Lauf dem Handy davon!

Puls, Schritte und ultimative Verfügbarkeit: Abschalten geht anders. Foto: iStock

Der Hund sei der beste Freund des Menschen, behaupten unverbesserliche Romantiker noch immer standhaft. Doch die digitalen Tatsachen haben Bello & Co. längst in den Zwinger gedrängt. Das Smartphone ist der beste Freund des Menschen. Es nimmt uns das Rechnen, Auswendiglernen und Zählen ab. Es gibt uns stets einen Grund, die reale Begegnung mit Mitmenschen zu vermeiden, einem Gespräch auszuweichen. Es überbrückt tote Zeit – und hütet sogar unsere Kinder.

Es macht uns auch zu besseren Läufern und Sportlern: Schrittzähler, Kalorienmesser, Trainingsplaner werden uns von der Laufindustrie als Tempobeschleuniger und Leistungsoptimierer angepriesen. Widerstand zwecklos. So wie für jede andere Lebenslage gibt es auch im Laufen die perfekte App für jeden Schritt. Das Smartphone zeichnet Distanz, Route und Tempo auf – und lässt uns in Communitys unsere Daten mit anderen Läufern besprechen. Es berechnet unseren Biorhythmus und vergleicht im Wettkampf die Sternenkonstellation mit der Streckentopografie.

Was nützt mir die Zahl der Schritte?

Persönlich kann ich mit diesen Hilfsmitteln allerdings nicht viel anfangen. Was nützt mir die Zahl der Schritte, Treppenstufen und Höhenmeter, wenn ich am Abend Lust auf eine Pizza und ein Glas Wein habe – und mir zum Dessert vielleicht sogar noch eine Cremeschnitte gönne? Ehrlich gesagt, habe ich keine Lust, jeden Bissen und jeden Schluck mit der zurückgelegten Distanz und jedem Schweisstropfen aufzuwiegen.

Als Freizeitläufer ist mir beim handylosen Joggen ein anderer Punkt noch wichtiger: Wenigstens für eine Stunde pro Tag bin ich nicht erreichbar und kann im wahrsten Sinne des Wortes abschalten. Beim Lauf durch einen frisch verschneiten Wald oder über einen Feldweg zwischen Wiesen im Morgentau klingt der Rufton des iPhone wie die Sirene einer Alarmanlage nach einem Banküberfall.

Telefonloses Laufen bringt uns weiter

Auch wenn mir keine spezifischen Leistungsdaten vorliegen, bin ich überzeugt: Ohne Handy läuft man freier und gelassener. Es ist nervenschonend und deeskalierend, wenn nicht ständig die «Gefahr» eines beruflichen Telefonanrufs droht. Wer will schon vor die Frage gestellt werden: Training abbrechen oder den Job zurückstellen? Ich plädiere deshalb mit Vehemenz für das telefonlose Laufen. Erst so spürt man die meditative und selbstreinigende Wirkung des Joggens.

Dies kommt übrigens auch dem Smartphone zugute. Denn Joggen ist für diese Kleincomputer beim falschen Transport eine hochgefährliche Sache. Gegen Witterungseinflüsse hat die Laufindustrie zwar praktische Accessoires parat. Doch die Feuchtigkeit, die unter der Bekleidung und in den Taschen entsteht, kann die Technik killen.

«Keine Elektronik versteht meinen Körper besser»

Selbst einer der grössten Läufer der Geschichte verweigerte sich der Moderne: Der Äthiopier Haile Gebrselassie, Olympiasieger, Weltmeister, x-facher Weltrekordhalter, verwendete weder Pulsmesser noch GPS-Uhren – und vertraute stattdessen seinem Körpergefühl und Gespür für die eigene Leistungsgrenze. «Keine Elektronik versteht meinen Körper besser, als ich ihn verstehe», pflegt er zu sagen. Damit kam Gebrselassie weiter als ihm jede App und jeder Trainingstheoretiker prognostiziert hätte. Deshalb hier auch in seinem Namen nochmals klipp und klar: Lassen Sie das Handy beim Joggen zu Hause. Zurückrufen können Sie später.

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12 Kommentare zu «Lauf dem Handy davon!»

  • Martin sagt:

    da ich nur 3-4mal 10km renne, will ich diese Zeit moeglichst effizient nutzen. Ich benutze seit vielen Jahren eine Garmin Sportuhr, noch vor dem ganzen Smartwatch Hype. Das hilft die Geschwindigkeit zu halten, da ich immer alleine renne.

  • Arnie sagt:

    ist zwar nicht ganz das Selbe, aber ich nerve mich im Fitnesscenter über die Leute die auf den Geräten oder den Fahrrädern / Crosstrainern rumhängen und dabei telefonieren, ihren FB-Status updaten, ein Selfie auf Instagram stellen usw.
    ich treibe Sport um mich zu verausgaben oder idealerweise sogar zu Entspannung…
    ein Handyverbot in Fitnesscentren lässt sich aber wohl nicht durchsetzen, oder?

    • DaniK sagt:

      Nein, das nicht. Aber ich würde erwarten, dass wenigstens das Personal solche Leute auffordert, die Geräte freizugeben (was leider nicht passiert), während sie simsem, facebooken, chatten (sei es über Whatsapp oder mit dem Kollegen der danebensteht) …

  • René Kissling sagt:

    René
    Das Ziel der Pulsmesser sollte ja sein, ein Tempogefühl (z. B. 4’/km) mit einer Puls-und Atemfrequenz zu verbinden und sich mit der Zeit vom Gerät zu lösen und die eigenen Frequenzen zu spüren. Training ist lernen, sich zu kennen.
    Was Musik und andere Störgeräusche betrifft, halte ich es mit Abschalten, Katharsis, neue Ideen kreiern. Natascha Badmann sagte mal nach einem Sieg am knallharten Zofinger Duathlon: „Ich hörte die Vögel zwitschern und hätte noch lange laufen können.“
    Muss hart gewesen sein für ihre Konkurrentinnen aber zeigt doch die wahre Motivation des Sporttreibens auf: schiere Freude am Tun und an der Leistung.

    • Silvio K. sagt:

      Hallo René
      super gschrieben. Ich hab es mal versucht, mit Musik zu joggen. Ich war total gestresst und hab nach kurzer Zeit die Musik abgestellt. Ich bevorzuge es, meine Umwelt wahr zu nehmen. Puls messen tue ich mit einem einfachen Pulsmesser , diese Informationen sind aber eher als zusätzliche Info und bestätigen meistens mein Körpergefühl!

  • Miriam sagt:

    Vor einigen Jahren, zwischen Weihnachten-Neujahr, auf dem Weg zur Uni-Bibliothek mit dem Velo. Auf einem ziemlich verlassenen Weg liegt eine Frau. Sie war vor ca. 45 Minuten beim Joggen gestürtzt und hat sich das Bein gebrochen (wie sich nachher herausstellte). Da sie jedoch kein Handy dabei hatte und so früh am Morgen fast niemand unterwegs war, musste sie so lange verletzt in der Kälte liegen, bis jemand per Zufall vorbeikam (ich). Seither gehe ich nie mehr ohne Handy joggen. Ich zeichne nichts auf oder so, es geht mir genau um solche „Notfall-Situationen“ wie oben beschrieben. (und ab und zu ein schönes Foto :-) )

    • DaniK sagt:

      Wie oft bricht man sich das Bein beim Joggen?

      • Miriam sagt:

        Nicht allzu häufig denk ich mal.
        Wieviele Unfälle hattest du schon mit dem Velo? Ich noch keinen und trotzdem fahr ich nur mit Helm.
        Für mich ist es sicherer, ein Handy dabei zu haben, um im Notfall jemandem Bescheid sagen zu können. Und Notfall beinhaltet nicht nur Unfälle, ich kann mir da noch viele andere Situationen vorstellen.

  • Roland K. Moser sagt:

    Zurück in die Zukunft!
    Den Ramsch noch beim Joggen oder Velofahren dabei zu haben, macht wirklich keinen Sinn.

  • Markus sagt:

    Danke, ganz ihrer Meinung! Und was mich ich mich bei all dieser Technik auch frage: was passiert mit all diesen Daten die so gesammelt und geteilt werden?

    • Tim Weser sagt:

      Was mit den Daten passiert, kann man jeweils in den Nutzungsbedingungen des entsprechenden Anbieters nachlesen.

      • Markus sagt:

        Genau, und diese so so verallgemeinend geschrieben, dass de facto alles damit gemacht werden kann.

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