Liebe am Fels
Ein Beitrag von Emil Zopfi*
«Warum hängst du den Haken nicht ein?», ruft meine Kletterpartnerin herauf. «Den hänge ich nie ein», gebe ich zurück. Und klettere weiter.
Irgendwann waren sie da, die zwei zusätzlichen Haken auf der Route. Wir alten Hasen ärgerten uns zuerst, unnötig, fanden wir. Jemand sprach von Entfernen. Doch die zwei Haken blieben. Inzwischen hängt sie jeder und jede ein. Nur ich nicht. Offenbar brauche ich den Kick. Und dann ist da ja auch noch die Geschichte. Es ist eine Liebesgeschichte.
Marco (Name geändert) hat die beiden Haken gebohrt. Er ist ein starker Kletterer und hätte sie gewiss nicht nötig. Doch da war seine neue Liebste, sie hatte ein bisschen Angst, die Route vorzusteigen. Wegen der zwei etwas weiten Hakenabstände. Was macht der echte Gentleman (die gibts ja auch unter Kletterern)? Er greift zur Bohrmaschine, setzt zwei Bolts, und fortan steigt seine Liebste auch diese Route vor. Wir haben die Geschichte vernommen, wir haben Verständnis, wir freuen uns sogar über das junge Glück. Zwei Haken, na ja, wir können damit leben. Andere kaufen Ringe, Rosen oder hängen ein Schlösslein an ein Brückengeländer in Paris oder Zürich. Zwei Bohrhaken, das ist doch ein origineller Liebesbeweis. Und wir können uns erst noch als Helden zur Schau stellen, die vorbeiklettern, ohne sie einzuhängen.

Haken der Liebe: Emil Zopfi bleibt der alten Version des «Zigerchrapfe» auf der Galerie treu. Foto: Marco Volken
Was haben wir doch alles schon für Liebesgeschichten erlebt in unserem Klettergarten! Schöne und tragische. Tränen gab es, Kopfschütteln (nein, die beiden, darf ja nicht wahr sein!), Küsschen, Streit und Trennung und sportliches Glück im fortgeschrittenen Alter. Wie im richtigen Leben eben. Verweht, vergessen. Nur die zwei Haken sind geblieben. Nein, da ist noch was. Ein Spitzenkletterer hat zum fünfzigsten Geburtstag seiner Liebsten eine ganze Route eingerichtet und ihr geschenkt. Auch das gibt es. Uns ist sie zu schwer – die so Verehrte schafft sie locker.

Eine romantische Ecke: Auf der Galerie klettert man hoch über dem Walensee. Foto: Natascha Knecht
Übrigens würde auch Marcos Liebe die Route inzwischen auch ohne die zwei zusätzlichen Haken schaffen. Sie ist glückliche Mutter und eine starke Kletterin geworden. Jedes Mal ergreift es mich ein bisschen, wenn ich die Route klettere – ohne einzuhängen natürlich. Es gibt sie noch, die wahre Liebe. Auch am Fels.
Hinweis
: Emil Zopfi lädt Sie zur Vernissage seines neuen Buches «FelsenFest» ein: Am Freitag, 29. April 2016, ab 18 Uhr, in der Filiale von Bächli-Bergsport in Zürich-Oerlikon. Mehr Infos hier.
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