So trainiert ein Weltmeister

  • Alles unter Kontrolle: Nino Schurter im Gelände. Foto: Martin Bissig (Scott)

  • Im Rock Garden sind volle Konzentration und Koordination gefragt – hier 2015 beim XC Worldcup in Nove Mesto. Foto: Scott

  • Schurter weiss genau, was er will. Foto: Martin Bissig (Scott)

  • Der dreifache Weltmeister im XC macht aus seinem Training kein Geheimnis. Foto: Gaudenz Danuser (Scott)

Zugegeben, es ist schon ein paar Jährchen her, seit ich mich letztmals auf eine Mountainbike-Rennsaison vorbereiten musste. Damals war alles anders – aber sicher nicht besser. Ende der Achtzigerjahre galten die Strassenprofis noch als Referenz, und unsere Trainingspläne widerspiegelten das auch: Sechs- bis siebenstündige Ausfahrten mit dem Rennrad gehörten Anfang Saison zum Standardprogramm. Auch für Mountainbiker. Mit dem Resultat, dass ich mich zum Zeitpunkt der ersten Rennen schon «kaputt trainiert» hatte.

Dass damit kein Blumentopf zu gewinnen ist, weiss keiner besser als der erfolgreichste Schweizer Mountainbiker: Nino Schurter. Der bereitet sich gerade darauf vor, endlich die letzte Lücke in seinem Palmarès zu schliessen: den Gewinn der Olympiagoldmedaille. Dieses Projekt geht er mit viel Selbstvertrauen an. Davon zeugt auch die Tatsache, dass er kein Geheimnis macht um seine Trainingsmethoden.


Tipps vom Profi: Nino Schurter und sein Coach erläutern ihr Trainingsprogramm. Video: N1NO (Youtube)

In ihrem Video erläutern Nino Schurter und sein Coach, Nicolas Siegenthaler, ihre ausgeklügelte Mischung aus Kraft- und Balanceübungen. Fasziniert verfolge ich, wie der Schweizer Vorzeigemountainbiker auf einen Gymnastikball klettert und sich langsam aufrichtet. «Könnte ich auch mal ausprobieren», denke ich. Dann schliesst Schurter die Augen. Und ich würde wohl einen unschönen Abgang machen.

Eine Trainingseinheit besteht aus neun verschiedenen Übungen: drei für die Arme, drei für den Rumpf, drei für die Beine. Dazwischen jeweils 20 Sekunden Koordinationsaufgaben – zur Erholung. Erholung? Wenn Schurter mit geschlossenen Augen auf einem Ball steht, ist er gedanklich mitten im Rock Garden oder fliegt mit dem Bike über rutschige Wurzeln. Er simuliert eine mögliche Rennsituation. In den Wettkämpfen leistet nicht nur die Muskulatur ganze Arbeit, auch das Nervensystem ist voll gefordert, muss ständig Reize aufnehmen und verarbeiten. Absolute Konzentration und Koordination sind gefragt. Und trotzdem, so Schurter, hat ein Racer nur diese Momente, um sich vom kräfteraubenden Anstieg zuvor zu erholen. So gut das halt geht.

Vorbild für Hobbybiker
Ich habe längst keine Rennambitionen mehr. Aber herausfordernde Situationen gibts trotzdem zur Genüge. Der steile Abhang, Wurzeln in der Mitte, direkt im Anschluss geht es in die enge Rechtskurve, und dann rumpelt man durch die Steine. Das Bike arbeiten lassen ist das eine, mit dem Körper steuern, ausgleichen, abfedern das andere. Die richtige Linie wählen, in einem Bruchteil von Sekunden Entscheidungen treffen. Das funktioniert nur, wenn alles möglichst automatisiert abläuft. Und genau darauf zielen Schurters Übungen ab: die koordinativen Fähigkeiten verbessern, das Stresspotenzial senken.

Muckis mal anders
Dazu kommt das Krafttraining für Beine und Oberkörper. Muckibude? Nicht ganz: Schurter bewegt mit einer Hand Gewichte, während er sich mit der anderen im Liegestütz hält. Er hüpft beeindruckend schnell auf einem Bein die Treppe hoch. Springt aus dem Stand auf einen Kasten und rotiert dabei mit jedem Sprung 180 Grad um die eigene Achse. Keine unzähligen Wiederholungen, dafür immer mit voller Kraft. «Muss man Masochist sein, um beim Mountainbiken Spitzenleistungen erbringen zu können?» «Nein», antwortet Schurter im Interview mit der Fachzeitschrift «Outdoor Guide», «aber es muss einem gegeben sein, ans Limit zu gehen und auch etwas zu leiden.»

Für mich ist klar: Auch Freizeitbiker können sich bei Schurters Training einiges abschauen. Und: Wer fit sein will, muss nicht bloss leiden. Manche monotone stundenlange Rennradausfahrt wird durch ausgefallenene, abwechslungsreiche Übungen ersetzt, die gute Laune versprechen. Auch ohne komplett ausgestattetes Fitnessstudio, denn Kraft und Balance lassen sich mit etwas Fantasie ganz simpel daheim trainieren – auf den Treppenstufen, mit einem Getränkeharass oder schweren Steinen… Ein Balanceboard lässt sich notfalls auch selbst bauen. Ausreden ade. Ich bin jedenfalls mal weg – beim Trainieren.

Wie bringen Sie sich im Winter und Frühling in Form? Trainieren Sie auch abseits der Trails – oder überlassen Sie das den Profibikern? Mit welchen Trainings haben Sie die besten Erfolge erzielt?

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Ein Kommentar zu «So trainiert ein Weltmeister»

  • Bruno sagt:

    Beeindruckend… und ein sehr sympatischer Sportler und Mensch.
    Mir fällt lediglich auf, dass viele Spitzensportler überdurchschnittliche koordinative Fähigkeiten aufweisen. Roger Federer und Beat Feuz zum Beispiel könnten durchaus die gleichen Übungen machen und hätten damit keine Mühe. Aber deshalb sind die alle auch so gut.

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