Und am Ende dieser riesenhafte Uhu

Diese Woche von Sedrun nach Disentis (GR)

Vor der Wetterverschlechterung noch einmal Restsonne in den zentralen Alpen – das hat mir das Radio versprochen. Ich fahre mit dem Zug das Urnerland hinauf Richtung Gotthard. Umsteigen in Göschenen, umsteigen in Andermatt, Massen von Skifahrern steigen zu. Bei Nätschen und bald darauf auf dem Oberalppass steigen sie alle aus. Und ich bin allein in einem Wagen, dessen Scheiben beschlagen sind von der Atemluft, sodass ich gar nichts sehe. Ich poliere mir meine Scheibe wieder frei.

Draussen tatsächlich Sonne. Doch oh weh, während wir nun die Bündner Seite des Passes hinabfahren, verschwindet sie. In Sedrun steige ich aus, die Sonne ist ganz weg.

Vorsicht, vereist!

Dafür ist die Luft von berauschender Frische. Ein Genussmittel ist sie, das man im Delikatessenladen anbieten könnte, abgefüllt in Flaschen. Ich orientiere mich, ziehe talwärts los, nehme die Fussgängerspur der Bahnbrücke. Beim Bogn, dem Bad, muss ich doch von den Schienen lassen und in den Ort hinab halten. Bald führt mich die Via Curtin Nireigl wieder Richtung Schienen, vor mir liegt der Bugneiviadukt, und der Navigator in mir kann sich entspannen. Dies ist der offizielle Winterwanderweg nach Disentis, pinkviolette Schilder zeigen es an. In Dorfkernen ist es mit den Schildern immer ein wenig schwierig, aber jetzt ist alles klar.

Die folgenden anderthalb Stunden gehe ich meist abwärts, ab und zu flitzen mir zur Seite oder auch zu Füssen rote Wagen der Rhätischen Bahn vorbei, ich passiere Kapellchen und eingeschneite Weiler, quere aber auch einsame Waldstücke. Der Weg ist gut präpariert, was nicht heisst, dass er immer leicht ist. Ab und zu gibt es vereiste Flecken. Aufpassen, Widmer! Du willst in den nächsten Wochen winterwandern und nicht auf Krücken zum Hausarzt schleichen, das gegipste Bein vorzeigen.

Ein Knaller ist der Bugneiviadukt ziemlich am Anfang. Von links, bergwärts, kommt ein Bach herab, der ein Tobel in den Hang gefräst hat. Der Viadukt meistert es in einer eleganten Rechtskurve, der Fussgänger geht auf einem separaten Steg. Er hat einen Metallgitterboden, was Schwindelempfindliche gar nicht mögen. Hunden schneiden die Gitter in die Pfoten.

Foppa fehlt

In der Mitte des Viadukts bleibe ich stehen, mustere die hohen Berge talwärts über der Lukmanierstrasse, konsultiere die Karte. Wie heissen sie? Piz Muraun, Piz Cazirauns, Piz Caschleglia, wenn ich mich nicht täusche; schade, ist mein Redaktionskollege Daniel Foppa nicht dabei. Er ist erstens ein grosser Alpinist. Und zweitens ist er in der Surselva aufgewachsen ─ er wüsste, wie die Zacken alle heissen.

Der wirklich schöne Teil des Winterklassikers endet beim Sportzentrum am Ortseingang von Disentis, der Rest ist eher unromantisch. Und nun? Könnte ich direkt zum Bahnhof halten und wieder heimfahren. Doch das wäre schade, die Anreise hat ja doch gedauert, da will man ein wenig verweilen. Und also tue ich, was ich in Disentis immer gern tue. Ich gehe hinauf zum Kloster. Dort gibt es einen Laden mit Klosterprodukten wie zum Beispiel einer viereckigen, jawohl, viereckigen Nusstorte. Ein noch neues Beizli, die Stiva Sogn Placi. Die vor Kunstschätzen strotzende Klosterkirche. Und das Klostermuseum mit, zum Beispiel, einem Raum voller ausgestopfter Tiere. Mein Liebling ist der riesenhafte Uhu, dessen Menschengesicht mich immer wieder fasziniert.
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Route: Sedrun – talwärts über die kleine Bahnbrücke – beim Bad (Bogn) hinab in den Ort – auf der Via Curtin Niregl vorwärts und vor dem Bugneiviadukt wieder zur Bahn – Bugneiviadukt – Tscheppa – Garmischeras – Mompé Tujetsch – Segnas – Cuoz – Sportzentrum Disentis – Bahnhof Disentis.

Wanderzeit: Knapp 2½ Stunden.

Höhendifferenz: 100 Meter auf-, 410 abwärts.

Wanderkarte: 256 T Disentis/Mustér, 1:50’000.

GPX-Datei: Hier downloaden.

Retour: Zuglinie Andermatt – Oberalppass – Sedrun – Disentis – Chur.

Charakter: Leicht, in Pink beschilderter Winterwanderweg, ein Klassiker der Surselva. Sehr aussichtsreich mit schönen Weilern und Kirchlein.

Höhepunkte: Der erste Atemzug Bergluft in Sedrun. Der kühne Bugneiviadukt. Das Kloster Disentis.

Sicherheit: Wie immer beim Winterwandern kann der Weg stellenweise vereist sein. Schuhkrallen helfen.

Kinder: Keine Probleme.

Hund: Bahnstege mit Metallgittern. Ansonsten keine Probleme.

Einkehr: In Sedrun und Disentis.

Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.

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2 Kommentare zu «Und am Ende dieser riesenhafte Uhu»

  • Hannes Estermann sagt:

    Kenne diesen wirklich schönen Spazierweg….etwas betreffend Hund.
    Wenn wir eine, uns unbekannte neue Strecke laufen mit Hund
    haben wir ganzjährig(!) einfache,aber mit dicken Sohlen bestückte Hundeschuhe
    bei uns(kein Vermögen), sowie sauberes Trinkwasser in einem für hunde idealen Gefäss.
    Danke Ihnen freundlichst für die stets interessanten Artikel und meinerseits einen netten Gruss !

  • Stefan Unholz sagt:

    Ich bin ein absoluter Fan des Blogs von Thomas Widmer und korrigiere deshalb ungern ein Detail, aber die Strecke zwischen Sedrun und Disentis wird nicht von der Rhätischen Bahn betrieben, sondern von der Matterhorn-Gotthard-Bahn (früher Furka-Oberalp-Bahn). In den Zügen hat’s allerdings durchaus ab und zu Wagen der RhB.

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