Meine grosse Liebe, das Laufen
Beim Laufen spürt man die Schönheit der Natur: Eine Läuferin joggt durch eine Seenlandschaft. Foto: Getty Images
Der Laufsport war ein Lückenbüsser, als er in mein Leben trat – mehr nicht. Nachdem ich die Tanzschuhe an den Nagel gehängt hatte, fehlte in meinem Alltag ein Ventil, das mich umweltverträglich macht. Es mangelte mir an Bewegung, dank der ich mich lebendig und frei fühle. Den Emotionen, zuvor von einer sinnlichen Rumba, einem ausgelassenen Disco-Swing oder einem melancholischen Englischwalzer entfesselt, fehlte plötzlich der Katalysator. Laufen war ein Notnagel – unkompliziert, überall und bei jedem Wetter eine valable Option. Ein Mittel zum Zweck. Ein Sprungbrett zur nächsten Leidenschaft, viel mehr versprach ich mir davon nicht. Denn mal ehrlich: Diese klobigen Sneaker und diese damals noch sehr maskulinen Outfits, die alle Weiblichkeit, Erotik und Anmut zunichtemachen, was hatten sie gegen glitzernde High Heels mit Pfennigabsätzen und sexy Kleidchen zu bieten?
Just dieser Lückenbüsser war es, der mein Leben drastisch veränderte – sachte, sukzessive, spürbar. Nonchalant schlich er sich in meinen Alltag. Gerade noch Fremde, wurden wir unerwartet Freunde. Er entpuppte sich als verlässlicher Partner, der meinen Kopf lüftete oder für mich Schreibblockaden überwand. Aus Gelegenheitstreffen wurden Rendez-vous, aus Notwendigkeit wurde Freude. Mein neuer Verbündeter brachte mich am Morgen auf Touren, am Nachmittag ins Gleichgewicht und schickte mich abends gelassen und erfüllt ins Traumland. Egal, wie turbulent sich mein Leben gerade gestaltete, auf ihn war Verlass.
Und plötzlich war er weg
Aus Notwendigkeit wurde Leidenschaft. Urplötzlich ist er nicht mehr aus meinem Alltag wegzudenken, er tariert nicht nur meine Gefühlslage. Heute lässt er regelmässig meinen Atem stocken, indem er mir die Freiheit und Schönheit der Natur zeigt. Er lässt mein Herz jubeln, indem er mit mir wie ein ausgelassenes Kind Herbstlaub durch die Luft wirbelt. Gemeinsam schmieden wir Pläne, verfolgen Ziele, von denen wir nicht wissen, ob wir sie je erreichen werden, nur um dem Leben ein Schnippchen zu schlagen. Er treibt mir Tränen in die Augen, wenn ich völlig erschöpft und überglücklich nach 42 Kilometer eine Ziellinie überquere. Er versteht es, mich auf den Boden der Realität zurückzuholen. Und vielleicht wurde er zu sehr zur Selbstverständlichkeit, denn kürzlich lehrte er mich, ihn schmerzlich zu vermissen…
Ein Unfall, ein Laufverbot und fort war er. Alleingelassen tigerte ich durch die Tage, wochenlang. Mein Lückenbüsser hatte eine Lücke hinterlassen. Ich verzehrte mich nach der Freiheit, die er mir schenkt; nach den Emotionen, die er in mir weckt. Die zahlreichen «klobigen Sneakers» vor meiner Tür, Läufer – egal wie unsexy ihre Outfits auch waren – liessen mich en passant die Leere schmerzlich spüren. Der Laufsport hat mir gezeigt: Die grossen Gefühle brauchen keine Musik, die sie entfesselt – sie sind aber auch nicht selbstverständlich.
10 Kommentare zu «Meine grosse Liebe, das Laufen»
Eine romantische Liebesgeschichte. Hoffentlich findet diese ein Happyend.
Allmorgendlich ein Short-Run, ca. eine halbe Stunde, sind unabdingbar für mein Wohlbefinden, kräftigt Herz, belebt Kreislauf, und das angenehme Entspannungsgefühl danach ist unbeschreiblich. Ich bin in einem Alter, indem ich rutschige Strecken meiden muss, habe deshalb im Januar ein paar joggingfreie Tage eingeschaltet. Oh, es war nicht das gleiche. Fast hätte sich schon ein Schlendrian eingenistet! Joggen als Morgenritual, wer es sich zeitlich leisten kann, ist wunderbar. Geht auch abends und am Wochenende.
Ich habe das Laufen vor einigen Monate für mich entdeckt. Ich bin Stolz auf mich dass ich zum Teil 10km am Stück schaffe. Es macht mich glücklich, diese neue Liebe.
„Laufverbot … ich verzehre mich nach der Freiheit“. So ist es. Es gib kaum schöneres, als beim Städtweekend die neue Location erst mal in Laufschuhen zu erkunden. 10 km vor dem Abendessen? 1000 Höhenmeter vor dem Frühstück? Das war einmal, locker. Hoffentlich nicht für immer weg. Radfahren ist ok, aber soo viel umständlicher, besonders im Winter.
Die Autorin schreibt u.a.: „…fehlte in meinem Alltag ein Ventil, das mich umweltverträglich macht.“ Und Leser weisen darauf hin, dass sie süchtig sind.
Bloss, woher kommt ein Suchtverhalten und die Notwendigkeit, etwas extrem zu betreiben, um „umweltverträglich“ oder anders gefragt lebenstüchtig zu sein?
Vielleicht wäre das eine Frage wert, statt Herausforderungen bloss zu kaschieren.
Naturschönheiten lassen übrigens auch denjenigen beglückt staunen, der langsamer und trotzdem wach unterwegs ist.
Nach vielen Jahren Lauftraining und vielen Volksläufen war es genug: Mein linkes Knie begann regelmässig nach 10 km zu protestieren. Dann bin ich von einem Tag auf den anderen aufs Rad umgestiegen. Das Bike, Rennvelo und im Winter Langlaufskis und Fatbike machen mir riesig Spass. Das Laufen vermisse ich nicht. Meine Knie dankt es mir.
Ich kann das nur zu gut nachvollziehen. Ein Läufer seit dem Teenie-Alter kam ich mehr und mehr auf den Tripp. Wochenlaufpensen von 80 bis 110km waren die Norm, das ganze Jahr über. Danach setzten die Probleme mit den Knien ein und ich dachte, ich könne „durch den Schmerz rennen“. Mit chronischer beidseitiger Tendonitis der Patellasehnen wurde ich zu einer viermonatigen Zwangspause „verdonnert“. Das fühlte sich an, wie ein schwerer Urteilsspruch für einen zu Unrecht Verurteilten. Heute, mehrere Jahre danach, bin ich mehr auf Mountainbike und Rennvelo unterwegs, habe aber wieder mit dem Laufen angefangen und bislang hält’s. Nur, jetzt beginne ich wieder vom 100er in Biel zu träumen… Ich denke, die Sucht kann man Kontrollieren, aber nie wirklich hinter sich lassen
Ach ja… Das Laufen war über 20 Jahre meine Konstante, meine Leidenschaft, meine Droge. Nach einem Unfall, einem nachträglichen Sturz und mit einem Rückenproblem war dann abrupt Schluss und ich litt wie ein Hund. Aber mittlerweile hab ich einen (fast) vollwertigen Ersatz: Das Rennvelofahren und die Erkenntnis: Es gibt erstaunlicherweise ein Leben ohne Laufen.
Eigentlich müsste auch ich auf das Rad umsteigen, da mir meine Achillessehne immer wieder zu schaffen macht. Doch bis jetzt habe ich es noch nicht fertig gebracht, mich endgültig von meiner grossen Liebe zu trennen. Die neue passt irgendwie nicht so gut zu mir. Deshalb halte ich immer noch an der alten fest, auch wenn es ab und zu etwas weh tut…
Das verstehe ich gut. Man läuft, solange es irgendwie geht. Ich hörte damit auf, als ich längere Läufe nur noch mit Schmerzmitteln schaffte. Aber aus Erfahrung weiss ich jetzt: Rennrad fahren ist zwar anders, macht aber ebenso süchtig.