Schritt für Schritt in die Hölle

Da lachten sie noch: Der Abstieg beginnt. Foto: Pia Wertheimer

Läuft der Mensch lieber abwärts oder aufwärts? Um diese eine Frage zu beantworten, braucht es keine Erhebungen, Studien oder Untersuchungen, der Fall ist klar: Runter gehts ringer. Erhebt sich das Gelände vor Läufern, beginnt das grosse Klagen; manchen geht die Energie bereits beim blossen Anblick einer Steigung aus. Verteufelt werden Hügel auf Wettkampfstrecken, sie tragen furchteinflössende Namen wie Heartbreak Hill, Doomsday Hill oder Hospital Hill.

Zu Unrecht. Es sind nämlich die Abstiege, die Läufer ausser Gefecht setzen. Das musste ich am Swissalpine in Davos schmerzlich erfahren – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

Es geht Schlag auf Schlag. Foto: Swissalpine

Die 36 Kilometer lange Strecke führt von Bergün über die Keschhütte und den Sertigpass nach Davos. Leer schlucken liess mich vor dem Start der Gedanke an den Anstieg von satten 1720 Höhenmetern. Schier unbeachtet blieb indes der Abstieg von 1550 Höhenmetern. Natürlich hatte es der Anstieg in sich – an Durchlaufen war nicht zu denken. Die dünne Luft, die Steilheit und die Bodenbeschaffenheit machten es schlicht unmöglich – zumindest für mich Normalsterbliche. Oft hiess es deshalb bergauf marschieren.

Wenn die Beine den Dienst verweigern

Welch erhabenes Gefühl nach der Hälfte, oben anzukommen; welche Erleichterung, dass es nur noch bergab ging; welch Kapitalfehler. Ich würde dafür vier Tage nach dem Wettkampf noch büssen. Zwar war der Anfang des Abstiegs zum Rennen ebenfalls zu steil und zu geröllig.

Doch dann verleiteten die Trampelpfade zu höherem Tempo. Ein bisschen Vorlage, und es ging fast von alleine talwärts. Schritt für Schritt lief ich, ohne es zu wissen, in die Hölle. Böses schwante mir, als das Terrain abflachte. Freudig hatte ich auf den Moment gewartet, in dem ich mich als Flachländerin auf bekanntes Gelände begab – denn nach dem Anstieg würde die verbleibende, leicht gewellte Strecke einem Spaziergang gleichen. Dachte ich.

Volle Konzentration beim Weg nach unten. Foto: Swissalpine

In Wahrheit ging es mit mir aber nur noch bergab. Die bleiernen Beine verweigerten ihren Dienst. An Tempo war nicht mehr zu denken. Die ernüchternde Tatsache: Die Reserven waren alle. Unnötig zu beschreiben, wie kläglich ich mich ins Ziel schleppte. Einen Tag später war mir klar, weshalb. Meine vorderen Oberschenkelmuskeln – jene, die fürs Abbremsen zuständig sind – nahmen ihre Rache. Sie liessen mich Höllenqualen leiden. Jede Senke im Asphalt der Strasse, jeder noch so kleine Tritt abwärts jagten mir stechende Schmerzen in die Oberschenkel. Nicht auszudenken, wie es mir ergangen wäre, hätte ich die Königsdistanz von 78 Kilometern in Angriff genommen.

Bergab werden die Muskeln stärker gefordert

Mein Bergabenteuer hat mich gelehrt: Der Abstieg lehrt den Läufer das Fürchten und nicht die Steigung. Oder wie es in Bergläuferkreisen heisst: «Ein Rennen wird im Anstieg gewonnen und im Abstieg verloren.»

Die Erklärung ist einfach: Bergauf rennen fordert vom Herz-Kreislauf-System einen Kraftakt, talwärts geht es in dieser Hinsicht mit geringerem Aufwand schneller. Umgekehrt verhält es sich für den Muskelapparat: Hochlaufen ist für ihn schonender als bergab rennen. Dann ist der Bewegungsapparat einem fünf- bis sechsfachen Körpergewicht ausgesetzt. Die vorderen Oberschenkelmuskeln, die Kniestrecker, kontrahieren dabei und kassieren gleichzeitig die Schläge. Das führt erst zur Verausgabung und dann zu sehr schmerzhaften Kleinstverletzungen.

Trotzdem: Bergläufe wie der Swissalpine bieten eine herrliche Kulisse und eindrückliche Erlebnisse abseits der Strassen. Sie sind jeden Schweisstropfen wert. Deshalb einige Tipps von Lauflegende Markus Ryffel zum Runterlaufen:

  • Laufe strategisch clever und nutze bei einem Wettkampf das Gefälle, um dich zu erholen. Die Konkurrenz zu überholen, zahlt sich vor allem dann nicht aus, wenn das Ziel noch etliche Kilometer weg ist. Mit «zerschlagenen» Muskeln büsst der Läufer überproportional Leistungsfähigkeit ein, die er für flache Streckenabschnitte und Aufstiege nutzen könnte.
  • Lande beim Bergablaufen lieber nicht auf den Fersen, auch der Vorfuss ist nicht sehr sinnvoll. Am besten ist es, dafür die ganze Fussfläche zu nutzen. Rutsche beim Bergablaufen in den Schritt hinein. Besonders auf Kieswegen lässt sich das leicht üben. Richtig ist es, wenn der Schritt dabei hörbar lauter wird.
  • Zu viel Vorlage bringt zu viel Tempo. Damit also nicht übertreiben, sondern eher aufrecht und entspannt laufen. Setze dabei die Arme zusätzlich zur Balance ein, indem sie etwas weniger angewinkelt, aber stärker ausgebreitet werden als sonst.
  • Wenn es ganz steil ist, besser einige Meter marschieren; so bleiben die Schritte kontrolliert und der Läufer verletzungsfrei.
  • Bergab laufen erfordert volle Aufmerksamkeit. Laufe nur so schnell, wie das Hirn noch denken kann.
  • Wer eine coupierte Strecke in Angriff nimmt, sollte unbedingt sein Training anpassen und die Muskeln an diese Art von Belastung gewöhnen.

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9 Kommentare zu «Schritt für Schritt in die Hölle»

  • Willy sagt:

    Lustig geschrieben…und als „Unterländer“ kann ich Dir nachfühlen! Dranne bliibe, dranne bliibe…

  • Gilbert sagt:

    Für Bergläufe gehört ein zielorientiertes Training, ansonsten kann man es vergessen; 1600km und über 35,000HM für den 36.2km in den Beinen und keinen Muskelkater ;). 4h47!

  • Olivier Fuchs sagt:

    Der aktive Bewegungsapparat hat eine innere Reibung, deshalb ist Bergablaufen energetisch weniger belastend. Der Grund, warum Muskeln trotzdem teilweise mehr gefordert sind, ist in der exzentrischen Bewegungsrichtung zu finden (normal für sie ist konzentrisch). Es gibt physiotherapeutische Übungen, wo nur exzentrisch belastet wird. Weitere Täuschung: zuerst aufwärts, dann abwärts. Man ermüde sich zuerst abwärts, dann aufwärts!

  • Mauro sagt:

    War auch einmal ein Bergläufer und schon am SwissAlpine K42 am Start. Habe aber mittlerweile Knie Beschwerden vom runter laufen/springen/rennen oder wandern… Habe deshalb aufs biken umgestellt und wieder richtig Freude in die Berge zu gehen (biken) und ab jetzt noch mehr Freude bekommen wieder runter zu gehen (biken).
    Wirklich eine gute Alternative…

  • Rosche sagt:

    Klassischer Fall von nicht wettkampfspezifischem Training. „Nur“ 1720 hoch und 1550 runter kann man prima im Training voll laufen. Oder zumindest 2-3 mal 1000 hoch und 1000 runter gehört schon zum Minimum. Ein paar Ausflüge in die Berge gehören doch schon dazu, wenn man sich an Bergläufen versuchen will? Sonst endets genau so.

    Wenn es sich der Körper am Tag X dann muskulär gewöhnt ist, ist die Limitierung im Abstieg nur noch das technische Können (unter Berücksichtigung der erschöpfungsbedingten Hirnleistung ^^).

  • Jürg sagt:

    Der letzte Satz sagt eigentlich alles Wesentliche ;)

  • Markus sagt:

    Also ich weiss nicht woher Frau Wertheimer immer ihre Weisheiten hat, aber ich kenne keinen Läufer/in der lieber Bergab läuft als Bergauf. Dass weiss doch jeder der sich nur ein wenig mit der Materie auskennt, dass Bergablaufen Muskelkater verursacht und die Hauptursache für kaputte Knie und Hüftgelenke ist. Sei es beim Laufen oder Wandern.

  • Mit Humor sagt:

    Und kurze Schritte in höherer Kadenz gibt zwar mehr, aber leichtere Schläge. Dies führt einer kleineren Gesamtbelastung.

  • Peter Steiner sagt:

    Hört endlich auf zu jammern.

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