Siebenschläfer, Hornissen, fliegende Schweine

Ein Erfahrungsbericht von Emil Zopfi*

Plötzlich kreiste ein verstärktes Geschwader von gelbschwarzen Flugobjekten um seinen Kopf: Emil Zopfi macht im Kletterparadies Finale (Italien) neue Erfahrungen.

Plötzlich kreist ein verstärktes Geschwader von gelb-schwarzen Flugobjekten um seinen Kopf: Emil Zopfi macht im Kletterparadies Finale (Italien) neue Erfahrungen.

Die Route im Tempio del Vento, Finale, heisst «Suini volanti» – fliegende Schweine. Riss, Platte, überhängender Ausstieg an löchrigem Fels, der einer Bienenwabe gleicht. Braungelb, griffig, Genuss. Kein fliegendes Schwein in Sicht, aber irgendwas anderes summt mir um den Kopf, als ich anpacke. Ein Insekt. Na ja, kommt vor, letzthin kletterte ich mit einer Gottesanbeterin um die Wette. Auch der zweite Brummer stört mich nicht, ich bin mit der Kletterei beschäftigt, mit dem Hier und Jetzt, das Zeit und Umwelt für ein paar Atemzüge auslöscht. Erst, als ein verstärktes Geschwader von gelb-schwarzen Flugobjekten um meinen Kopf kreist – zum Glück trage ich Helm – hänge ich mich in einen Griff, sehe mich um – und ein frühkindliches Trauma wirft mich beinahe aus der Wand. Hornissen! Hornissen!

Angeblich gar nicht so giftig, wie der Volksmund meint: Hornissen.

Angeblich gar nicht so giftig, wie der Volksmund meint: Hornissen.

Damals, auf dem Schulweg, gabs in einem Baum ein Hornissennest. Man sagte, sieben Stiche töten ein Pferd, drei einen Menschen. Wir rannten in Todesangst in einem weiten Bogen um den Baum. Nun surrten also diese Todesengel um meinen Kopf, und es wurden immer mehr, direkt vor meiner Nase sah ich sie aus ihrem Felsenloch kriechen, abheben und sich dem Geschwader der Nestverteidiger anschliessen. Immer wieder stürzte das eine oder andere Tier auf mich los wie eine Messerschmitt im Luftkampf. Fliegende Schweine wären mir doch wesentlich lieber gewesen. Rechts oberhalb von mir blinkte im Fels ein Ring, mein Rettungsring vor dem sicheren Tod durch Hornissengift. Ich spreizte hinüber, klinkte mich ein. Der Schwarm umkreiste mich weiter, mit etwas Distanz, aber immer grösserer Zahl. Einige Hundert Tiere soll so ein Nest umfassen.

Mein Kindheitstrauma hatte ich inzwischen überwunden, hatte mich erinnert, dass Hornissen doch besser als ihr Ruf seien, gar nicht so giftig, wie der Volksmund meint, und eher zurückhaltend mit Stichen. Es brauche doch etwa 500 bis 1000, um einen Menschen zu töten, werde ich mich später auf Wikipedia informieren. Den Satz «Die Hornisse kann durchaus ein wehrhaftes Tier sein, wenn es darum geht, ihr Nest zu verteidigen» kann ich jedenfalls aus eigener Erfahrung bestätigen.

Ein anderes geflügeltes Wesen machte uns im Frühling auch eine Route in den Finalefelsen streitig: Auf «Oggi in stereo» nisteten Wanderfalken. Das waren wesentlich wildere Kerle als die wehrhaften Hornissen. Diesmal war die Route frei und im grossen Loch, in dem sie ihre Brut verteidigten, keine Spur mehr von den seltenen Vögeln. Wir hoffen also, sie haben den Kletterbetrieb des Frühlings überlebt.

Klettergriff und «Siebenschläfernestern» in einem: Am löchrigen Finalefels erfreuen sich allerlei Lebewesen und «regulieren» die Anzahl Kletterer auf ihre Art und ohne Unterstützung militanter Naturschützer.

Klettergriff und «Siebenschläfernester» in einem: Am löchrigen Finalefels erfreuen sich allerlei Lebewesen und «regulieren» die Anzahl Kletterer ohne Unterstützung militanter Naturschützer.

Diesen Herbst hörte man in Finale da und dort Kletterer mit Respekt von Begegnungen mit Siebenschläfern berichten. Vor Jahren fauchte uns so ein Pelztierchen an der Rocca di Corno auch schon aus Felslöchern an. Ebenso wehrhaft wie Hornissen verteidigen auch sie ihre Lebenswelt gegen die Eindringlinge, die ihre Magnesiafinger in ihre Wohnstube strecken. Es scheint, als habe sich diese Spezies in der Gegend verbreitet, Löcher für feine Nester finden sie hier zur Genüge. Und wer weiss, vielleicht ergreifen Tiere allmählich Besitz von den Felsen, greifen zur Selbsthilfe und verdrängen uns Kletterer ohne die Unterstützung von militanten Naturschützern aus ihrer Lebenswelt.

SCHRIFTSTELLER, AUTOR,*Emil Zopfi ist Rentner, Schriftsteller und lebt in Zürich. Er ist seit über fünfzig Jahren Bergsteiger und Kletterer, www.zopfi.ch.

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3 Kommentare zu «Siebenschläfer, Hornissen, fliegende Schweine»

  • Jürg Hersche sagt:

    Sehr beeindruckend ist auch der Steinbock im Einstieg, der unmissverständlich klarmacht, dass das sein Revier sei. vor allem wenn sich der Einstieg auf einem abschüssigen Grasband befindet.

  • Thomas Kissling sagt:

    In der Brutzeit zwischen Februar und Juli sollte an Felsen mit Wanderfalken- und Uhunestern nicht geklettert werden. Eigentlich sollte dies mit Informationstafeln beim Einstieg angezeigt werden. Jede Störung kann den Bruterfolg dieser gefährdeten Art schmälern.

    • Jule sagt:

      Ich hab auch ein frühkindliches Trauma von Hornissen. Wenn ich etwas brummen höre oder diese Viecher aus 5 Metern Entfernung sehe, renn ich sofort weg.

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