Ein 26-jähriger Walliser schreibt Freeride-Geschichte


Beschreibungen mit vielen Superlativen wirken oft etwas suspekt. Doch bei Jérémie Heiz wäre es eher suspekt, keine zu gebrauchen. Der 26-jährige Unterwalliser gehört zur Spitze der internationalen Freeride-Elite und brettert in einem Stil über Steilwände, dass einem die Kinnlade nicht nur runterklappt, sondern auch unten bleibt.

In seinem jüngsten Video fährt Heitz über die Nordwand des Zinalrothorns (4221 m). Sie ist 800 Meter hoch und mit 55 Grad unheimlich steil. Das allein wäre allerdings noch nichts Spezielles. Schon in den frühen 1970er-Jahren wagten sich wilde Hunde auf Ski in solche Flanken. Aber sie machten keine Schwünge. Sie hüpften auf den Kanten hin und her. Die meisten Steilwandskifahrer hüpfen noch heute. Sie nennen das «Tanz mit dem Berg».

Anders Jérémie Heitz: Er tanz nicht. Er lässt die Ski gleiten. Direkt und ungebremst. Auf den 800 Höhenmetern am Zinalrothorn zog er nur ganz wenige weite Schwünge. Sein Tempo schätzt er auf 120 Stundenkilometer. Bei der Freeride World Tour, wo er letzten Winter Vizeweltmeister wurde, gilt er als Highspeed-Rider. Nur ganz wenige können im hochtechnischen Gelände so schnell fahren wie er.

Die Abfahrt vom Zinalrothorn ist Teil seines Projekts «La Liste». Fünfzehn Viertausender der Alpen will er bis zum Frühling 2016 über deren Nord- oder Nordostwände in diesem Stil befahren. Nebst dem Zinalrothorn hat er bereits Lenzspitze, Obergabel-, Stecknadel-, Hohberghorn im Sack. Am Matterhorn startete er bisher drei Versuche, musste aber jedes Mal wegen starken Windes umdrehen.

Hier der Trailer zu «La Liste» mit der Abfahrt vom Zinalrothorn (Video: Youtube):

Das A und O solcher Projekte ist die Vorbereitung. Heitz beobachtet die Verhältnisse in den Wänden über längere Zeiträume hinweg. Das Terrain kann wunderbar verschneit aussehen, obschon nur ein Zentimeter Schnee auf dem Blankeis klebt. Deshalb inspiziert er seine Ziele genau, zumeist mit einem Kleinflugzeug. Für die Abfahrten steigt er dann aber zu Fuss auf. «Nur so erfahre ich, wie die Bedingungen am Berg wirklich sind.»

Am Ende soll aus «La Liste» ein Film entstehen. Sympathisch ist, dass Heitz sich damit nicht nur selber ins Rampenlicht stellt. Mit seinen Hochgeschwindigkeitsfahrten schlägt er in der Geschichte des Freeridens ein neues Kapitel auf. Aber er lässt gleichzeitig die alten Helden neu aufleben. «Sie haben mich inspiriert. Ohne sie wäre ich nicht da, wo ich heute bin.» Etwa Sylvain Saudan, der 1970 als erster Mensch mit Ski über die Nordwestflanke am Eiger fuhr. Heitz sagt, er wolle mit «La Liste» dokumentieren, wie sich das Steilwandskifahren über die Generationen entwickelt habe.

Würde Heitz bei solchen Abfahrten der kleinste Fehler unterlaufen, könnte ihm weder der beste Helm noch der beste Rückenprotektor oder Airbag helfen. Ob er keine Angst habe, frage ich ihn bei unserem Treffen. «Ja, ich habe Angst», sagt Heitz. «Ich weiss, dass ein Sturz fast sicher fatal wäre.» Warum macht er es trotzdem? «Beim Fahren verspüre ich ein absolutes Glücksgefühl. Die Abfahrt vom Zinalrothorn war das Beste, was ich je gefühlt habe.»

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8 Kommentare zu «Ein 26-jähriger Walliser schreibt Freeride-Geschichte»

  • Rohrer, Heidi sagt:

    ja aber es soll nicht in die Medien kommen, und so verherrlicht werden, denn es passieren zu viele Unfälle, mit Leuten die neben den Pisten fahren. Oft werden so Lawinen ausgelöst. Andere müssen sie dann retten und sich selber in Gefahr bringen. Wo ist da das Verantwortungsgefühl für die Mitmenschen??

    • Patrick Becker sagt:

      Wieso vergleichen sie einen Spitzensportler mit dem Unterländler der noch nie etwas von Lawinenbulletin, Schneeprofil analyse und sonstiges verhalten im Gelände gehört hat? Ebenfalls sollte man den Film zuerst anschauen bevor man von Medien verherrlichung spricht, es wird klar gezeigt, was alles dazu benötigt wird. Das sogenannt neben der Piste fahren zeigt mir, dass sie nicht gerade viel über die Sportart Freeriden wissen. Dieses Niveau an ’neben der Piste fahren‘ ist nicht nachahmbar, ausser man gehört zur Elite. Es braucht mehr Aufklärung über den Sport, da haben sie einen Punkt. Aber schlussendlich hat der Film keinen Einfluss auf den Deppen der den Schneebericht nicht beachtet, der geht nämlich sowieso ’neben die Piste‘ ob er den Film nun gesehen hat oder nicht.

  • A. Koch sagt:

    Wow – aber. Wow, weil dies Spitzenleistungen sind, ästhetisch, anspruchsvoll, und hochgefährlich. Aber, wie beim Soloklettern, weil diese Dinge meiner Meinung nach nicht kommerzionalisiert werden sollten. Wenn jemand das für sich macht (und sein Leben immer wieder auf’s Spiel setzt) ok, aber es gibt ein falsches Bild und wohl falsche Anreize für die falschen Leute… Einmal verkanten und aus ist’s (the „ultimate kick“).

    • Jürg sagt:

      Keine Sorge, das kann nicht kommerzialisiert werden. Stehen Sie mal mit den Ski (oder auch ohne) oben an einer 55 Grad steilen Flanke (für die meisten tun es auch 40 Grad). Da fährt man nicht einfach runter, weil jemand einen ‚Anreiz‘ gesetzt hat.

      • A. Koch sagt:

        Stimmt, habe auch nicht unbedingt an ein 1:1 kopieren gedacht… Selbstüberschätzung kann schon in viel weniger steilem Gelände fatale Folgen haben…

  • Martin sagt:

    Kenne alle genannten Gipfel von Sommer-Hochtouren. Da möchte ich echt nicht ausrutschen – weder mit Steigeisen noch Skis… Viel Glück weiterhin, Jérémie!

  • Vera sagt:

    Wow, unglaublich! Ich hatte Gänsehaut während des ganzen Trailers. Bin sehr gespannt auf den Film, ich hoffe dann wird es wieder einen Blogeintrag dazu geben?

  • Lukas sagt:

    Herrliches Video. Aber es sieht nach einem Abschiedsgeschenk von Heiz aus…

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