Kriechen, bis einen der Stromschlag trifft

Achtung, Strom: Eine Teilnehmerin kriecht unter geladenen Drähten. Fotos: Luminox / Kevin Kyburz @swissky
Die Wikinger waren weder für vornehme Zurückhaltung noch für ausgeprägten Anstand bekannt. Sie zogen eine blutige Spur der Verwüstung durch ihre Epoche der Geschichte, massakrierten, plünderten und schändeten. So erstaunt es wenig, dass eine Veranstaltung namens «Tough Viking» nichts für zartbesaitete Seelen ist.
Der Anlass fand am letzten August-Wochenende in Stockholm statt. 4000 Frauen und Männer loteten über 15 Kilometer und 40 Hindernisse ihre Grenzen aus. Schon das Kleingedruckte auf der Anmeldung liess Schlimmes erahnen. Menschen mit Herz- oder Kreislaufproblemen wurde dringend vom Mitmachen abgeraten und sämtlichen Teilnehmern der Abschluss einer zusätzlichen Versicherung empfohlen.
Renndirektor David Klint, ein Offizier der Eliteeinheit der schwedischen Armee, begrüsste die Läuferinnen und Läufer mit einem leicht sadistischen Lächeln.
Einige Teilnehmer wurden bewusstlos
Ich absolvierte den Parcours im Team mit einem Fallschirmgrenadier der Schweizer Armee, einem schwedischen Dolph-Lundgren-Verschnitt und seinem bis in die Haarspitzen motivierten Mitkämpfer. Das internationale Teamwork klappte sehr gut – vor allem, wenn es darum ging, sechs Meter hohe Rampen und senkrechte Wände zu bewältigen.
Doch bei vielen Hindernissen war man auf sich allein gestellt: Zuerst wurden wir von einer ganzen American-Football-Mannschaft über den Haufen gerannt, dann folgte ein Bad in einem eiskalten Wassertank, ein Lauf durch brennendes Stroh, das Tragen eines «Bulgarian Bag», eines Gewichtgürtels mit gefühlten 40 Kilogramm.
Dann wurde der Tradition Schwedens als Seefahrernation gehuldigt – mit einem 400 Meter langen Bad in einem schlammigen See. Immerhin: Das kalte Wasser entspannte die geschundenen Muskeln auf wundersame Weise. Zu guter Letzt folgte ein Spiessrutenlauf durch Drähte, die mit 10’000 Volt aufgeladen waren – einige Teilnehmer verloren durch den Elektroschock kurz das Bewusstsein.
Wo beginnt der schlechte Geschmack?
Der Grenadier erlitt nach 12 Kilometern einen Krampf, schaffte es aber ins Ziel, wie ich auch. Von zehn Teams schafften es die beiden Schweizer Equipen auf die Ränge 2 und 3 – was einiges über unseren Masochismus aussagt. Gewonnen haben die Briten. Die Ukrainer verpufften ihre Kräfte schon am Vorabend (die Hotelbar), und die Spanier gingen die Sache mit mediterraner Zurückhaltung an – keine schlechte Idee.
Was meinen Sie: Wo hört Sport auf, und wo beginnt der schlechte Geschmack? Ist das noch Spass – oder sind solche Anlässe schauderhafte Auswüchse der Zivilisation?
11 Kommentare zu «Kriechen, bis einen der Stromschlag trifft»
Jaja, mein Vater hat schon recht: „De Herrgott hät verschiedeni Choschtgänger“.
Die Frage ist: Wo hört Sport auf und wo beginnt ein Advertorial, welches zudem Kennzeichnungspflichtig ist? Ich dachte solche schlecht versteckten Werbe-Beiträge (wie hier für einen Getränkehersteller/Marketingagentur) nerven nur auf 20min… falsch gedacht.
Ganz schlechter Stil…
Was soll daran schauderhaft sein? Alles freiwillig, die einen rennen Marathons, Triatlons oder springen mit dem Fallschirm aus Flugzeug oder von Brücken und wieder andere schlagen sich die Köpfe bei einem Feld/Wald/Wiese ein. Wen interessiert’s? Ausbrechen aus dem System, dass will doch jeder. Die Körperlichen und psychischen Grenzen ausloten – tut jedem einmal gut. Der eigene Wille und Fähigkeiten prüfen. Klar, dass dies leider nicht ganz der sogenannten „Norm“ entspricht und meistens den Neider ein Dorn im Auge ist. Neider darum, weil der Mut fehlt einmal „auszubrechen“.
Es braucht schon einigen Masochismus, sich so etwas freiwillig anzutun und von Spass kann da wohl keiner mehr reden. Aber verglichen mit den Gesundheitsgefahren und langfristigen Schäden durch andere Sportarten wie z.B. diverse Kampfsportarten, American Football oder Kunstturnen wirkt das doch eher harmlos. Insofern müsste man ja diesen wenn schon zuerst die Bezeichnung „Sport“ entziehen. Und wenn man schon dabei ist müsste man dann auch dringend alle anderen von Medikamenten und Geld verseuchten Sportarten und deren moralische Abgründe hinterfragen..
Spass ist halt ein sehr subjektives Empfinden. Die Grenzen auszuloten und etwas nicht alltägliches zu tun – natürlich macht das Spass.
Die klassischen Vergleiche Kampfsport etc. – da empfehle ich Ihnen einen Blick auf bfu.ch – die Statistiken sagen etwas anderes – je nach Interpretation natürlich.
Was kann man dazu sagen… einfach nur krank.
was ist daran krank?
Solange es freiwillig ist, dürfen die Leute gerne ihren Spass haben. Aber sobald der Staat junge Leute zu so etwas zwingt, ändert sich natürlich alles, und dann wäre es überhaupt nicht okay. Aber eben, was man hier sieht, geht völlig in Ordnung.
Um die Frage im letzten Absatz zu beantworten: „Sport“ ist wohl kein geschützter Begriff, jede/r kann ihn benutzen, wie sie/er mag. Manche sprechen von Tauben“sport“, wenn sie zuhause darauf warten, dass ihre Brieftauben von einem Wettflug zurückkommen. Andere kriechen eben durch Sümpfe, wie hier beschrieben. Solange alle Beteiligten es freiwillig machen (im Unterschied zu zwangsrekrutierten Soldaten) ist das m.E. völlig in Ordnung.
Sicherlich nicht mein Ding, trotzdem aber noch in der Kategorie (Extrem-)Sport. Jedem das seine/ihre. Gewisse überwinden Ihren pers. „Schweinehund“ an einem Iron Man, andere beim Canyoning oder an einem 8-Tausender, oder mit Ski durch fast senkrechte Hänge hinuter; bei diesen letzteren Tätigkeiten sterben wohl (%-ual gesehen) viel mehr „Sportler“ als beim „Tough Viking“-en. So lange es für einem selbst stimmt…
Sport??? Das wäre ungefähr das Letzte, was ich mit einer solchen Militärdrillübung in Verbindung bringen würde.