Vom glorreichen Gefühl, als Letzte ins Ziel zu kommen

«Run Couchpotatoes Run»: Alexandra Baumann auf den Weg zum Ziel. Foto: PD

«Run Couchpotatoes Run»: Alexandra Baumann auf den Weg zu ihrem Ziel. Foto: PD

Am ersten Sonntag im Mai war es wieder so weit: Ich stand an der Startlinie des Sihltalerlaufs und fiel dabei so ziemlich aus dem Rahmen. Wenn ich um mich schaute, passte ich absolut nicht ins Bild. Wer erwartet schon einen übergewichtigen Couchpotato an einer Laufveranstaltung?

Es ist der stets wiederkehrende Kampf meines Lebens: Der Fight mit Fred, meinem inneren Schweinehund. In der Schule waren die Turnstunden der absolute Horror für mich. Während des obligatorischen 2-Kilometer-Laufs am Sporttag litt ich jeweils unsägliche Qualen. Und trotzdem begann ich 25 Jahre später damit, freiwillig an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.

In der Theorie wissen wir alle, wie gut uns Bewegung tut. In der Praxis ist es eine riesige Hürde, mit Übergewicht ein Sportprogramm anzufangen. Fakt ist: Es macht nicht immer Spass, das Lebendgewicht eines Shetlandponys durch den Wald zu schleppen. Trotzdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich die regelmässige Bewegung nicht mehr missen möchte. Und «unleidig» werde mit mir selbst, wenn ich den inneren Schweinehund mehrere Tage hintereinander siegen lasse.

Für mich begann der Einstieg in ein regelmässiges Trainingsprogramm mit der Anmeldung für den Sihltalerlauf 2012, an dem ich zusammen mit meiner Trainingspartnerin Karma teilnahm. Als persönliche Motivationsmassnahme begann ich gleichzeitig, auf www.runcouchpotatoesrun.com über unsere Laufvorbereitungen zu bloggen. Während dieser ersten Laufteilnahme erlebte ich für wenige Minuten ein Gefühl, welches wohl einem «Runners High» nahekam. Na gut, bei meinem Tempo war es wohl eher ein «Slow Motion High» – es hatte aber auf alle Fälle Suchtpotenzial. Nach einer Knieverletzung stieg ich später auf das gelenkschonende Walken um, während Karma weiterjoggte. Als Team «Run Couchpotatoes Run» haben wir mittlerweile an 9 Läufen teilgenommen. Und sind dabei konsequent jedes Mal als Letzte ins Ziel gekommen.

Zum Vergleich ein Beispiel des diesjährigen Frühlingslaufes: In derselben Zeit, in welcher wir bei Kilometer 2 ankamen, war der Sieger der Männer schon fast im Ziel der 10 Kilometer Strecke. Einmal meinte jemand angesichts unserer Finisher-Zeit lapidar: «Habt ihr den Lauf etwa rückwärtsgehend absolviert?» Natürlich finden es längst nicht alle gut, was wir tun. Wir erlebten an Laufveranstaltungen auch schon, dass uns die Wegmarkierung weggeräumt wurde. Die Finisher-Shirts sind regelmässig einige Nummern zu klein und mehr als einmal entsetzte sich jemand: «Was wollen denn diese Dicken hier?»

Doch noch viel häufiger werden wir von topfitten Sportlern unglaublich enthusiastisch angefeuert. Wir kriegen ein Daumen-hoch-Zeichen, wenn sie im Training an uns vorbeirennen und ein «Go go go», wenn sie beim Lauf vor uns ins Ziel kommen und uns auf den letzten Metern antreiben. Für mich sind solche Momente ausschlaggebend dafür, warum ich trotz Sporttrauma aus der Jugend gerne an solchen Anlässen teilnehme: Denn das glorreiche Gefühl, dem inneren Schweinehund eins ausgewischt zu haben, ist unabhängig davon, ob du 50 oder 150 Kilos wiegst. Es ist der Kampfgeist, der zählt – und der hat in einem übergewichtigen Körper genauso sein Zuhause wie in einem durchtrainierten.

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42 Kommentare zu «Vom glorreichen Gefühl, als Letzte ins Ziel zu kommen»

  • Luzia sagt:

    You go GIRLS !!!

  • Paul Lachewsky sagt:

    Kleine Korrektur: der innere Schweinehund heisst nicht „Fred“ sondern „Blerch“. Siehe http://theoatmeal.com/comics/running
    ;-)
    Herzliche Grüsse und noch viele schöne Lauf-Erlebnisse!

  • Alexandra sagt:

    Liebe Namensvetterin
    Lass Dich nicht unterkriegen – super, was Du machst! Einfach spitze!
    Bin zwar etwas schmaler gebaut, habe aber trotzdem ein Schulsporttrauma. Unterdessen aber auch rausgefunden, das regelmässig Bewegung super gut tut. Seit ein paar Jahren gehe ich darum regelmässig Joggen und an Frauenlauf Bern – Zieleinlauf auch immer irgendwo in den hintersten Rängen. Aber ist egal – was zählt sind Stimmung, Motivation, Durchhalten…
    Weiterhin alles Gute!

    • Alexandra sagt:

      Liebe Alexandra, das ist super! Dann wünsche ich dir doch jetzt schon viel Spass am diesjährigen Frauenlauf. Meine Gelenke finden eben so Stadtläufe auf Teer nicht so den Hammer, aber ich werde dich und alle anderen Ladies in Gedanken anfeuern. Auch für dich alles Gute!

  • Esther sagt:

    Liebe Alexandra
    Sie sind für mich der Motivationsengel vom Tag, herzlichen Dank dafür! Zum Glück kann man sich jeden Tag neu entscheiden und die Sportstunden der Kindheit bewusst abhaken, diesen übertriebenen Körperkult mit Humor ignorieren und sich dafür selbst mehr lieben, genauso wie man ist. Einzigartig und vollkommen… Wir brauchen nicht nur im Sport mehr Engel wie SIE!

    • Alexandra sagt:

      Liebe Esther, oh, da werde ich aber grad ein bisschen verlegen ab Ihrem Kommentar, über den ich mich sehr gefreut habe. Wir bleiben dran und hoffen, weiterhin ganz viele andere mit zu motivieren. Alles Gute auch für Sie!

  • Karl-Heinz Failenschmid sagt:

    Chapeau! Weiter so! Der eiserne Wille zählt. Jeder ist beim Zieleinlauf ein König!

  • Ursula Mönch sagt:

    Es müsste viel mehr Leute wie dich geben! Du machst einfach Mut und hilfst uns anderen, auch nicht so athletisch gebauten Menschen dabei, mit Selbstvertrauen Sport zu treiben. Danke!

    • Alexandra sagt:

      Liebe Ursula, vielen Dank für deine lieben Zeilen. Ich werde mich bemühen, weiterhin zu motivieren und selber auch dranzubleiben. Alles Gute auch für dich!

  • Blanca Imboden sagt:

    In dieser Rubrik las ich schon furchtbare Blog-Beiträge mit Gejammere darüber, dass in irgend einem Sportgeschäft das XXS-Laufshirt nicht mehr im Sortiment sei.
    Was für eine Wohltat, von Alexandra Baumann zu lesen!
    War für ein Ansporn!
    DANKE dafür.

    • Blanca Imboden sagt:

      WaS für ein Ansporn!

    • Alexandra sagt:

      Danke dir, liebe Blanca. Zugegeben: Ich jammere ja ab und an auch auf meinem Blog, weil es eben keine XXL Sportklamotten gibt – ich kann somit den Ärger schon auch nachvollziehen, wenn jemand sein Lieblingsshirt in seiner Grösse nicht mehr erhält. Wer weiss, vielleicht lesen ja hier auch irgendwelche Sportgeschäft Sortiments-Verantwortliche mit und erkennen, dass es durchaus angebracht wäre, Sportkleider in wirklich verschiedenen Grössen anzubieten ;-) Ich drücke dich!

  • Andy sagt:

    Andy
    Welch beeindruckende Einstellung. Du hast eine Siegermentalität und bist Schlussendlich jedesmal am Ziel die Gewinnerin. TOLL

  • Linus Paul sagt:

    Cooler Blog-Beitrag! Einfach weiter rennen/walken und nicht aufgeben. That’s the spirit!

  • Mundi sagt:

    Mädels, ich habe allerhöchsten Respekt vor Euch. Alle, die mehr als nur eine „Gute-Vorsatz-Episode“ lange laufen, sind richtige Läufer. Egal ob schnell oder langsam. Ich drücke Euch beiden die Daumen, dass es weiterhin klappt.

    • Alexandra sagt:

      Danke Mundi! Das mit dem Dranbleiben ist natürlich immer so eine Sache…. gerade nach längeren Verletzungspausen fällt der Wiedereinstieg manchmal schon schwer. Aber es lohnt sich, immer wieder. Auch dir viel Spass unterwegs :-)

  • Mirjam sagt:

    Liebe Alexandra! Einmal mehr bereitet es einfach nur Freude, Deine Artikel, die ich auf Deinem Blog schon länger verfolge, zu lesen. Deinen sportlichen Ehrgeiz „wider aller erschwerenden Tatsachen“ bewundere ich sehr. Behalte Deinen unbezahlbaren Humor, Deine gute Laune und Dein Selbstvertrauen, ganz egal, was einige physisch und offenbar vor allem intellektuell minder ausgestattete Läufer zu spötteln wagen. Für mich kriegst Du alle Daumen hoch. Und es würde mich sehr freuen, Dich bei einer der nächsten Gelegenheiten (Hallwilersee…?) mal persönlich zu treffen.

    • Alexandra sagt:

      Ach Mirjam, du treibst mir also grad wieder ein paar Tränchen in die Augen. Vielen Dank für deine lieben Worte und ja, ich würde mich auch sehr freuen über ein persönliches Treffen!

  • Sandra Schmid sagt:

    Einer der besten Beiträge in dieser Rubrik :-). Keep going und lass dich nicht ins Bockshorn jagen. Jeder Schritt ist richtig und wichtig. Die Zeit ist völlig irrelevant. Wenn du nächstes Jahr 3 Minuten schneller warst für die selbe Strecke hast du gewonnen. Wenn nicht, ist’s das Alter :). Ich versuch mir ein Beispiel an euch zu nehmen und mich auch mal wieder an einem Lauf anzumelden. Auch wenn ich immer unter den Letzten ans Ziel komme. Danke!

    • Alexandra sagt:

      Liebe Sandra, vielen Dank – mir gefällt deine Einstellung wegen der Finisher-Zeit, hihi ;-) Und wer weiss, vielleicht sehen wir uns ja mal an einer Laufveranstaltung, es würde mich freuen. Auch dir viel Spass beim Laufen!

  • jan sagt:

    Schöner Beitrag, vielen Dank! Ich versuche schon seit Jahren, meine Gewichtsprobleme mit Sport einigermassen unter Kontrolle zu behalten. Doch einfach nur mit Abnehmen kann ich mich nicht wirklich motivieren. So habe ich mich vor einigen Jahren am Ironman 70.3 in Rapperswil angemeldet. Mein Umfeld hielt mich natürlich für total verrückt, ich wog damals etwa 125kg. Es wurde ein intensives Jahr und ich schaffte den Finnish mit einer Zeit von etwas über 6 Stunden. Vernünftig ist das vielleicht nicht, aber es hat viel Spass gemacht. Die Triathlon Szene scheint mir allerdings viel toleranter als die Läufer, nie habe ich sowas wie „was willst du den hier“ oder ähnliches gehört. Einfach nur gute Stimmung, gegenseitiges Anfeuern unterwegs und ein Riesengefühl während den letzten 3 Kilometern.

    • Alexandra sagt:

      Lieber Jan, wow, Triathlon! Hut ab vor dieser riesigen Leistung. Ich weiss was du meinst in Sachen Abnehmen: Für mich ist der Bewegungsteil daran mittlerweile x-fach einfacher zu bewältigen als die gesunde Ernährung. Damit kämpfe ich zugegebenermassen immer noch oft. Hab weiterhin viel Spass unterwegs, ob laufend, schwimmend oder auf dem Velo!

  • Markus sagt:

    Danke für diesen Aussteller! Bei meinen Trainingsläufen überhole ich manchmal auch Leute, deren Körper sicher nicht für’s Laufen gemacht wurde. Gerne würde ich manchmal einen anfeuernden Kommentar machen, bin mir aber nie sicher, ob er nicht allenfalls falsch ankommt. Werde ihn Zukunft auch das Daumen-nach-oben Zeichen machen.

    • jan sagt:

      Am liebsten einfach grüssen und sich so verhalten, wie wenn du einen anderen 3:00- Marathoni antriffst.

      • Alexandra sagt:

        Lieber Markus, mit einem Daumen hoch liegst du sicher nie falsch. Wir freuen uns immer sehr, wenn sich Leute wie Jan verhalten :-) Ich glaube, das ist vielen anderen Sportlern gar nicht bewusst, dass uns dies einen zusätzlichen Motivationsschub verleihen kann.

  • Rosina Kopp sagt:

    Mein Mann und ich hatten heute, dank diesem tollen superpotato Bericht einen lustigen Tagesanfang mit vielen Lachtränen! Wobei diie Bewunderung für die Energie und den Durchhaltewillen gross war. Immer weiter so.

    • Alexandra sagt:

      Liebe Rosina, das freut mich doch, wenn ich zum Lachen bringen konnte – und das sogar an einem Montagmorgen :-) Ich wünsche euch eine schöne Woche!

  • Markus sagt:

    Super Alexandra, mach unbedingt weiter und lass dich von den dümmlichen Sprüchen einiger Läufer die zu lange mit einer Sauerstoffschuld im Hirn unterwegs waren nicht unterkriegen.
    Auch ich bin mit Übergewicht unterwegs, werde zwar nicht letzter bin aber immer im hinteren Teil der Rangliste zu finden. Mein Ziel am GP Bern ist nicht die Stundengrenze zu knacken sondern unter 1:45 zu laufen – aber ich mache wenigstens mit. Das mit dem T-Shirt kenne ich auch, dafür hat meine Frau nun einige Finisher-Shirts von Läufen an denen sie gar nicht teilnimmt :-).

    • Alexandra sagt:

      Lieber Markus, ich mache das jeweils auch so. Ich setze mir einfach mein ganz persönliches Ziel, welches ich erreichen möchte. Und freue mich dann, wenn ich es schaffe, auch wenn es für andere oft eine lachhafte Zeit ist – für mich ist es immer ein Sieg :-) Wünsche dir viel Spass bei den Läufen!

  • Roland K. Moser sagt:

    Eine Welle!!!!
    HoooooooooooOOOOOOOOOOOOOOOOOooooooooooooooo!

  • Werner Krüsi sagt:

    Tolle Einstellung – Gratulation und weiter so!!

  • Fränzi sagt:

    Grosses Kompliment, finde ich richtig klasse. Ich bin zwar nicht übergewichtig und gehe auch hin und wieder joggen. Aber ich muss mir jedes Mal einen riesen Tritt in den Hintern geben. Obwohl ich ja weiss, wie gut man sich nachher fühlt. Für die Teilnahme an einem Lauf fehlt mir jedoch der Mut. Darum bewundere ich euch noch um so mehr. Weiter so.

    • Alexandra sagt:

      Danke Fränzi – ja, ich glaube, unseren inneren Schweinehund Fred kennen eben noch viele, egal in welcher Gewichtsklasse sie unterwegs sind. Ich kann dir eine solche Laufteilnahme wirklich nur empfehlen. Wir haben die besten Erfahrungen an kleineren Volksläufen gemacht, dort ist die Stimmung wirklich meisten sehr toll.

  • Doria Gray sagt:

    Toller Beitrag! Sport ist nicht nur etwas für schlanke, durchtrainierte Menschen, sondern für alle, die Spass an der Bewegung haben. Ich gratuliere der Autorin dafür, dass sie mit ihrem Beispiel Leuten, die den Sportunterricht nicht grad in bester Erinnerung haben, Mut macht.

    • Alexandra sagt:

      Merci Doris. Ja, der Sportunterricht war so eine Sache – es hinterlässt halt schon Spuren, wenn du 9 Jahre lang NIE in eine Mannschaft gewählt wirst, sondern einfach immer diejenige bist, die dann als letzte noch zugeteilt wird. Aber eben: Tempi passati – ich kann mir vorstellen, dass heute viele Sportlehrer auch etwas anders an die Sache rangehen, als dass zu meiner Schulzeit der Fall war.

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