Wie Götter in Goretex-Hosen

Alpinisten an der Aiguille du Midi im Mont-Blanc-Massiv. Foto: Cristian Bortes (Flickr)

Alpinisten an der Aiguille du Midi im Mont-Blanc-Massiv. Foto: Cristian Bortes (Flickr)

Wenn ich ein paar Tage ins Hochgebirge gehe, übe ich das aus, was derzeit als neuer Gesellschaftstrend entdeckt wird: Nachrichtenabstinenz. Ich habe weder Telefon- noch Internetverbindung, kein Whatsapp, keine Newsapp, nichts. Wunderbar. Doch irgendwann endet jedes Bergabenteuer, ich kehre zurück in die Zivilisation und erlebe jedes Mal eine Art Nachrichtenschock. Unglaublich, wie viel binnen einer Woche läuft – im privaten Umfeld, auf der Arbeit, in der Welt. Alles prasselt dann in geballter Menge auf mich ein.

So auch vergangene Woche: Unter anderem las ich von sechs Alpinisten, die bei drei Unfällen im Monte-Rosa-Gebiet ums Leben gekommen  waren, und von zwei abgestürzten Bergsteigern am Bietschhorn. Acht Bergtote innert 48 Stunden. Es sind erschütternde Nachrichten, den Hinterbliebenen spreche ich mein Beileid aus. Traurig macht mich aber auch, wie pietätlos in manchen Internetforen solche Meldungen kommentiert werden. Von Leuten, die vom Hochgebirge ganz offensichtlich keine Ahnung haben und meinen, ein Wochenende auf dem Sofa sei das richtige Leben.

Menschliche Abgründe

Als Bergsteiger staunen wir immer wieder, dass menschliche Abgründe manchmal tiefer sind als diejenigen im Gebirge. Diese Erkenntnis ist denn auch oft die einzige, die wir aus solchen Meldungen ziehen können. Wir würden gerne erfahren, wie, wo und warum sich ein Bergtod ereignet hat. Doch der Informationsgehalt von Unfallmeldungen ist zumeist krass dürftig. Häufig steht darin nur, dass es noch unklar sei, wie sich das Unglück ereignet habe.

Versucht man sich dann direkt in Alpinistenkreisen oder einschlägigen Foren zu informieren, vernimmt man oft unheimlich abschätzige Geschichten. Zwar hat selten einer den Unfall mit eigenen Augen gesehen. Aber er habe von A. gehört, dass B. von C. erfahren haben, dass D. jemanden kenne, der mit den Verunglückten am Vorabend noch in der Hütte am gleichen Tisch gegessen habe. Und dieser habe schon da gedacht, dass das mit denen nicht gut komme.

Angeblich hatten sie keine Erfahrung, schlechte Schuhe, waren allein unterwegs. Oder sie hatten am Berg eine fahrlässige Linie gespurt, waren den Schwierigkeiten nicht gewachsen oder viel zu langsam unterwegs. Klassische Selbstüberschätzer eben, die sich nichts sagen lassen wollten, nicht einmal von den Bergführern, die auf der gleichen Route waren. Und sowieso hat man im Voraus immer schon gewusst, dass der Schnee am Unfallmorgen seifig, rutschig, lawinengefährdet sein wird oder dass da Steinschlag kommt.

Besserwisser und Wichtigtuer

Dass auch erfahrene Alpinisten verunfallen, dass sich Bergunglücke auch ohne Unwissen, Unvermögen und Ignoranz ereignen, dass es auch Pech und ein Restrisiko gibt, dass jeder von uns schon mal einen Fehler gemacht und Glück gehabt hat, wird ausgeblendet. Warum eigentlich? Nach meinem Geschmack führen sich manche Bergsteiger unerträglich wichtigtuerisch auf. Wie Götter in Goretex-Hosen. Sie sind leider auch nicht sympathischer als die Alpinistenhasser, die im Internet Bergunfälle kommentieren. Besserwisserei hat noch nie etwas gebracht: weder den Verunfallten noch den Nichtverunfallten noch dem Alpinismus im Allgemeinen. Nur den Kritisierenden selber: Sie fühlen sich gut, indem sie andere schlechtmachen.

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22 Kommentare zu «Wie Götter in Goretex-Hosen»

  • Rob Mueller sagt:

    Vor jedem Unfall wurden Fehler gemacht. Und war es auch nur derjenige, unter den gegebenen Vorzeichen überhaupt aufzubrechen.
    Die Anlayse dieser Fehler ist Grundbedürfnis aus dem Überlebensdrang aller – auch nicht Beteiligter. Entscheidend ist die Art wie. Und über diese Kompetenz verfügen nur die wenigsten Berggänger. Schon gar nicht diejenigen, die zwei, drei mal im Jahr unterwegs sind oder hauptsächlich dem Sofasport fröhnen.

    • Peter S. Grat sagt:

      Ich darf annehmen, dass Sie über diese äusserst seltene Kompetenz verfügen. Warum nicht diejenigen Berggänger mit 2, 3 Touren im Jahr? Ab wann darf man sich Chancen ausrechnen zu diesem exquisiten Zirkel zu gehören? Ueberlebensdrang… tönt irgendwie nach Reichsfilmkammer.

  • Lori Ott sagt:

    Andere schlecht machen um sich gut zu fühlen ist eine in vielen Varianten weit verbreitete Krankheit unter Alpinisten. Besserwisserisch über tödlich Verunfallte herzuziehen ist besonders widerlich. Ein anderes Extrem sind jene Typen, welche vor Anderen ihre eigenen Leistungen auf die sie eigentlich sogar stolz sind als bescheiden deklarieren, und somit klar machen wollen, dass sie eigentlich noch viel besser seien als man aufgrund ihrer Leistungen beurteilen kann. Die Message ist jedoch immer dieselbe: „ich bin unendlich gut und du bist nicht viel, darfst mir aber trotzdem zuhören und mich bewundern“.

  • Eduardo sagt:

    Gerade habe ich ein Buch des berühmten Höhenbergsteigers Kurt Diemberger über das Massensterben 1986 am K2 gelesen. Bemerkenswert war, wie blöd sich die Bergsteiger (männliche wie weibliche) dabei mehr oder weniger anstellten. Es gibt offenbar eine tiefe Bergsteigersehnsucht nach dem möglichst effektvoll inszenierten Tod am Berg. Immerhin wird dadurch auch im Flachland für Unterhaltung gesorgt. Tragisch sind diese selbstverschuldeten und völlig überflüssigen Unglücke nämlich nicht.

    Und was das wahre Leben betrifft: Die Berghelden und Bergheldinnen sollten sich am Wochenende lieber zu zweit im Bett amüsieren, da hätten sie vermutlich mehr von, und das bei garantiert null Risiko, ums Leben zu kommen.

  • Herbert Schuhmacher sagt:

    Toller Artikel Natascha, danke. Trotzdem ist es so, dass Unfälle nicht einfach so passieren – sie werden veruracht. Fehler von bergsteigenden Menschen sind an der Tagesordnung und werden zum Glück meistens von der Natur und den Umständen „vergeben“. Falls nicht, sind fast immer noch mehrere andere Faktoren im Spiel. Die wenigsten von diesen supergescheiten Kommentatoren wären jedoch in der Lage die richtigen Schlüsse aus einem komplexen Unfallgeschehen zu ziehen.

  • Böser Wolf sagt:

    Ich stimme mit Ihnen überein, im Grunde sind alles Unsympathen, ob Alpinist oder nicht. ;-)

  • Michael Strässle sagt:

    Das ganze ist eine Art Schutzreflex. Wer verumfalt hat etwas falsch gemacht. Darum kann mir das nicht passieren, denn ich mache diese Fehler nicht.

  • Jean sagt:

    Die Autorin scheint ja auch besser zu wissen, wo das richtige Leben stattfindet…

  • Leo Klaus sagt:

    Naja, vielleicht ist es deshalb so, weil wir heutzutage alles unter Kontrolle zu haben glauben, und der Schicksal kein Platz mehr hat in unserem Leben. Ergo muss für jedem Unglück einer geben, der Schuld ist, der versagt hat, der einen Fehler gemacht hat. So ist es.
    Genau solche Leute sind es ja eben auch, die schadenfroh z.B. den Italienern vorwerfen, die hätten halt nicht richtig gebaut, und deswegen sind so viele beim Erdbeben gestorben.
    Der Schicksal aber, der ist immer noch da, und der kann alles plattwalzen, tut er auch, wenn auch etwas weniger oft als früher. Das aber kann schnell ändern.

  • Lukas sagt:

    Unterschreibe ich. Diese aus der Hüfte geschossene Besserwisserei ist haarsträubend. Wer nicht selber in die Berge geht, sollte sich Kommentare grundsätzlich zweimal überlegen. Wer alpinistisch unterwegs ist, sollte sich fragen, wie oft er selber am Berg schon Glück in Anspruch genommen hat und ob er wirklich in jedem Fall alle Gefahren auf dem Radar hat.

    • Anthony sagt:

      „Wer alpinistisch unterwegs ist, sollte sich fragen, wie oft er selber am Berg schon Glück in Anspruch genommen hat und ob er wirklich in jedem Fall alle Gefahren auf dem Radar hat.“ Genau das ist doch der springende Punkt. Diese Alpinisten kommen gesund und munter nach Hause und glauben daher alles richtig gemacht zu haben. Dabei wissen Sie nicht, wie wenig Druck unter den Schuhen noch gefehlt hatte für einen tödlichen Steinschlag. Oder wie haarscharf sie eigentlich an einer Lawine vorbei kamen. Für solche Dinge fehlt es an Reflexionsvermögen. Wir können gar nicht alle Gefahren auf dem Radar haben, weil zahlreiche Gefahren schlicht unvorhersehbar sind und mit Restrisiko bzw. mit Pech zu tun haben. Gerade deshalb ist die Besserwisserei in Kommentarspalten umso unnötiger.

      • Lori Ott sagt:

        Das haben Sie sehr treffend beschrieben. Viele denken sie seien gut weil sie noch nie einen schweren Bergunfall hatten, und können oder wollen nicht erkennen, dass sie durch all die Jahren einfach nur Glück hatten. Dasselbe gilt ja auch bei gewissen (und nicht wenigen) Autofahrern.

  • Samuel sagt:

    Ich denke, vor allem bei Unfällen, geht es beim „Besserwissen“ auch darum, Kontrolle über etwas unkontrollierbares zu bekommen.
    In dem man sich von den Verunfallten abgrenzt (geht am einfachsten mit abwerten) gibt man sich selber das Gefühl, dass so ein Schicksal einen nicht treffen kann sondern nur den Anderen passiert.
    Ich habe vor ein paar Monaten einen Absturz mitansehen müssen und muss sagen, es hätte auch mich treffen können – im Nachhinein suchte ich Gründe wieso das mir nicht passiert wäre, finde aber keine. Die Bergsteigerin hat alles richtig gemacht – bis ins Detail. Genau dieser Fakt war nicht ganz einfach zu akzeptieren (obwohl eigentlich offensichtlich). Lieber wäre mir gewesen, ich hätte sagen können – Die hatte keine Ahnung.

  • Luise sagt:

    Genau so ist es. Der gleiche Menschentyp weiss, dass Joggen die Gelenke schädigt, Velofahren an Selbstmord grenzt etc. Alles nur, um die eigene Bequemlichkeit als richtige Lebensweise zu rechtfertigen. Solche besserwisserische Reaktionen musste ich auch einstecken, als ich selber verunfallte. Ja, der Schnee war seifig, ich war selber schuld…

  • Nick sagt:

    Stimmt genau. Aber dieser negative und gehässige Stil, über Andere öffentlich herzuziehen, ist doch allgegenwärtig. Sei es die politische Überzeugung anderer, das Aussehen, die Kleidung, der bevorzugte Lebensstil, um nur ein paar Themen zu nennen. Alles, wirklich alles wird verbal niedergemacht. Wie kann man nur ..Funktionsjacken tragen / mit dem Leben in der Agglo zufrieden sein / einen bestimmten Sport ausüben / einen anderen Sport nicht ausüben / usw. usw.“
    Liebe AutorInnen, überlegt euch mal, ob das sein muss. Muss es nämlich nicht. Man kann ja schreiben „ich mache gern X“ anstatt „Oh Gott.. wie kann jemand nur so dumm sein Y zu machen“. Also etwa „Ich gehe gern wandern“ anstatt „Mountainbiker sind allesamt kriminelle Idioten und gehören vom Velo geprügelt“.

  • Dan Urech sagt:

    Outdoorblog „Gore-Tex-Hosen

    Ein weises Wort gelassen ausgesprochen. Nüchtern und deshalb umso berührender.

  • The Big R sagt:

    Liebe Frau Knecht, Sie sprechen mir aus der Seele. Kaum eine Bergtour, kaum ein Abend in einer Hütte wo man nicht diesen Besserwissern begegnet…leider. Ebenfalls mein Beileid den Hinterbliebenen.

    • Rob Mueller sagt:

      Es gibt dem gegenüber auch sehr viele, die nicht auf diese „Besserwisser“ in der Hütte hören mögen, sie als „Besserwisser“ abstempfeln – obwohl diejenigen es oft wirklich besser wissen, z.B. weil sie als Hüttenwart den Berg und Verhältnisse exakt kennen, ein Bergführerabzeichen tragen oder schlicht umsichtiger sind.
      Vielen Gelegenheitsbergsteigern täte es gut, die eigene Kompetenz in Frage zu stellen und von Erfahreneren zu profitieren. Das würde halt wieder (Selbst)Zweifel nähren, die viele in den Bergen nicht zulassen.
      Mir fällt generell auf, dass der Vorwurf von „Besserwissertum“ oft von nicht sehr kritikfähigen Personen kommt – andere stehen über der Sache.

      • The Big T sagt:

        Das von Ihnen gezeichnete Bild vom „Gelegenheitsbergsteiger“, welcher weder auf den urchigen, einheimischen Hüttenwart, noch auf den knorrigen, braungebrannten Bergführer (mit Abzeichen!), noch auf den väterlichen, wohlwollenden erfahrenen Hobbyalpinisten hört und sich so und andere in Gefahr bringt ist nur ein Klischee. Zu schön und irgendwie zu selbstgerecht um wahr zu sein.
        Ich habe im Hochgebirge noch nie einen „Gelegenheitsbergsteiger“ gesehen, der nicht mit einem Bergführer, dem SAC, erfahrenen Kollegen oder einer Alpinschule unterwegs war. Oder nicht bereit gewesen wäre von einem Hüttenwart oder Bergführer Tipps anzunehmen.

  • gabi sagt:

    Oh DANKE! Dem gibts nix mehr hinzuzufügen!

  • Dominik sagt:

    Leider gibt es, wie Natascha schon anmerkte, sehr wenig Quellen welche die Umstände eines Unfalls sauber rekonstriuert dokumentieren. bergundsteigen.at tut dies ab und zu. Ansonsten ist für den interessierten Alpinisten, welcher sich mit Risikoneinschätzungen und Erfahrungen (auch wenn es letale sind), weiterbilden möchte sehr schwer, zu Informationen zu kommen. Das könnte eine Ursache der Spekulationen sein, welche nach einem Unfall meistens aufkommen. Ich als Alpinist fühle bei jeder Unfallmeldung mit und mache mir meine Gedanken!

    • peter sagt:

      dasselbe bei auto-unfällen, beispielsweisr den täglichen unfällen im gubrist-tunnel oder auf der A1. es steht nie die unfall-ursache, obwohl es zur prävention wichtig wäre.

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