Kletterstars werden immer jünger
Ein Beitrag von Emil Zopfi*
Mein Herbst-Kletterprojekt ist geplatzt – nicht weil ichs nicht schaffte. Ich fühlte mich bestens, war gerade beim Aufwärmen, als zwei Familien mit einer Schar Kinder über den Klettergarten herfielen. Bald hingen Seile da und dort, stört ja weiter nicht, aber als ich mein Projekt anpacken wollte, war der eine Papa schon beim ersten Haken. Man wartet halt ein bisschen, isst noch eine Banane, trinkt einen Schluck Wasser und schaut zu, wie sich der Mann abmüht. Mal hängt er, mal schimpft er, die Route sei viel schwerer als im Führer angegeben. Schon keimt Hoffnung auf, als die sichernde Ehepartnerin hinaufruft: «Bau ab, das ist zu schwer für uns.»
Nach einer gefühlten Unendlichkeit erreicht der Mann die Umlenkung, aber er zieht das Seil nicht ab, sondern nun kommt ein Töchterlein dran, offensichtlich der Kinderstar der Gruppe. Mama filmt, die Bunch zückt Handys und feuert die Kleine an, die sich jedenfalls tapfer anstrengt. Dass sie für die Shootingsession auf den Helm verzichtet, versteht sich von selbst, ihre langen blonden Haare machen sich gar gut auf den Bildern. In zwei Jahren, ich bin sicher, wird sie die Route locker vorsteigen. Ich vertage mein Projekt auf den Frühling, wir verabschieden uns, denn nun muss auch Mama anpacken und dann die Geschwister und die andere Familie – nur der Hund bleibt am Boden.
Die Kletterstars werden immer jünger, und mir scheint, es sei eine Entwicklung im Gang wie in andern Sportarten, etwa Tennis, Ballett oder Eiskunstlauf: Totale Förderung des sportlichen Nachwuchses durch die Familie.
Letzthin nahm ich an einer Versammlung meiner SAC-Sektion teil. Vor den Ehrungen der Älteren und Alten, die vierzig oder fünfzig Jahre regelmässig ihren Mitgliederbeitrag geleistet haben, durfte ein Neunjähriger auf die Bühne, der in einem U-10-Kletterwettbewerb einen guten Rang «erkämpft» hatte, wie er selber sagte. Ein sympathischer Bub, der weiss, was er will. Seine Eltern oder der Grossvater fahren ihn zweimal pro Woche ins Training. In zwei Jahren werde er ihn überholt haben, sagte sein Vater, selber ein hervorragender Kletterer.
«Da muss er aber Gas geben», meinte ich. «Nein, ich muss Gas geben», lachte der Vater, sichtlich ein bisschen stolz auf den kämpferischen Jungen, «6b steigt er schon vor, onsight».
Man muss sich damit abfinden: Die Jungen kommen, und sie werden immer jünger und stärker. Vor zwei Jahren schauten wir einer Dreizehnjährigen zu, die eine 7b punktete, gecoacht von ihrem Vater, einem Sportlehrer. Selbst der erste Haken schien mir auf einem andern Planeten zu stecken.
Motivierendes Abzeichensystem für Kinder: Gecko Trophy. (Sac Cas/Youtube)
Der 152-jährige SAC will die Entwicklung jedenfalls nicht verschlafen. Vor kurzem hat er die Gecko Trophy (siehe Video) lanciert, «ein einheitliches Abzeichensystem für Kinder und Jugendliche», basierend auf «altersgerechter Ausbildung und Förderung im Klettern». Ab fünf Jahren gehts los mit Schnuppern, später kommt in verschiedenen Kursmodulen Techniktraining, Persönlichkeitsentwicklung und vieles mehr dazu, was zu unserem Sport gehört. Vom «Rookie» über den «Champ» bis zum «Hero» kann sich die Kletterjugend qualifizieren und mit einem von zwölf Abzeichen ausweisen.
Ein bisschen kompliziert, sinniert da der Alte, der noch aus einer anarchischen Kletterzeit stammt. Als wir mit 16 schon Sechser kletterten, wollte man uns aus der Jugendgruppe des SAC schmeissen – das Wort «Sport» war damals geächtet im Club. Der Lehrmeister verhängte Kletterverbot, die Eltern sperrten das Taschengeld, wenn man wieder mal zu spät und mit zerrissenen Hosen nach Hause kam. Von Förderung also keine Rede. Doch Neid auf die Jugend ist sicher fehl am Platz – jede Zeit hat ihre Helden bzw. «Heroes».
*Emil Zopfi ist Rentner, Schriftsteller und lebt in Zürich. Er ist seit über fünfzig Jahren Bergsteiger und Kletterer, www.zopfi.ch.
4 Kommentare zu «Kletterstars werden immer jünger»
hallo mitenand
ich danke emil zopfi für den ausgezeichneten artikel. es ist ja normal das sich der sport in vielen bereichen immer weiterentwickelt. ich finde es toll wie die mädchen und jungen ihre leidenschaft, dem klettersport frönen. das ist auch eine ausgezeichnete lebens- und charakterschule.
meine tochter sarah elena klettert im 7er bereich. ich habe kein problem wenn ich diese routen im nachstieg gehen muss. es ist ja eine freude, seine kinder beim klettern zu zu schauen. ich gebe der tochter immer auf den weg: „nicht verbissen werden, einfach aus freude und spass klettern. irgendwann erreichst du deine grenzen, und diese akzeptieren.“
ich wünsche allen jugendlichen viel spass beim klettern. (auch den erwachsenen)
grüsse von
raphael wellig
Lieber Emil, hast Du das Interview auf zentralplus.ch vom Sonntag gelesen?
Das Mädchen ist echt, da sind keine ehrgeizigen Eltern dahinter. Vielleicht gerade deshalb hat sie diese unglaubliche Lockerheit weg.
http://www.zentralplus.ch/de/news/sport/4721771/Das-Luzerner-Klettermädchen-will-hoch-hinaus.htm
Absolut liebenswürdiger, pointierter und vielfach den Tatsachen entsprechender Artikel! Vielen Dank!!!!
Ich bin zwar kein Trainer, aber im Vorstand eines Regionalzentrums für Sportklettern. Was unsere Kids klettern ist heftig, bei U12 käme ich gerade noch so mit, aber nur noch im Mittelfeld.
Zum Glück ist es bei uns noch nicht so heftig wie beim Kunstturnen oder Schwimmen, dagegen steckt unser Aufwand fast noch in den Kinderschuhen. Dennoch, es ist eine schwierige Aufgabe zwischen Fördern und Überfordern.
Und vor der „Verjüngung“ macht auch das Sportklettern keinen Halt, wenn die Europa- und Weltmeisterin, Juliane Wurm, mit 25 in „Pension“ geht.