Die Wiederauferstehung der Nase
Diese Woche von Aarau durch die Aare-Auen nach Rupperswil (AG)
Noch Wochen danach sehe ich den tiefblauen Fluss vor mir. Den winterlich reduzierten Wald. Die Halme und Farne. Die im Biswind tanzenden Schilfflächen. Die Fischtreppen. Die Tümpel. Die vereisten Pfützen. Und die von Grundwasser gespiesenen, zum Teil kanalartig gefassten Bäche; man nennt sie «Giessen».
Ich rede von den Auen an der Aare zwischen Aarau und Wildegg. Dies ist das grösste Auengebiet des Aargaus und sicher eines der schönsten im Land. Ich hatte davon keine Ahnung, als ich losmarschierte; mir war bloss die vage Idee gekommen, ein wenig flusszuwandern. Am Ende war ich begeistert.
Weil es auf dieser Route so viel zu sehen und so oft innezuhalten gibt, habe ich beschlossen, hier vorerst den Abschnitt von Aarau bis Rupperswil zu behandeln. Mitte Februar will ich die Fortsetzung liefern.
Zuerst noch etwas Kunst
Vorgeschaltet empfehle ich in Aarau eine Exkursion. Ich bin ein Kunstmuffel, doch das Aargauer Kunsthaus zehn Minuten vom Bahnhof entfernt besuche ich immer wieder. Es hat mich noch nie gelangweilt. Vieles habe ich dank ihm entdeckt: die madonnenartigen Frauenporträts von Hans Schärer zum Beispiel, in denen sich Art Brut und Voodoo kreuzen.
Nun zur Wanderung: Der Weg vom Bahnhof Aarau hinab zur Aare ist ausgeschildert. Die verschneiten Jurahöger vor Augen, geraten wir unten stracks in die Auen. Die Stimmung ist jetzt im Winter besonders schön, die Waldstücke sind still, die Natur ruht sich aus – und ah ja, fast hätte ich es vergessen: Abgesehen vom Anfang und Ende hat es auf diesem Weg keinen Hartbelag.
Fisch als Dünger
Der Höhepunkte sind bis Rupperswil viele. Hier nur zwei. Erstens: Die Einmündung der Suhre in die Aare ist ein Bijou. Man hat sie nicht zuletzt um der Nase willen renaturiert; ich meine den Fisch, den die Bauern noch in den Fünfzigerjahren mit der Heugabel fischten, so dicht standen die Schwärme.
Und was taten sie mit dem Fang? Nein, sie assen die Nasen nicht, denn die haben viele Gräten. Körbeweise endeten die Fische auf den Feldern, als Dünger.
Heute ist die Nase vom Aussterben bedroht. An diesem Ort laicht sie wieder, sie schwimmt dazu aus dem grossen Fluss in den kleinen mit seinen strömungsarmen Winkeln.
Kleinhelikopter der Tierwelt
Nach der Brücke hinüber nach Biberstein zieht der signalisierte Weg vom Ufer weg. Das Aarschächli, gefangen zwischen der Aare und ihrem südlichen Altarm, überrascht mit einem riedumstandenen Seelein. Das Kleinparadies, Höhepunkt zwei, wurde schwer beeinträchtigt durch sture Verbauungen. Nach der Jahrtausendwende hat man es wiederhergestellt, und in den letzten Jahren lebt eine Kleinfauna wieder auf, die praktisch verschwunden war; Libellen etwa, diese Kleinhelikopter der Tierwelt.
Vor Rupperswil eine lange Gerade. Dann das Wehr und eine Fischtreppe. Danach halten wir in den Ort hinein vorbei an der alten Spinnerei, einem Industriedenkmal des 19. Jahrhunderts. Nah der Kirche lohnt die Pizzeria Il Posto den Besuch: gutes Essen, anständige Preise, freundlicher Service. Rupperswil ist mehr als der Vierfachmord zu Weihnachten 2015. Ich weiss, jetzt habe ich ihn auch wieder erwähnt – aber es gibt bessere Bilder dieses Ortes. Die Aare und ihre Auen sind traumhaft.
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Route: Aarau Bahnhof – Aareufer – Wehr – Summergrien – Einmündung Suhre – Brücke nach Biberstein – Aarschächli – Wehr – Rupperswil Dorf – Rupperswil Kirche – Rupperswil Bahnhof.
Wanderzeit: 2 1/4 Stunden.
Höhendifferenz: Vernachlässigbar.
Wanderkarte: 224 T Olten, 1:50’000.
GPX-Datei: Hier downloaden.
Tipp: In Aarau zuerst das Aargauer Kunsthaus besuchen. Schöne Sammlung (Caspar Wolf). Vor allem aber immer wieder Gegenwartskunst, die einen nicht gleichgültig lässt.
Charakter: Erstaunlich viel Natur in Anbetracht der Stadt- und Agglo-Nähe der Route. Auen, Seitenläufe, Fischtreppen usw.
Höhepunkte: Die Suhre-Einmündung am Ortsrand von Aarau. Das grosse Seelein des Altarms der Aare vor Rupperswil. Rupperswils schöne Kirche.
Kinder: Perfekt, weil nicht zu lang und abwechslungsreich. Gute Infotafeln. Weil die Route meist am Fluss verläuft, muss man die Kinder aber beaufsichtigen.
Hund: Geht gut. Anleinen der Vögel wegen.
Einkehr: In Aarau ist das japanische Restaurant Imada speziell gut. Ruhetage So/Mo. – In Rupperswil getestet: die Pizzeria Il Posto. Gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, gut gekocht, netter Service. Sa nur abends, So Ruhetag. – Sympathisch wirkt in Rupperswil auch der Bären, Sa nur abends, So Ruhetag.
Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.
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3 Kommentare zu «Die Wiederauferstehung der Nase»
Auch das Stadtmuseum Aarau mit neuer Architektur und spannender, informativer Ausstellung ist sehenswert. http://www.stadtmuseum.ch/
Der Auenschutzpark Aarau-Wildegg ist ein echtes Erfolgsbeispiel von Renaturierung. Hier leben viele Tiere, die man sonst im Mittelland kaum mehr antrifft. Fuchs, Dachs, Wiesel, Reh und Hirsch und Biber treffe ich hier regelmässig, ein Luchs wurde auch schon gemeldet. Auch der Eisvogel ist hier anzutreffen, immer wieder ein tolles Erlebnis. Zusammen mit rund 70 weiteren Vogelarten brüten Graureiher in grosser Anzahl, Silberreiher und Kormorane sind Durchzüger. Und dann gibt es natürlich viele Insekten, Spinnen, Frösche, Eidechsen, Schlangen, … Und gleich um die Ecke gibt es Gämsen (wirklich!). Die Schweiz hat noch ein wenig Natur :-)
Kürzlich habe ich einen Artikel in einem Naturfoto-Magazin über dieses Gebiet geschrieben: https://marco.nef.photography/articles/naturblick_2014_04.php
Auch die Suhre aufwärts ist schön, dort wurde ebenfalls einiges zu Gunsten der Natur gemacht.
http://idnu.ch/wordpress/cacher-und-birderrunde-an-der-suhremuendung/