Ein Halbmarathon bei –12 Grad

  • Halbmarathon fast geschafft: Walter Denz beim Zieleinlauf in St. Petersburg.

  • 1500 Läufer am Start: Ein weiterer westlicher Trend schwappt nach St. Petersburg über. Foto: vk.com/Mikhail Evstratov

  • Von Jahr zu Jahr mehr Zuschauer entlang der Marathonstrecke. Foto: Archiv Walter Denz

  • Mit militaristisch-sowjetischer Symbolik: Ein Marathon im Gedenken an die 900 Tage dauernde Leningrader Blockade durch Nazi-Deutschland. Foto: vk.com/Mikhail Evstratov

  • Militärküche: Kascha (Haferbrei) aus der Feldküche zur Stärkung beim Ziel. Foto: Archiv Walter Denz

  • Mythische Stimmung bei ungewöhnlich warmen Temperaturen. Foto: vk.com/Mikhail Evstratov

  • Glückliche Finisher: Walter Denz (2.v.l.) hat sein ehrgeiziges Ziel von 1:50 fast erreicht. Foto: Archiv Walter Denz

  • Andenken: Im Lande der vielen Orden gibt es für die Finisher auch eine schöne, grosse und schwere Medaille. Foto: Archiv Walter Denz

  • Stolzer Vater, stolze Kinder: Walter Denz mit seinen sechsjährigen Zwillingen Maria und Sebastian. Foto: Archiv Walter Denz

  • Da war die Temperatur in St. Petersburg noch «normal»: Walter Denz beim Halbmarathon 2014.

Als Läufer, der die Hitze nicht mag, sind die Temperaturen in meiner Wahlheimat St. Petersburg ganz nach meinem Gusto. Volksläufe werden in Russland immer populärer, allerdings sind die Anmeldezahlen im Vergleich zu Anlässen in der Schweiz noch winzig. Die Tendenz ist trotzdem steigend – ein weiterer westlicher Trend, der nach Russland überschwappt.

Zum Beispiel letztes Wochenende. Im Gedenken an die 900 Tage dauernde Leningrader Blockade durch Nazi-Deutschland während des Zweiten Weltkrieges machten sich etwas über 1500 Läufer wahlweise an die Halbmarathon- oder Marathondistanz. Der Lauf führt über die historische Evakuierungsachse, die Doroga Schisni – das heisst «Strasse des Lebens». Auf diesem Weg wurden grosse Teile der hungerleidenden Bevölkerung während der Belagerung unter äusserst schwierigen Bedingungen zum westlichen Ufer des Ladogasees evakuiert.

Vom Ufer ging damals die gefährliche Reise weiter nach Osten, über 30 Kilometer gefrorene Seeoberfläche, bei wiederkehrendem Beschuss durch die deutsche Wehrmacht. Die Ostseite des Ladogasees blieb indes unter der Kontrolle der Roten Armee. Über eine Million Menschen wurden über diese Route gerettet.

Die Strasse des Lebens ist voller Denkmäler, die an die Leningrader Blockade erinnern. Die Kulisse ist auch für Läufer sehr speziell, teilweise gar bedrückend. Gelaufen wird durchgehend auf Asphalt, durch Dörfer und Wälder, in Richtung der Stadt.

Unüblich warmer Januar

Während das Thermometer bei meiner letzten Teilnahme im Jahr 2014 noch minus 12 Grad anzeigte (es könnte zu dieser Jahreszeit auch minus zwanzig zeigen), lagen die Temperaturen in diesem Jahr um den Gefrierpunkt. Es war also unüblich warm für einen St. Petersburger Januar; auch die äusseren Bedingungen (eisfreie Strasse, wenig Wind) waren ideal für meinen ersten Halbmarathon in diesem Jahr. Auf den winterlichen Trainingsläufen, in den Stadtparks und entlang des Flusses Newa, kommt man nämlich öfter mal ins Rutschen – vor allem dort, wo dünne Neuschneeschichten altes Eis zudecken. Ich laufe deshalb gelegentlich mit Spikes, auf hartem Schnee bevorzuge ich allerdings eine griffige Gummisohle.

Volksläufe in Russland werden nicht nur von Jahr zu Jahr populärer, sie sind unterdessen auch gut organisiert. Expo, Pasta-Party, Zeitchip, Verpflegung auf der Strecke und Finisher-T-Shirts sind mittlerweile auch in Russland Standard. Als Zugabe gibt es im Lande der vielen Orden eine schöne, grosse und schwere Medaille.

Anfeuernde Babuschkas, genervte Autofahrer

Auch auf der Strecke hat sich einiges getan. Noch vor wenigen Jahren waren die einzigen Zuschauer wütende Autofahrer, die von der nicht angekündigten Totalsperrung der kompletten Laufstrecke wenig begeistert waren, und einige Babuschkas, die an den Haltestellen auf einen Bus warteten, uns aber zurufend unterstützten. Neuerdings werden Läufer von einer steigenden Anzahl Schaulustigen angefeuert.

Mir kam das sehr entgegen. Nach einem ziemlich verbockten Greifenseelauf im September hatte ich mir ein für meine Verhältnisse ehrgeiziges Ziel von 1:50 Stunden gesetzt – 12 Minuten weniger als im Herbst. Nach zwei Dritteln der Strecke wurde aus Wunschdenken eine fassbare Zielgrösse, die ich mit 1:51 Stunden nur knapp verpasste.

Die Euphorie wurde jedoch von den Gedanken an die abscheulichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit – mit über einer Million Toten unter der Zivilbevölkerung – getrübt, an das in St. Petersburg in diesen Tagen erinnert wird.

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4 Kommentare zu «Ein Halbmarathon bei –12 Grad»

  • Helmuth Meyer sagt:

    @ Luise & Roland: Beleidigen Sie nicht die sowjetischen Opfer der Belagerung Leningrads durch Nazi-Deutschland! Dies steht gerade Ihnen beiden als Schweizer überhaupt nicht zu! Ansonsten würde ich von Ihnen der Konsequenz halber erwarten, dass Sie auch einen Gedenklauf organisieren. Und zwar dafür, dass die Schweiz damals Nazi-Deutschland unterstützte und damit indirekt die Belagerung Leningrads, z.B. durch freie Benutzung der Nord-/Südachse durch den Gotthard für Hitler/Mussolini, Waffenlieferungen einer bekannten Fabrik in Zürich-Oerlikon an Hitler etc. Schauen Sie zudem den Film „Das Boot ist voll“, dann wissen Sie auch, wie man damals bei uns mit vertriebenen Menschen vor unserer Haustüre umging. Na, wann findet Ihr Marathon statt?

  • Luise sagt:

    Gratulation! Solche Gedenkläufe bedeuten laufenden Geschichtsunterricht. Hier war es also wegen der Nazi-Belagerung. Würde man der Opfer von Stalin gedenken, käme man aus dem Laufe nicht mehr heraus. Aber da gibts wohl nichts.

    • Roland K. Moser sagt:

      @ Luise
      So ähnlich habe ich es auch geschrieben. Inkl. Zahlen. Natürlich wurde der Kommentar nicht veröffentlicht.

      • Luise sagt:

        Na super! Es waren um die 60 Millionen Menschen, die unter Stalin starben. Vermutlich sind die keinen Gedenklauf wert.

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