Auf dem Olymp
«Silber interessiert mich nicht!», gab Nino Schurter am Vorabend des olympischen Mountainbikerennens zu Protokoll. Von schweizerischer Zurückhaltung keine Spur. Damit setzte sich der Bündner Cross-Country-Profi öffentlich noch mehr unter Druck, als er es ohnehin schon war. Aber was heisst hier «noch mehr»? Natürlich wurde er auch ohne diese Ansage als grosser Favorit gehandelt. Aber wir wissen alle nur zu gut: Olympische Spiele haben manchmal ihre eigenen Gesetzmässigkeiten. Und gerade wer wie Schurter schon über die ganze Saison hinweg hervorragende Resultate geliefert hat, kann sich nie sicher sein, auch jene Fahrer in Schach halten zu können, die die ganze Saisonplanung auf diesen einen Grossanlass ausgerichtet haben.
Die Geschichte mahnte uns ebenfalls zu Vorsicht: Die Schweiz ist seit Jahren eine der führenden Cross-Country-Nationen, und trotzdem hat es für Thomas Frischknecht, Christoph Sauser, Nino Schurter und Co. nie für Olympiagold gereicht. Dass jede Medaille zuerst einmal gewonnen werden muss, haben wir ja am Samstag im Rennen der Damen gesehen, in dem Co-Favoritin Jolanda Neff den Sprung aufs Podest verpasste. Noch nie habe ich ein olympisches Bikerennen verpasst, und auch am Sonntagabend sass ich wie gebannt vor dem Fernseher. Würde es dieses Mal klappen?
Schurter hat in seiner bisherigen beeindruckenden Profikarriere fast alles erreicht: fünffacher Cross-Country-Weltmeister, vierfacher Gesamtweltcup-Sieger. Bei seinem Olympiadebüt 2008 in Peking gewann er Bronze, 2012 in London weinte er, als ihn der Tscheche Jaroslav Kulhavy im Schlussspurt überholte und auf den zweiten Platz verwies. Nur olympisches Gold – das fehlte ihm noch in seinem persönlichen Palmarès. Und darauf hatte er sich unter dem Motto «The hunt for glory» – die Jagd nach Ruhm – akribisch vorbereitet.
Gemeinsam mit Coach Nicolas Siegenthaler hat er eine aussergewöhnliche Trainingsmethode entwickelt, die sich deutlich von derjenigen anderer Biker abhebt. Dabei schult er besonders Kraft und Koordination, um sich auf sämtliche Rennsituationen einstellen zu können. Im Gegensatz zu manch anderem Olympioniken wechseln bei ihm Training und Wettkampf stetig ab, ist er stets präsent. Auch wenn er zum Schluss zugunsten der Olympiavorbereitungen auf das Weltcup-Rennen in Mont-Saint-Anne verzichtete. Trotz seiner Ambitionen: So enttäuscht wie in London werde er nicht mehr sein. «Ich bedaure es heute sehr, dass ich 2012 den Gewinn der Silbermedaille nicht geniessen konnte», berichtete er im Interview mit der Fachzeitschrift «Outdoor Guide».
Karriere ist noch lange nicht zu Ende
Dann ist es so weit: Rio, 21. August 2016, das entscheidende Rennen. Seine grössten Herausforderer: Julien Absalon und Jaroslav Kulhavy. Die Strecke: künstlich angelegt, technisch nicht aussergewöhnlich anspruchsvoll. Dennoch haben viele Fahrer mit Materialproblemen und Stürzen zu kämpfen. Am Vortag hatte sich bei den Frauen die ebenfalls als Favoritin gehandelte Jolanda Neff aufgrund starker Rückenprobleme mit Rang sechs begnügen müssen. Bei aller Vorbereitung: Etwas Glück gehört auch dazu. Oder? Vor dem Rennen zweifelte Schurter aufgrund des Wetters noch an der Reifenwahl, wie er später SRF berichtet. Doch dann könnte es nicht besser laufen: Schurter ist von Beginn an vorne dabei, mit jeder Runde läuft das Rennen mehr auf einen Zweikampf mit Kulhavy hinaus. In der vorletzten Runde attackiert Schurter, Kulhavy kann nicht mehr mithalten. Nino Schurter gewinnt souverän mit einem Vorsprung von 50 Sekunden und einer Gesamtzeit von 1:33:28.
Es ist das erste olympische Gold im Schweizer Mountainbikesport. «Ich kann es nicht glauben, ich bin Olympiasieger!», verkündete Schurter im Anschluss überglücklich auf Facebook. Aufhören will der 30-jährige Familienvater noch nicht. Laut Teamchef Thomas Frischknecht sei er auch bei den Olympischen Spielen in Tokio wieder am Start. Das wollen wir doch hoffen. Und ja, natürlich werde ich auch dann wieder gebannt vor dem Bildschirm sitzen und mitfiebern.
Wie haben Sie Nino Schurters Erfolg erlebt? Und wo sehen Sie Nino im Vergleich mit seinem ewigen Rivalen Julien Absalon?
Ein Kommentar zu «Auf dem Olymp»
Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass die Trainingsmöglichkeiten in der Schweiz ausgebaut und nicht eingeschränkt werden, damit wir uns auch künftig an den Siegern mitfreuen können. Also, gebt die Wege frei für Biker!