Vom Wildhans und einer günstigen Barockorgel
Diese Woche im Tössbergland
Der Sonntag vor anderthalb Wochen war verregnet und verhudelt. Liliane, Monika und ich stiegen trotzdem von Langnau aus auf die Lüderenalp. Wir wurden belohnt. «Regen» ist bloss ein Oberflächenwort, das abschreckt, ohne viel zu bedeuten. Vor Ort hatten wir eine gute Sicht. Nebelchen stiegen aus den Gräben, im Wald verendeten die Farnwedel in apartem Hellbraun, und gegen unser Ziel zu waren die Hügelspitzen schneebedeckt.
Mit anderen Worten, es war toll. Doch leider, leider, leider ist der letzte Bus von der Lüderen zu Tale Ende Oktober gefahren – mehr von dieser Prachtsunternehmung daher erst nächstes Jahr. Wenn ich nun in den Kanton Zürich wechsle, dann, weil das Tössbergland sich für eine schöne Endherbst-Wanderung ebenso aufdrängt. Es ist dem Emmental ja auch topografisch verwandt: dasselbe intensive Wechselspiel von Hügeln und Tobeln, dieselben kurvigen Erschliessungssträsschen, dieselbe bröckelige Nagelfluh. Freilich ist die Gegend nicht so abgelegen, man kommt ohne Bus aus. Und sie ist reicher an Weilern mit kleinen Wirtschaften.
Geschichtsstunde am Breitenlandenberg
Wir starten in Turbenthal, einer weitläufigen Gemeinde. Erstes Ziel ist der Breitenlandenberg. Ihn zu erreichen, ziehen wir an der Kirche vorbei, folgen kurz dem Chatzenbach, und nun geht es aufwärts in einer hohlen Gasse, die mit Laub gepolstert ist, dass man hineinhechten möchte.
Die Burg Breitenlandenberg ist nur als Restgemäuer vorhanden, aus ihren Steinen entstand im 19. Jahrhundert eine Spinnerei unten im Tal. Einst hauste hier der Ritter Wildhans, Anführer der Besatzung von Greifensee im Alten Zürichkrieg. Heldenhaft soll er mit nur gut 70 Männern den Flecken über Wochen gegen wüste Innerschweizer Heerhaufen verteidigt haben, um dann doch kapitulieren zu müssen. Die Verteidiger wurden hingerichtet, auch der Wildhans.
Der versteckte Schatz
Das war 1444, also doch vor langer Zeit, weshalb wir uns erlauben, von der Betroffenheit wieder in die Fröhlichkeit zu wechseln. Jetzt kommt das Ebnet, ein Plateau, das zur Landwirtschaft einlädt. Und dann ist da irgendwann die erste Nagelfluhwand. Derzeit ist das alles äusserst stimmungsvoll mit den gefärbten Bäumen und den Raschelblättern am Boden und all den Hogern rundum – die pure Tössberglandness.
Via Büel gelangen wir nach Sitzberg. Es ist berühmt für seine Barockorgel, die aus dem Süddeutschen stammt. Lustig: Die Leute von Sitzberg kauften sie als günstige Occasion, nachdem 1897 das bisherige Modell nicht mehr funktionierte. Die vergoldeten Schnitzereien montierten sie von der Nachfolgerin ab und verstauten sie im Dachboden. Und erst 1958 realisierte man unter Beihilfe eines Zürcher Musikstudenten, dass es sich um eine Kostbarkeit handelt, gebaut um 1741 für eine Kirche auf der Schwäbischen Alb.
Mittlerweile steht die Orgel von Sitzberg längst unter Denkmalschutz. Ich selber habe sie nicht gesehen – ich wollte zwar, aber in der Kirche wurde geheiratet. Ich tröstete mich im Sternen, der auf Thurgauer Boden liegt, mit einem Most. Hernach ging es stetig abwärts mit mir. Unten in Schmidrüti kam ich am Freihof vorbei, bekannt für deftige Kost und für Metzgeten. Ich kehrte aber ebensowenig ein wie später im Tal des Steinenbaches in der Traube, wo es Fondue gibt; irgendwie war mir nach Bewegung, nicht nach Essen. Auf fast schon flachem Boden setzte ich fort nach Tablat und zum Bahnhof von Wila. Dort zog ich mein Fazit: Gross ist der Herbst, gross aber auch diese Herbstwanderung.
Infos:
Route: Turbenthal Bahnhof – Breitenlandenberg – Ensberg – Sitzberg – Schmidrüti – Steinen/Restaurant Traube – Tablat – Wila Bahnhof
Dauer: 4 Stunden.
Höhendifferenz: Circa 300 Meter auf- und abwärts.
Charakter: Wald, Nagelfluh, Hügel, Hügel, Hügel; Tössbergland.
Höhepunkte: Sitzbergs berühmte Barockorgel. Im Kontrast zu diesem Stück Kultur die Natur: goldener Herbst.
Einkehr: Sternen in Sitzberg (Mi Ruhetag). Freihof in Schmidrüti (Mo, Di). Traube (Mi, Do).
Landeskarte 1:25 000: 1072, 1073, 1092, 1093.
Thomas Widmers Wanderbücher gibt es im Echtzeit-Verlag, www.echtzeit.ch
Wanderblog: http://widmerwandertweiter.blogspot.com
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