Die gesündeste Sucht
Vermutlich kennt jeder ambitionierte Hobbyläufer das ohnmächtige Gefühl während einer längeren Pause – oder auch nur nach einem trainingsfreien Tag. Man fühlt sich, als ob man einen Tag vertrödelt und kostbare Trainingszeit verschwendet hätte. Man ist leer, unerfüllt und irgendwie fahrig. Denn am besten lässt sich Bürostress oder Alltagsfrust noch immer bei einer täglichen Trainingseinheit verarbeiten.
Oder ist doch alles anders? Etwa wie kritische Stimmen immer wieder behaupten: Laufen sei ein Weglaufen vor den eigenen Problemen und eine mit Drogenabhängigkeit vergleichbare Sucht? Diese Frage stellt sich Thomas Wessinghage, der hoch angesehene deutsche Sportmediziner und 1982 Europameister über 5000 Meter, in seinem Buch «Richtig gut laufen».
In der Beantwortung bezieht sich Wessinghage unter anderem auf eine Studie, die Laufen als Mittel zur Bekämpfung von Depressionen untersuchte. Patienten mit chronischen Depressionen wurden in drei Gruppen eingeteilt: Die erste Gruppe wurde mit antidepressiv wirkenden Medikamenten behandelt, die zweite mit Placebo, die dritte mit ruhigem Lauftraining.
Die Ergebnisse waren in jeder Beziehung erstaunlich: Medikamente und Laufen wirkten jeweils gleich gut – und deutlich besser als das Placebo. Die Gruppe «Laufen» kam ganz natürlich ohne diverse unerwünschte Nebenwirkungen aus, die bei starken Medikamenten oft unvermeidlich sind. Noch besser waren die Resultate von Folgeuntersuchungen ein Jahr später. In der «Medikamenten-Gruppe» gab es deutlich mehr Rückfälle als bei den Läufern.
Für die positiven psychischen Wirkungen des Laufens sind gemäss Wessinghage die sogenannten Endorphine verantwortlich. Dabei handelt es sich um vom Organismus selber produzierte Substanzen, die in ihrer chemischen Struktur dem Schmerzmittel Morphium ähneln. Daraus erklärt sich die Wirkung auf die Schmerzempfindlichkeit des Menschen, aber auch der Einfluss auf Emotionen und Stimmungen. Einig ist man sich heute darüber, dass sportliche Aktivitäten ein Gefühl des Wohlbefindens fördern, das für mehrere Stunden anhalten kann. Spannung, Sorgen und Ängste werden abgebaut, das Selbstbewusstsein und die positive Lebenseinstellung gesteigert.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit als einen Zustand grösstmöglichen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens. Das regelmässige Training verbessert in vielen Fällen neben dem physischen Wohlergehen die Einbindung in die Gesellschaft. Sollten wir nach einer trainingsfreien Zeit also wirklich «Entzugserscheinungen» verspüren, muss das nicht negativ sein. Denn eine Sucht, die uns Entspannung, Gesundheit, Zufriedenheit, Selbstsicherheit und soziale Kompetenz vermittelt, wird weder den Krankenkassen noch der WHO Sorgen bereiten.
Was denken Sie darüber? Ist Laufen eine positive Sucht oder kann der Sport auch zu viel werden – wenn man beispielsweise seinen Lebensrhythmus um die tägliche Trainingseinheit organisiert und Beruf und/oder Familie vernachlässigt?
27 Kommentare zu «Die gesündeste Sucht»
Als Endorphin-Junkie erster Güte absolvierte ich im Durchschnitt 110km Laufprogramm pro Woche, teilweise zwei Trainings am Tag, über Jahre hinweg. Mit beidseits chronisch entzündeten Patellasehnen morgens rückwärts die Treppe runterlaufend frass ich „Vitamin I“ (Ibuprofen) am Laufmeter und lief trotzdem weiter (und weiter und weiter). – Ich war OHNE ZWEIFEL süchtig. Vor sechs Jahren dann der Totalabsturz, ich konnte nicht mehr und begab mich in die renommierte Rennbahnklinik. Kompletter Laufstopp, Stosswellenmassagen (nutzte bei mir nix), Akkupunktur (nutze noch weniger), 5 Kilo zugenommen, nach drei Monaten ein Bike gekauft und mittlerweilen wieder ab und zu rennend unterwegs. Gesund war’s nicht, aber die Endorphine… Letztlich war ich selbst schuld, die Menge macht das Gift!
Da bin ich mit Hr. Renggli voellig einig. Laufen macht einfach spass, ich mache es selber dreimal die Woche. Es ist eine der billigsten Moeglichkeiten Sport zu treiben, nur zweimal im Jahr neue Schuhe anschaffen. Bei jedem Wetter raus einige Kilometer rennen. Zuhause das dampfende Tenue weglegen. Man fuehlt sich einfach enorm gut danach. Zu welcher Tageszeit spielt eigentlich auch keine grosse Rolle, je nach Job.
Ameisen laufen grössere Distanzen als wir Menschen es tun, trotzdem leben die nicht länger. Obwohl sie nie alleine sind und im Pulk laufen, also sozial dabei sind. Liegt es an der Diät? Oder an den Sneakers? Wer hat die Antwort?
Laufen war für mich ein herrlicher Sport, genau wie beschrieben. Als die Knie nicht mehr mitmachten bin ich in ein Loch gefallen. Also nicht übertreiben. 3x 30 Minuten in der Woche genügen für das Wohlbefinden. Marathon hält kaum ein Körper aus.
Nicht übertreiben, wie wahr! aber auch 3 x 30 Minuten können viel zu intensiv sein, kann ein Ziel für in 2 Jahren sein. Fitnesszustand, Alter und Gewicht sind zu berücksichtigen. Sehnen und Gelenke evtl. erst mit Spazieren/Walking (2 x 20 Min.) vorbereiten.
Immer wieder lustig, was heraus kommt wenn einer dem Anderen die Resultate von Studien abschreibt ohne den Inhalt zu lesen. 1. Auch Laufen ist nicht ohne Nebenwirkungen. Ganz viele Sportärzte, Physios, Chiros, Orthopädisten, Masseure etc. leben von der Therapie der Nebenwirkungen. 2. Es muss nicht Laufen sein. Als Resultat der Zusammenfassung/Analyse der diversen Studien (zB von Cochrane Library oder andere Reviews) zeigt sich, dass am wirkungsvollsten mässige Aktivität im Aeroben Bereich, in der Gruppe, unter Anleitung, und bei leichten bis mittleren Depressionen ist. 3. Bei den Schweren Depressionen kommt man nicht um intensive Psychotherapie und/oder Medikamente herum, dass ein Spaziergang überhaupt wieder möglich ist. 3. Mit den Endorphinen hat der Effekt nicht viel zu tun.
„Manche Leute spotten über jene, die jeden Tag laufen und behaupten, daß sie jede Mühe auf sich nehmen, um länger zu leben. Aber glaube nicht, daß das der Grund ist, warum die meisten Menschen laufen. Die meisten Läufer laufen nicht, weil sie länger leben wollen, sondern weil sie das Leben in vollen Zügen geniessen. Wenn Du die Jahre nicht vertrödeln willst, dann ist es viel besser klare Ziele zu verfolgen und voll auszuleben und ich glaube, das Laufen hilft ihnen, das zu tun. Sich innerhalb ihrer individuellen Grenzen in vollen Zügen anzustrengen: Das ist die Essenz des Laufens und eine Metapher für das Leben – und für mich, für das Schreiben als Ganzes. Ich glaube, daß viele Läufer dem zustimmen würden.“ – Haruki Murakami (Schriftsteller und Läufer)
Schwimmen ist für mich die beste Medizin gegen Depression. Funktioniert immer.
Sind Sie der Sohn von Sepp Renggli?
Ich denke, Laufen ist für jene gut, denen es Spass macht. Mir hat Laufen nie etwas bedeutet; erstens bin ich zu dick, wodurch die Gelenke beim Laufen zu stark beansprucht würden. Zweitens sagt es mir einfach nichts, auch früher, wo ich schlanker war, nicht. Doch jedem das seine. Ich ziehe Wandern/Spazieren vor.
Rennen ist eine gute Möglichkeit, Kalorien zu verbrennen, und zwar in die Fettverbrennung zu gelangen, somit Gewicht verlieren. Wichtig ist nicht die Geschwindigkeit, sondern die Zeitdauer: deutlich über 30 Minuten, z.B. 45 Minuten, 65 Minuten zweimal wöchentlich. Bis 30 Minuten soviel wie Lust ist. Geschwindigkeit so, dass man nicht ausser Atem ist.
Laufen kann eine schöne Sucht sein. Nur muss man auch sehen, dass nicht jeder Mensch den richtigen Körperbau hat um auf Asphalt zu joggen. Und 5 km lange Finnenbahnen wie in Schweden und ohne enge Kurven gibt es aber in der Schweiz nicht, bzw. mir ist keine solche bekannt.
Laufen ist schlecht für die Gelänke. Schwimmen schadet den Gelenken nicht. Also wäre wohl schwimmen das gesündeste.
Gleichzeitig sterben jährlich aber um ein Vielfaches mehr Menschen beim Schwimmen als beim Joggen.
Es sei einem jeden freigestellt, in welchem Sport er seine Erfüllung findet. Ich kenne das Gefühl nur zu gut. Nach der Geburt meines ersten Sohnes realisierte ich aber auch, dass es andere erfüllende Momente gibt. Ich habe dem Sport auf keinen Fall abgeschworen, bin aber bewusst für meine Kinder da. Das gibt mir auch enorm viel Erfüllung und sie fehlen mir, wenn ich sie einen Tag nicht sehe. Ausserdem lassen sich sportliche Aktivitäten und Kinder hervorragend kombinieren. Ich habe aber Mühe mit Superpapis, die die ganze Woche trainieren und am Wochenende an Wettkämpfen sind. Die hätten das Kinderhaben besser sein lassen.
„Wenn Du laufen willst dann lauf eine Meile, wenn Du aber ein neues Leben willst dann lauf Marathon“. Ein Zitat für das ich vor meinem ersten Marathon nur ein Lächeln übrig hatte. Das Marathonlaufen bringt mir sehr viel fürs Leben. Im Training geht es nicht nur darum für sich etwas gutes zu tun sondern trainiert einem Ziel entgegen.
Mens sana in corpore sano. Was dies auch heissen mag für jeden einzelnen. Wie bei allem, gilt es ein Mass zu finden und kritikfähig zu bleiben.
Bloss ist das Originalzitat „orandum est ut sit mens sana in corpore sano.“
„Man soll dafür beten, dass in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohne.“
Da steht nichts davon, dass das eine das andere bedingt, nur dass beides wünschenswert ist.
In meinem Fall hat der Körper beim Laufen nie mitgemacht. Ich hole meine Fitness bei weniger gelenkbelastenden Aktivitäten (Velo, Schwimmen, Wandern, wobei letzteres bereits zu erhöhtem Erholungsbedarf führt.)
Eine selbsttäuschende Faustregel löst einen Teufelskreislauf aus.
Ich bin (mental) gestresst, also stress ich mich nicht noch zusätzlich (körperlich)!
Folge: Ich bewege mich weniger und nicht gebrauchte Muskeln verdaue ich. Ich esse zuviel und lege Fettpolster an. Je dicker ich bin umso anstrengender wird Joggen (mit weniger Muskeln), was mich (mental) stresst …
Fazit: Unser Körper ist zum Joggen optimiert. Wir müssen unsere Laufmuskeln aber „stressen“, damit sie erhalten bleiben! 30 Kilomenter pro Woche wären ganz normal, falls ich durch die Arbeitstätigkeit nicht ständig in Bewegung bin.
Sobald etwas zur Sucht ausartet, kann es für Geist, Körper und Seele niemals förderlich sein – auch Sport nicht. Im Übrigen tun mir all jene Leutchen leid, die uns immer öfter auf Waldwegen und sonstige Anlagen, mit hochrotem Kopf, halb heraushängender Zunge, dumpf vor sich hin blickend nudelfertig über den Weg laufen und im Wald die Tiere aufscheuchen, was ihnen aber eher egal ist, genauso wie den Bikern.
Eine Sucht wird nicht nach deren Konsequenzen beurteilt, sondern aufgrund ihres Wesens verurteilt. Das starke, eben süchtige Verlangen nach etwas lässt eben andere Sachen zweitrangig aussehen, die es nicht verdient haben, als zweitrangig abgestempelt zu werden.
Wenn man sich an einem trainingsfreien Tag leer und unerfüllt fühlt, sollte man sich fragen: Was habe ich heute gemacht? Mehr Zeit mit meinen Kindern, meiner Partnerin/meinem Parnter, meinen Freunden verbracht? Oder auch nur ein bisschen länger auf dem Liegestuhlt liegen geblieben und dabei was gelesen? Ist das echt verschwendete Zeit?
Das ist das Schlechte an Süchten: Wir richten unser Leben nach ihnen und verlernen, das zu schätzen und zu geniessen, was wir auch sonst alles Schöne und Gute um uns herum haben.
Laufen ist schön, kann sehr schön sein. Ich laufe nicht mehr in der Gruppe, da das zu Training zu oft in einem Renntempo endete. Einer zieht an, der Rest möchte sich keine Blöse geben und geht mit. Das ist dann weder gesund noch entspannend. Eine Möglichkeit ist Laufen mit Frauen, die sind da wesentlich entspannter.
Sport – das sind für mich die Gitterstäbe, an denen ich mich festhalten kann, um nicht wieder um- und in Depression und Anorexie zu fallen. Sport mag – abgesehen von all den Abnutzungs- und Ermüdungserscheinungen – die gesündeste Sucht sein. Ein Leben in innerer Freiheit sieht aber für mich anders aus. Kommt hinzu, dass jede Sucht das Schlechteste aus einem Menschen hervorholt. Beim Sport scheint mir dies nur minim anders. Alle, die Sport aus purer Freude und Lust betreiben und auch einmal sein lassen können, haben meine grosse Bewunderung. Mir will dies nicht so recht gelingen.
Aus purer Freude laufen wohl die wenigsten. Entweder haben sie ein Ziel vor Augen, etwa an einem Wettkampf schneller zu sein. Oder sie wollen besser aussehen und haben keine Lust auf Diäten. Oder beides. Ich laufe zum Entstressen und auch, um schlank und gesund zu bleiben. Hauptsache laufen oder sonst etwas, das fit hält.
Sucht ist definiert als unstillbares Verlangen und wegen der Unstillbarkeit betrachten wir Sucht als Krankheit. Das Agens der Sucht, ob Substanz oder immateriell, ist dafür gleichgültig.
So sind die imponierendsten Süchte heute die nach Reichtum, Schönheit, Fittness, usw. . Alkohol und Nikotin verblassen dagegen.
Aber eben nur, wenn es das Attribut der Grenzenlosigkeit, der Unstillbarkeit hat. Kann man es begrenzen, selbst auf einem hohen Niveau, ist es keine Sucht.
Laufen fördert also die „Einbindung“ in die Gesellschaft. Na toll! Gebundenheit als Ziel, wo man doch auch frei sein könnte…
Aber vielleicht läuft tatsächlich besser (und schneller) im Hamsterrad, wer auch in seiner Freizeit läuft.
Krass ausgedrückt, aber wahr. Laufen hilft, beruflichen und privaten Stress hinter sich zu lassen und ja, aim Hamsterrad-Arbeitsplatz besser zu funktionieren. Ist nicht nur negativ, finde ich.
Ich laufe seit Jahren und geniesse dabei die Natur um mich und das Gefühl mit meinem Atem und mir im Einllang zu sein. Ich laufe bei jedem Wetter und ohne Pulsuhr oder Musik. Ich führe dabei innere Gespräche mit mir selbst und habe oftmals neue Gedankengänge dabei
Am Laufen liebe ich das Gefühl der Einfachheit, für mich sind Laufen und Schwimmen meine Auftankoasen im Alltag, ich liebe beide! Murakami hat ein wunderbares Buch über das Laufen geschrieben , es liest sich wie eine Biographie was kein Zufall ist wenn man mit Leib und Seele läuft.