Power im Multipack

Die am vergangenen Freitag eröffneten Olympischen Sommerspiele in Rio gehen in die Geschichte ein ­ – und zwar nicht nur, weil etliche Athleten für historische Momente sorgen werden. Erstmals werden am Marathon Drillinge mit­ und gleichzeitig auch gegeneinander antreten. Die drei 30­-jährigen Blondinen Leila, Liina und Lily Luik stammen aus Estland und sind kaum voneinander zu unterscheiden. Damit aber nicht genug. Mit ihnen an der Startlinie steht auch ein Zwillingspaar. Lisa und Anna Hahner, ebenfalls blond, starten in den deutschen Farben.

Für die Zwillinge wie auch für die Drillinge geht damit ein Herzenswunsch in Erfüllung. Wie alle fünf in Interviews betonen, versetzt sie schon das Billett nach Rio in Jubelstimmung. Dieses Abenteuer aber gemeinsam anpacken zu dürfen, multipliziert die Freude der Sportlerinnen ­nicht nur um das Zwei­- beziehungsweise Dreifache. Die Läuferinnen schöpfen daraus Kraft und Zuversicht, schliesslich kennt sie ihre Begleitung wie niemand sonst. Sie lesen einander ­auch während des Laufs und können sich gegenseitig unterstützen, wort­- und vorbehaltlos. Diese Athletinnen haben quasi Power im Multipack mit auf den Lebensweg erhalten.

Selbst ein eineiiger Zwilling, weiss ich um diese unvergleichbare Vertrautheit, die diese Frauen verbindet. Wie kein anderer Mensch erkennt meine um zwanzig Minuten ältere Schwester, wenn Zweifel oder Ängste an mir nagen, noch bevor ich sie artikuliere. Sie kämpft wie eine Löwin für mich, wenn ich mich unsicher oder verletzt zurückziehe. Sie hält dann die Welt für mich in Schach. Ihre garantierte Rückendeckung vom ersten Augenblick an ermutigt mich immer wieder aufs Neue, Herausforderungen anzunehmen, an die ich mich sonst nicht herangewagt hätte. Sie ist mein bedingungsloses Sicherheitsnetz.

Mit­- oder eben gegeneinander anzutreten, wird für die Athletinnen aber jene Aufgabe noch erschweren, der sie sich als Zwillinge oder als Drillinge ein Leben lang stellen müssen. Die Umwelt hat die lästige Angewohnheit, Zwillinge – und sicher auch Drillinge – konstant zu vergleichen. Meine Schwester und ich werden oft als Einheit wahrgenommen und sind ein wandelndes «Finde ­die zehn­ Unterschiede­»-Bild. Wer hat das erste Wort gesprochen, wer die ersten Schritte gemacht, wer hatte die besseren Noten, wer hat die längeren Beine? Das Aussehen, unsere Art, mit Menschen umzugehen oder unser Leben zu führen, unser beruflicher Werdegang – alles wird einander gegenübergestellt. In diesem fortwährenden Vergleich wurzelt eine Konkurrenz, mit der wir Zwillinge von Kindesalter an klarkommen  müssen.

Bei den Marathonmehrlingen wird sich dieser allgegenwärtige Vergleich während der olympischen Zeit akzentuieren. Ich wünsche ihnen, dass sie der Welt beweisen, dass nicht zwei Multipacks, sondern fünf eigenständige Persönlichkeiten am Start stehen – mit weit mehr als zehn Unterschieden.

Lesen Sie morgen Dienstag im Mamablog, wie es für eine Mutter ist, Drillinge aufzuziehen.

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