Wer fotografiert, nervt

Macht da einer grad Pause, um ein Foto zu machen? Foto: Sergejf, Flickr.com
Der traditionell gesinnte Alpinist (wiss. Homo montibus in excelsis deo) ist ein Mensch der Grundsätze. Geht es darum, die alten, kratzigen Armeewolldecken in SAC-Hütten durch neumodische Duvets zu ersetzen, sperrt er sich als Vereinsmitglied vehement dagegen. Er stellt sich auf den Standpunkt, eine Tour ins Hochgebirge verlange es, die Komfortzone zu verlassen. Mit allen Konsequenzen.
Deshalb huldigt er der Entbehrung. Er lernt Hunger und Durst leiden, kämpft sich durch menschenfeindliches Gelände, lässt seinen Charakter durch die Rauheit des Hochgebirges festigen und härten. Für ihn ist es einer der letzten Orte, in die er sich aus der überzivilisierten, sicherheitsorientierten und materialistischen Gesellschaft zurückziehen kann. Ein heiliges Revier, in dem er sich (noch) nach eigenem Gutdünken in Gefahr begeben darf, um seine Kräfte zu messen und seine Fähigkeiten nach allen Regeln der Kunst einzusetzen.
Da passt ein warmes, weiches Daunenduvet schlecht ins Bild des mutigen, unerschütterlichen Bergsteigers. In der Welt des Homo montibus excelsis gibt es ohnehin viele No-gos. So auch das neumodische Mitbringen eines Fotoapparats. Wer es nötig hat, die Landschaft, die steile Kletterei, den ausgesetzten Grat oder die Freude auf dem Gipfel «künstlich» in Erinnerung zu behalten, der hat den Alpinismus nicht begriffen. So einer geht nicht mit dem Herzen in die Berge. Und fast noch schändlicher: Er lässt die Berge nicht in sein Herz!
Einer, der eine Kamera aus dem Hosensack zieht und Momentaufnahmen macht (wiss. Homo fotocus nervis), wird ungern geduldet. Der Montibus in excelsis deo glaubt, der Fotocus nervis kranke an Eitelkeit und betreibe das Bergsteigen nicht für sich (wie es sich gehört), sondern zum Zweck der Selbstprofilierung. Oftmals fotografiert der Fotocus nervis zudem, um von seinem körperlichen Unvermögen abzulenken. Jede halbe Stunde gibt er an, die Sicht sei gerade einzigartig, er wolle ein Foto machen. In Wahrheit ist er der Anstrengung der Route nicht gewachsen und braucht eine Pause. Augen für die Natur fehlen ihm während der ganzen Tour. Er muss sich auf anderes konzentrieren. Erst später kann er auf den Fotos sehen, wo er gewesen ist.
Den wahren Alpinisten treiben dagegen höher zu gewichtende Werte von den Niederungen auf die Bergspitzen. Er ist nicht nur für das Grosse, Gewaltige empfänglich, nein, auch für das lieblich Schöne. Er sucht Stille, Erholung vom Alltag. Er ist demütig, geduldig, genügsam – und fit. In ihm schlummert kein Bedürfnis, von seinen Taten zu berichten. Nicht wie dieser Fotocus nervis.
Beim Montibus in excelsis deo brennt sich jede Sekunde einer Hochgebirgstour in der Gehirnfestplatte ein. Er könnte detailgetreu erzählen, wie er manche Staubmilben in der Nacht in der Hütte unter der Wolldecke eingeatmet hat. Aber das macht er nicht. Sonst würde er zu den anderen gehören.
Welcher Typ Berggänger sind Sie?
23 Kommentare zu «Wer fotografiert, nervt»
hallo mitenand
mich hat es noch nie gestört, das jemand auf bergtouren viel fotografiert. ich fotografiere ja selber sehr viel.
die jenigen wos nervt, und dann zuhause die fotos sehen, fragen dann: „kannst du mir eine kopie machen.“
zusätzlich zum fotografieren sollte man die bilder auch im herzen behalten.
ich wünsche allen gute touren, und viel spass.
gruss von
raphael wellig
Gibt es eigentlich schon Selfie-Sticks, die man auch als Bergstock benutzen kann? Das wär doch mal ein Fortschritt. :D
Nein, das gibt es meines Wissens noch nicht.
Aber einer meiner zwei Wanderstöcke (bzw. meiner angeblich mega-gefährlichen Nordic-Walking-Sticks) hat am Griff einen Kugelkopf. So kann ich den Stock als Einbeinstativ einsetzen. Funktioniert perfekt; sogar für Panoramen.
Ich habe Skistöcke schon Jahrzehnte bevor das Unwort „Selfie“ hier salonfähig wurde als Selfie-Stöcke verwendet.
Definitiv der Fotografiertyp. Damit ich auf meine Touren aber nicht nerve, geh ich allein. Das schliesst dann natürlich solche aus, wo es ein Seil braucht, aber das finde ich sowieso langweilig. Auf viele Berge kommt man ohne rauf, und die Route ist mir egal. Ich hab auch schon mal die Wasserflasche unten gelassen um mehr Kamerakram mitschleppen zu können. Das hat dann richtig genervt, nämlich die Suchmannschaft. Mein Berg steht nämlich mitten in der mexikanischen Wüste, und da war noch nicht mal der Messner oben! Ich wage sogar zu behaupten, da waren kaum mehr als 100 Leute oben. Die Aussicht war biblisch, im Sinne von „und die Erde ist wüst und leer!“
Bevor ich mich über fotografierende Alpinisten ärgern mag, möchte ich zuerst mal das Fluglärmproblem in die Diskussion bringen. Beispiel Berner Oberland: An schönen Tagen knattern, rattern, dröhnen Ihnen noch im hintersten Bergtal praktisch pausenlos private Sportflieger und Rundflughelikopter um die Ohren. So viel zum ‚heiligen Revier‘, zur Stille und zum lieblich Schönen.
Da kann man nur sagen: First World Problems
Es gibt auch Leute, die nicht oft raus können – auch aus gesundheitlichen Gründen – und die Bilder gerne sehen und so auch ein bisschen von dieser Welt träumen können.
Klar, wenn man seine Kollegen aufhält, ist das für diese nervig. Fotografieren, das macht man entweder mit Leuten, die das auch tun oder extra dafür mitkommen, als Lasteselchen oder was auch immer – oder alleine. Aber nicht mit Leuten, die einfach weitergehen wollen und vom Fotografieren belästigt werden.
In meiner Erfahrung sind die eifrigsten Fotografen häufig die fittesten Mitglieder der Gruppe. Wenn man mit einer sehr sportlichen Gruppe unterwegs ist, ist das vielleicht anders. Dann sind die Fotografen nur gleich fit und bremsen die anderen aus.
Ja Hans, bei unserer Sommer- und Winter-Tourengruppe ist das ebenfalls der Fall. Ich bin quasi der „erkorene“ Tourenplaner und -führer sowie fitte resp. geschätzte Fotograf, der im Anschluss an die Tour einige Fotos an die Kollegen versendet…
Die schönste Erinnerung, sind die Bilder im Gedächtnis. Verbunden mit emotionalen Momenten, den Gerüchen, stimmen lässt dies den erlebten Moment tatsächlich wiederkehren.
Das betrachten von Fotos ist doch etwas für allzu vergessliche und oberflächliche Menschen die den erlebten Moment auch nicht lebten sondern konsumierten.
Oha, grosse Worte Herr Stoecklin. Vielleicht liegt es einfach auch daran, dass Sie beispielsweise noch zu wenig 4000er bestiegen oder kaum Skitouren unternommen haben und sich daher noch gut an jede einzelnen Tour der vergangenen 20 Jahre erinnern können. Oder haben Sie auch x-verschiedene Länder und Städte bereist können sich noch an alles erinnern? Schön für Sie, ich leider nicht. Die Fotos bringen mir jedoch viele Erinnerungen augenblicklich und klar zurück…
Ich kenne das aus meiner eigenen Familie. Wenn wir als Familie in den Bergen waren hat der Vater irgendwann auch gesagt „Wirf mal endlich den Fotoappart fort!“ Für ihn reichte es, wenn er in den Bergen war, er musste es nicht mit nach Hause nehmen in Form von Fotos. Wenn ich den Bergen bin, will ich auch Fotos machen, das gehört einfach dazu. Denn der Alltag ist öde genug und man vergisst schnell wieder. Wie schön ist es da, hie und da die Bilder wieder anzuschauen und sich zu erinnern.
Ich steige nicht in die Berge, bin aber viel allein im Wald unterwegs. Jedesmal sehe ich etwas das mich erfreut und berührt. Und manchmal versuche ich es mit der Handykamera festzuhalten. Und manchmal schicke ich ein Bild das mir besonders gelungen ist oder mir etwas bedeutet auch an einen anderen Menschen, weil ich es teilen möchte.
Und ich freue mich jedesmal richtig, wenn ich von jemandem auch so ein Foto bekomme und damit die Welt quasi mit den Augen eines anderen Menschen ansehen darf..
Es nervt vielmehr die Arroganz von Leuten, die glauben sie seien es, die wissen, was die einzige richtige Art sei etwas zu tun. Sei es auf Berge zu kraxeln oder sonst etwas. Wahrscheinlich rümpfen sie auch die Nase, wenn der Rucksack des anderen von der „falschen“ Marke ist.
Dieser Vorurteil ist mir tatsächlich neu, hat die Fotografie doch immer zum Alpinismus dazu gehört (wer Beispiele braucht, ich habe gerade ein Buch über die Geschichte der alpinen Fotografie in der Schweiz verschenkt).
definitiv, Homo fotocus nervis. Einfach weil ich Hochtouren erst neu für mich entdeckt habe und das alles noch richtige Erfolgserlebnisse sind. Das glückliche Gesicht auf dem Gipfel muss digital festgehalten werden. Damit ich zwei Monate später dann das Foto anschauen kann und mich riesig auf nächsten Sommer freuen darf. So ist das.
Ein lustiger Artikel. Als homo asthmaticus weiss ich aber, dass gerade Staubmilben ab einer Höhe ca. 1’500 m.ü.M. keine günstigen Lebensbedingungen mehr finden, staubige Armeewolldecken hin oder her…
Ich schätze es sehr, gelegentlich Fotos meiner unzähligen Reisen, Wanderungen, Hoch- und Skitouren anzuschauen und an die tollen Momente zurückzudenken. Viele Erlebnisse resp. Erinnerungen verblassen mit der Zeit – durch die Fotos kommen sie wieder zurück in mein Bewusstsein und erfreuen mich erneut. Gelegentlich veröffentliche ich auch Berichte auf Gipfelbuch inkl. Fotos für interessierte TourengängerInnen.
Natascha, lässt nicht gerade du deine Touren im Tagi-Outdoorblog darstellen inkl. Fotos resp. zeigst uns was für eine Bergheldin du bist? By the way, wir kennen uns ja von der Rothornhütte ;-)
So ist das. Ausserdem ist fotografieren für Begeisterte eine Kunstform, mit der man sich und Andere glücklich machen kann. Und ja, Gipfelfoto ist wichtig, gerade für wichtige Berge, das Leben ist kurz und flüchtig..
Was sind wichtige Berge?
Wichtige Berge für mich. Mein Mont-Blanc Gipfelfoto steht auf der Kommode, weil es ein wichtiger Moment in meinem Leben war. Andere Grossformat-Fotos hängen eingerahmt an den Wänden, so sind halt oberflächliche Menschen, brauchen Kunst und Natur um sich herum…Und wenn ich jemals ein Foto von Ama Dablam machen könnte, wäre ich die glücklichste Person. Wir begeisterte Fotografen zucken auch nicht einfach das Handy raus, da wird schon ordentlich Fotoausrüstung geschleppt (so von wegen man sei nicht so fit).
Vielen Dank! Wichtige Berge = wichtige Momente im Leben.. Ich hatte schon Angst, Sie teilen die Berge in wichtig und unwichtig aufgrund von Form oder Höhe ;)
Nein, jeder Berg ist wichtig und schön, wenn man Augen hat :-).