Die neue Hüttenkultur
Ein Hochgewitter hatte uns im Aufstieg zur Fornohütte überrascht, die Bäche schwollen an, drohten, uns den Weg abzuschneiden. Mit aller Kraft kämpften wir gegen den Sturm, der uns eiskalten Regen ins Gesicht peitschte. Die Hütte war trotz des miserablen Wetters gut besetzt. «Bergtheater» war angesagt. Während unsere Kleider am Ofen trockneten und in der Küche das Nachtessen kochte, führten die Schauspieler Gian Rupf und René Schnoz im Winterraum das Stück «Ein Russ im Bergell» auf. Eine Geschichte um den berühmten Bündner Bergführer Christian Klucker und seinen seltsamen Gast Baron Anton von Rydzewski, mit dem er in den 1890er-Jahren die Bergeller Berge alpinistisch erschlossen hat. Theater am Tatort sozusagen, Klucker war der erste Hüttenwart der Fornohütte.
Rupf und Schnoz führen seit einigen Jahren unter dem Label «Bergtheater» Hüttentouren mit alpinen Theaterstücken durch, fünf Produktionen bisher. Dabei wandern sie von Hütte zu Hütte, schleppen die Requisiten im Rucksack mit und improvisieren die Aufführung angepasst an die lokalen Gegebenheiten. Bei schönem Wetter im Freien. Diesen Sommer sind sie in der Innerschweiz und in Graubünden unterwegs mit dem Stück «Einsame Spitze» des Zürcher Schriftstellers und Bergsteigers Roland Heer.
Viel Fussarbeit für Literatur hat die Appenzeller Schriftstellerin Angelika Wessels geleistet, die ihren Krimi «Einsatz im Alpstein» in zwei Dutzend Bergbeizen und Berghütten im Alpstein vorstellte.
Volle Hütten-Agenda
Die Hütten in den Alpen sind längst nicht mehr nur Obdach für Kletterer und Wanderer, wie die Hütten-Agenda des Schweizer Alpen-Clubs zeigt. Theater, Lesungen, Kunstinterventionen, Performances und Kurse beleben die Hüttenkultur, die sich einst aufs Pfeifenrauchen, Jassen und das Erzählen von alpinen Heldengeschichten beschränkte.
«Arte Albigna» zum Beispiel organisiert diesen Sommer im Bergell ein «wandernd erlebbares Kunstprojekt» mit Installationen bekannter Künstler und Künstlerinnen vom Tal bis ins Umfeld der Albignahütte, dazu ein Rahmenprogramm mit einer Lesung von Tim Krohn, Künstlerfrühstück auf der Hütte, Kunstwanderungen, Filmen und vielem mehr.
Gelegentlich werde ich selber zu einer Lesung auf eine Hütte eingeladen mit der Bemerkung: «Franz Hohler war auch schon da.» Ein Anlass in der Glecksteinhütte ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Bestes Wetter, die Hütte proppenvoll. Das Publikum hörte mir zwischen Hauptgang und Dessert freundlich aufmerksam zu, obwohl die meisten nicht wegen der Literatur zur Hütte aufgestiegen waren. Als Honorar hatte der Hüttenwart für mich einen Bergführer mit dem Spitznamen «Yeti» engagiert, und so bin ich ein einziges Mal im Leben zu einer Tour mit Bergführer gekommen – aufs Wetterhorn. Er sei während der Lesung eingeschlafen, schrieb mir «Yeti» später. Dafür habe er das Buch gelesen und dabei immer meine Stimme gehört. Hüttenkultur wirkt offensichtlich nachhaltig.
Ein Kommentar zu «Die neue Hüttenkultur»
Gegen Kunstwanderungen und dergleichen habe ich nichts einzuwenden, denn da habe ich die Wahl, ob ich daran teilnehmen möchte oder nicht. Veranstaltungen jedoch, die IN der Hütte stattfinden-, an denen ich unfreiwillig teilnehme, sobald ich meinen Fuss über die Schwelle setze, empfinde ich als störend. Ich werde mich in Zukunft vorab informieren, wann, wo, welche kulturellen Berghüttenevents stattfinden, um ihnen aus dem Weg gehen zu können. Ich stelle mir gerade vor, wie nach einem mehrstündigen Aufstieg erschöpft aber (noch) glücklich in der Planurahütte ankomme und mitten in eine Theateraufführung eines Autors „trampe“, der sein neustes Buch promotet.;-)