Von Glücksunterhosen und anderen Macken
Ich sorge bei Ernährungswissenschaftlern für Kopfschütteln, und das tun auch höchst erfolgreiche Profisportler – und zwar regelmässig! Es gilt als äusserst unvernünftig und ja nahezu fahrlässig, vor einem Wettkampf Schwerverdauliches wie Fleisch, Fisch oder Rohkost zu geniessen. Nichtsdestotrotz habe ich mir angewöhnt, am Abend vor einem Wettkampf, etwa einem Halbmarathon, ein Wiener Schnitzel zu geniessen – und zwar eines, das hinsichtlich Grösse und Zubereitung auch diesen Namen verdient. Dabei ist es mir egal, dass der Startschuss bereits am Morgen fällt.
Der Grund für meine Torheit ist einfach: Ich nahm es vor einem Wettkampf in Wien vor rund einem Jahr mit der Vorbereitung nicht ganz so ernst, verdrückte am Vorabend ein Riesenschnitzel, gefolgt von Palatschinken und einem Schnaps. Tja, und nur wenige Stunden später fiel meine persönliche Halbmarathonbestzeit. Wenige Monate später – selber Ort – liess ich zwar Schnaps und Dessert weg, weil dafür schlichtweg kein Platz mehr war, genoss aber ein tellergrosses Schnitzel. Das Resultat konnte sich am folgenden Morgen im wahrsten Sinne des Wortes blicken lassen: Es fiel meine persönliche Bestmarke über 10 Kilometer! Seither darf ein Schnitzel vor dem Wettkampf nicht mehr fehlen (zugegeben, beim Marathon habe ich das Experiment noch nicht gewagt). Diese irrationalen Rituale begleiten die meisten Läufer und sind oft noch kurioser als eine Wiener Spezialität.
In seinen jungen Jahren schwor etwa Markus Ryffel, Silbermedaillengewinner über 5000 Meter an den Olympischen Spielen von 1984 in Los Angeles, auf ein Schinkensandwich als letzte Mahlzeit vor dem Wettkampf. Entstanden ist dieses Ritual im Zürcher Letzigrund 1973. Nach einem verpassten Mittagessen musste sich der 18-jährige Athlet damit begnügen. Nur wenige Stunden später brach er den Junioren-Europarekord über 5000 Meter. Seither mussten die internationalen Organisatoren der Leichtathletikanlässe für den Schweizer Profiläufer jeweils ein Schinkensandwich bereit machen.
Ebenfalls ein Sandwichritual vollzieht Wesley Korir, der Sieger von mehreren grossen Strassenmarathons in den vergangenen Jahren, vor bedeutenden Wettkämpfen. Er geht vor dem Start bei einer Sandwichkette vorbei, wo er sich ein grosses Thunfischbrot schnappt. Die eine Hälfte verdrückt der Langstreckler selbst, die andere schenkt er jeweils einem Obdachlosen.
Die Rituale betreffen aber nicht nur die Ernährung. Der australische Rollstuhlathlet Kurt Fearnley, mehrfacher Medaillengewinner bei den Paralympics, trägt bei jedem grossen Marathon dieselben Unterhosen. Das sagt er im Videointerview. Er trug sie am olympischen Marathon in Athen 2004, und seither begleitet ihn sein Glücksschlüpfer offenbar auch an anderen wichtigen Ereignissen wie seinem Hochzeitstag. Ein Glück, dass er sie bereits einmal gewaschen hat.
Wie wichtig diese Riten für die Sportler sein können, schildert im Video die amerikanische Langstrecklerin und mehrfache Rekordhalterin Deena Kastor. Sie schrie etwa Zetermordio, weil sich ihr Mann erdreistet hatte, die Schnürsenkel ihrer Laufschuhe zu öffnen.
Nun sind Sie dran, lieber Leser! Welches ist Ihr Wettkampfritual?
8 Kommentare zu «Von Glücksunterhosen und anderen Macken»
Einen Kaffee vor jedem Lauf, ca. 90 Minuten vorher – ist auch gegen jegliche Sporternährungsphiosophie.
Ich bin eh der Meinung, dass das Ganze Sporternährungsgetue primär nicht dafür da ist den Sportler zu Unterstützen, sondern um die Kassen der Firmen klingeln zu lassen.
Dies zeigt nur schon der Blick auf die Bestenlisten z.B. über 5000 m der Männer der Schweiz: Rekordhalter ist nach wie vor Markus Ryffel, gelaufen im Olympiafinal 1984 mit Baumwoll-Shirt und Socken, Kunstfasern-Turnhosen, Wasser, einem Schinken-Sandwich vor dem Lauf und einem Bier nach dem Lauf.
Am besten ist doch einfach so weitermachen wie sonst. Alles Andere stresst den Körper und führt zu Leistungsabbau.
Genau, den trinke ich auch, allerdings eher 3 Stunden vorher. Liefert mit etwas Zucker drin (?!) Energie und Genuss. Und dann entspannt los, mit Baumwoll-Shirt, -Hose und -Socken. Bin ganz mit Ihnen einverstanden.
Anfangs hatte ich es nur vermutet, inzwischen mit 60+ Wettkämpfen bin ich überzeugt davon: wenn ich in der Woche vor dem Rennen alles richtig machen will (minutiös auf die ansonsten schon gute Ernährung achten, viel Schlaf – insb. in der zweitletzten Nacht vor dem Rennen, kein Alkohol und möglichst Stress vermeiden) geht das Rennen in die Hose, weil ich die Handbremse nicht lösen kann. Kein Wunder, wenn sie eine ganze Woche angezogen ist.
Wenn ich einfach normal weiterlebe und mir keinen Kopf mache, lege ich (gemessen an meinem Potential) bombastische Wettkämpfe hin. Hat sich beim GP wieder wunderbar gezeigt :)
Die Geschichte mit dem Schnitzel, Palatschinken und Schnaps ist erklärbar:
Eiweiß und wenig Ballaststoffe. Schlimm wäre ausgegangen Körnerbrot mit Kraut, das ist wie ein Stein im Magen und das Kraut im Darm ruft nach Dixi oder einer dichten Hecke. Bei jedem Marathon die selben Unterhosen? „never change the winning trousers“, ich sah schon Läufer im Zieleinlauf, denen das Blut vom Oberschenkel lief, ich selbst hatte einmal total aufgescheuerte Achselhöhlen von einer Naht. Vor einem Wettkampf sollte weder Ernährung noch Kleidung oder habitus geändert werden. In grösseren Veranstaltungen werden gerne durch Sponsoren neue Fitnessgetränke oder Riegel promotet: Finger weg!
Das Ritual mit dem Schnitzel mache ich auch, nur ohne Sport am nächsten Tag.
Hörnli mit Butter am Vorabend. Muss sein.
Ich hatte keine Macken, als ich noch an Läufe ging.
Ich hatte doch eine Macke!
Ich habe allen neben, vor und hinter mir vor dem Start die Hand geschüttelt und einen schönen Lauf gewünscht.
Das ist natürlich selten gut gekommen, weil die meisten an Paranoia leiden und alles Mögliche Negative in den Glückwunsch hineininterpretieren. :-)
Und genau deshalb habe ich es dann weiter ausgedehnt auf ein paar Läufer neben, vor und hinter mir.