Wie ich zum Wanderpapa wurde
Vor zehn Jahren trat der Zwergenkönig in mein Leben – er fragte nicht lange und veränderte es von Grund auf. Später hiess er seinen Hofstaat herkommen – nach drei Jahren die Zauberfee, vier Jahre danach den Lichterprinzen. Sie machten sich ebenso in meinem Leben breit, bedienten sich frech meines Schlafes und beschränkten meine Freizeit und Bedürfnisse auf ein absolutes Minimum. Klar hatte ich ihnen freizügig den Zugang zu meinem trauten Heim gestattet und glaubte, eine Ahnung davon zu haben, was ich damit tat. Die drei lehrten mich das Gegenteil.
Adieu Ehrgeiz
So weit, so normal. Aber eines liess ich mir nicht nehmen: das Wandern. Und so wurde ich zum Wanderpapa. Adieu grosse Gipfel und Ehrgeiz, willkommen Kurzwanderung und Geduld. Und ich merkte bald: Das ist der Hammer! Ich liess mich ein auf die wusligen Erzählungen aus dem Leben des Zwergenkönigs, die urkomischen Fantasiefiguren der Zauberfee, das mantraartige Steinchensammeln des Lichterprinzen. Unterdessen springe ich wieder in Unterhosen in Bergbäche, suche fiebrig im Dunkeln nach quakenden Fröschen, kuschle mich in den Hüttenschlafsack – meine Kinder machen mir vor, wie es geht.
Seit ich Wanderpapa bin, habe ich auch gelernt, was einen guten Familienwanderweg ausmacht. Nein, es sind nicht die Themenwege, die wie Pilze aus dem Boden schiessen. Die haben ihre Berechtigung, aber ich brauche sie nicht. Ich liebe die Wanderwege, die uns kleine und grosse Kinder herausfordern, selber kreativ zu sein. Dazu braucht es nur eine Burgruine, einen Kletterbaum, eine geheimnisvolle Höhle, eine Suone, einen Bergbach fürs Rindenschiffchenbauen – eigentlich reicht schon ein einfaches Picknick auf einem Baumstrunk mit anschliessender Tannzapfenschlacht. Mit diesen Zutaten sind wir gerne unterwegs. Und falls dies alles nicht reicht, erfinde ich haarsträubende Geschichten oder verstecke Gummibärchen in einem Fels – Letzteres zieht immer. Mit Garantie.
Stress verboten
Das Allerwichtigste aber ist Zeithaben. Gestresste Papas sind nicht cool. Gestressten Papas fehlen die Flausen im Kopf. Bei der Planung bin ich deshalb sehr grosszügig. Ich verdopple die berechnete Zeit und schaue, dass ich bei etwa fünf Stunden lande. Darin inklusive ist, dass Kinder weniger schnell wandern, oft Pausen machen wollen, manchmal schlicht nicht motiviert sind. Als sich die Zauberfee vor einiger Zeit auf halbem Weg von der Planalp ins Tal nudelfertig neben die Geleise der Brienzer Rothorn-Bahn legte, wusste ich, dass nur mit gut zureden nichts zu machen ist.
So liess ich den Lichterprinzen aus der Rucksacktrage aussteigen, warf mir die müde Tochter über die Schulter und liess uns mit grossem Tamtam fotografieren. Das lenkte ab, und die kurze Strecke bis zum nächsten Wasserfall, wo wir eine Pause einlegten, verflog im Nu. So etwas klappt nicht immer, aber meistens dann, wenn ich es nicht erwarte.
Noch ein Wort zum eingangs erwähnten Abschied vom Ehrgeiz. Dem ist natürlich nicht so. Wer schon einmal einen Tag lang eine Kindertrage mit Kind und Material für drei Sprösslinge getragen hat, weiss, wovon ich spreche. Es trotzdem immer wieder zu tun, heisst, den gesunden Ehrgeiz anzustacheln. Verglichen damit ist das Erreichen des Gipfels Nasenwasser.
Lesen Sie dazu auch das Mamablog-Posting «Wandern mit Kleinkindern – eine gute Idee?»
21 Kommentare zu «Wie ich zum Wanderpapa wurde»
Dieses Unterwegssein mit dem „Wanderpapa“ durften wir letztes Jahr als „Hoffotografen“ sogar einmal begleiten und es ist wirklich so, wie Rémy als Autor beschreibt: plötzlich spielen Zeit und Raum keine Rolle mehr. Der Mann als Vater darf wieder zum Kind werden (was er doch im Heimlichen immer gerne möchte). Einfach wunderbar umschrieben von ihm und absolut nachahmenswert. Rémy macht auch nicht den Eindruck eines dauergestressten Vaters, im Gegenteil. Wir bewunderten ihn für seine Ruhe, Natürlichkeit und Gelasseinheit. Einfach eine „Papaklasse“ für sich! Da sind wir gerne wieder einmal dabei, mit oder ohne Gummibärchen… :-)
Tschau Rémy,
ich les dich gerne ;-).
Und ich möchte mehr davon!
Gruess Simone
Sehr schoen. Ich trauere dieser Zeit nach, als die Kinder noch kleiner, juenger und fuer einfache Sachen zu begeistern waren…. Jetzt sind sie 10 und 14 Jahre alt. Sie wissen nun was Wandern bedeutet, entweder haben sie Lust oder nicht. Wie oft sind wir so relaxed wie oben beschrieben unterwegs gewesen. Mit der Frage -Wer sieht das naechste Wanderwegzeichen-, konnte man sie bereits zum schnelleren laufen bewegen. EinSchmetterling in der Wiese war ein Happening, und Steine fuellten alle verfuegbaren Hosensaecke. Es war herrlich…. na ja, alles hat eine Ende…..
wir fanden unsere 2-tägigen Wanderungen mit männlichem Teenager im Verzasca-Tal nördlich des Lago Maggiore toll. Los ging’s ab der Staumauer – Aussicht, wilde Felsen, Fluss, Steine und Steintürmchen, Wald, die Kunst im Wald unterhalb Lavertezzo, dort übernachten, etc etc.
Wunderbarer Text.
Früher hatte ich Prinzipien, heute habe ich Kinder.
Max Melchlin
Ja genau :)
Danke für den Artikel, gerade in Zeiten, wo wir mit Werbung zu Spiele- und Vergnügungsparks überhäuft werden und uns Eltern fast schon ein schlechtes Gewissen eingeredet wird tut es gut zu hören, wie es geht. Wir waren oft wandern und neulich kam mir die Idee einfach einen Knäuel Schnur zu kaufen zum Picknick. Am Schluss haben wir im Wald ein Labyrinth gesponnen und noch zwei Pfeil und Bogen gebastelt. Wir waren 8 h im Wald und es war nie langweilig und stimmt die Musse brachte die tollsten Ideen. Viele davon durch die Kinder
Schöner Artikel und sympatischer Papi, dachte ich gleich beim Lesen. Die Zeit ist ein wichtiger Faktor. Wenn mein Mann und ich unseren kleinen Enkel nach dem Enkeltag wieder dem Mami bringen, machen wir uns 2 Std. zuvor auf den Weg. Eigentlich wäre der ÖV-Weg in 25min. gut zu schaffen. Mit den 2 Std. bleibt uns aber viiiel Zeit für einen Spielplatzbesuch auf dem Weg, mit einem heruntergefallenen Ast lässt sich ein Speerbogen basteln (Schnur und Sackmesser hat Grosspapi immer dabei). Ein Töibeli-Anfall mit sich auf den Boden werfen des Kleinen, meist wegen eines Kiosk-Heftlis, das er nicht bekommt, liegt zeitlich und nervlich auch gut drinn. „Gewandert“ wird momentan noch mit dem Leiterwagen. Das machts cooler, wenn der Kleine über Beinschmerzen und „mage nümme“ klagt.
Lieber Rémy
Schöner Blogbeitrag, komme ich doch eben aus einer Woche Bergferien mit den kleinen Jungs nach Hause. Riesenschnecken beobachten, kleine Bergbäche stauen, Pfützenhüpfen, Spurenlesen, Geschichten erfinden und Steckenweitwurf haben wir allesamt genossen.
Der Weg ist das Ziel, und mit kleinen Kindern eben halt ein kurzer Weg. Hui und die Augen der Jungs als diese plötzlich Smarties im Moos versteckt fanden.
Ich wünsche Dir noch viele weitere schöne Wandererlebnisse. Liebe Grüsse Sonja (Wir kennen uns noch aus den Zeiten der JuBla…)
Liebe Sonja
Ja, die JuBla-Zeiten waren toll, bin auch heute noch froh um die eine oder andere Erfahrung, die wir damals gemacht haben – insbesondere beim Wandern. Was damals klappte, zieht meist auch heute noch. LG Rémy
Und wenn die Kleinen dereinst zu schwer sind, um getragen zu werden, wird das Gejammer los gehen. Macht nichts. Die nächste Feuerstelle kommt bestimmt, wo man eine Wurst braten kann. Die Kinder werden diese Wanderungen nie vergessen.
Mit Kindern lernt man schon wieder längst Vergessenes neu erleben: Hügel herunterpurzeln, Bäume umarmen, Sauerampfer käuen, Gras zu riechen, Käfer und Amphibien am Boden studieren, in Pfützen zu springen, im Schlamm baden.
Leider werden die Kleinen viel zu schnell gross und alleine unterwegs getrau ich mich nicht mehr so kindisch zu tun:-)
Die Mädels aus dem Mamablogg, sollten sich etwas von ihrer Coolheit abschneiden. Endlich mal wieder ein Beitrag, der ohne Seitenhiebe auf irgend ein Geschlecht auskommt. Normale Beschreibung von Erlebnissen. Danke sehr, mir hat der Beitrag spass gemacht zum Lesen.
ich dachte mir dasselbe; quasi eine Therapie gegen die Unsicherheitsflut unter den Müttern
Schoggi , Schoggi zieht auch als Lockmittel . So habe ich schon viele Wanderungen mit den Kleinen über das Ziel hinaus gebracht :-)))
Und je kleiner und struppiger die Wege umso spannender die Geschichten drumherum, am schlimmsten fanden meine immer die „Autobahnen“ zum laufen.
vielen Dank für diese tolle Beschreibung!
Was auch gut funktioniert hat, ist eine Bahnreise plus Wanderung, die ich mit meinem zweijährigen gemacht habe. Fribourg-Kandersteg, dort Forelle essen, mit dem Bus nach Blausee, dann entlang der Gleise der Lötschbergbahn (noch vor dem Basistunnelbau), dort gab es einen sparsamen Lehrpfad mit toller Aussicht und vielen Zügen nebendran. Zwischendrin haben wir Cervelats gebraten, und das Meiste ist der Junior selbst gelaufen. Die lange Treppe runter ins Tal habe ich ihn dann wieder in die Babytrage gepackt, und weil wir den Bus verpasst hatten, hat uns ein Autofahrer mit nach Frutigen genommen. Super!
Einfach genial. Einmaliger Text, der Empfindungen, Phantasie, Erinnerungen und Humor weckt und vereint. Ich entscheide mich, morgen mit einigen Schülern zu wandern.
dazu gratuliere ich Ihnen. Ich bin ja so enttäuscht von den Schulreisen meiner Kinder. Wanderschuhe braucht es dazu fast nie, immer irgendwelche Tiergärten, oder Schifffahrten, zu Wandern getrauen sich die meisten Lehrer nicht mehr.
Cooler Papi.
So soll es auch sein und nicht anders. Wer dafür diesen Artikel braucht um dies zu sehen sollte eventuell keine Kinder haben. Aber leider gibt es immer noch zu viele Eltern die ihren eigenen Ehrgeiz nicht herunterfahren können für die Kinder.
Genau so, der Weg ist das Ziel