Pflieger ein wenig erholt hat, wird ihm bewusst: «Ich habe nicht mal Danke gesagt.» Das lässt ihn nicht mehr los. Der 30-jährige Regensburger wendet sich deshalb über die sozialen Medien an die Öffentlichkeit. Sein «Fahndungsaufruf» wird tausendfach geteilt und retweetet.

«Es war überwältigend», sagt Pflieger. Sein Management richtet eigens für den Unbekannten und für die zahlreichen Hinweise aus der Bevölkerung eine E-Mail-Adresse ein. Genauso gebannt, wie sie Tage zuvor die dramatische Szene in den Strassen Berlins beobachtet hatte, verfolgt die Öffentlichkeit Pfliegers Suche nach dem Unbekannten. Sie war nicht von langer Dauer. Am Mittwochabend meldet der Sportler erleichtert: «Wir haben es geschafft! Clemens und ich konnten uns zum ersten Mal seit dem Berlin Marathon unterhalten. Ich konnte mich bei ihm bedanken.»

Philipp Pflieger liegt derzeit angeschlagen im Bett. Wann er die Laufschuhe wieder schnüren will, mag er noch nicht planen. Eines weiss er aber genau: «Clemens hat mit seiner Reaktion unglaublich viel Sportsgeist gezeigt, das ist nicht selbstverständlich.» Oder um es in den Worten eines der zahlreichen Kommentatoren auf den Social-Media-Kanälen zu sagen: «Die Welt braucht mehr Clemens.»

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2 Kommentare zu «Ein Drama mit zwei Happy Ends»

  • Jack Stoffel sagt:

    Möchte lieber nicht wissen, wie viele Zuschauer und Passanten erst mal das Handy gezückt und draufgehalten haben, anstatt Herrn Pflieger zu helfen.

  • Rico sagt:

    Dieser Clemens hat eigentlich nur das normalste getan was man in so einer Situation tun sollte. Er verdient all den Lob. Vermutlich ist er auch der einzige, der das so sieht,denn sonst wäre er nicht einfach weiter gegangen. Die meisten hätten auf ihre Viertelstunde Berühmtheit in TV und Medien gewartet und Interviews gegeben. Es ist traurig zu sehen und zu lesen, dass in der heutigen Zeit die Dinge, welche eigentlich vollkommen normal sein sollten und keines Kommentares benötigen sollten so in den Medien hochgejubelt werden.

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