Die unsichtbaren Gefahren in Kletterhallen

Die Sicherheit des geschützten Rahmens trügt: Die belgische Sportkletterin Muriel Sarkany trainiert in einer Halle in Brüssel. Foto: Thierry Roge (Reuters)
Wenn in den Bergen ein Unfall geschieht, bei dem die Rettung kommen muss, steht das am nächsten Tag garantiert in der Zeitung: «Wanderer stürzt 300 Meter ab»; «Kristallsucher von Stein getroffen», «Lawine tötet Alpinisten». Es sind Nachrichten, die jedem – selbst dem Sofasurfer – in Erinnerung rufen, dass im freien Gelände Gefahren lauern. Anders verhält es sich mit Kletterhallen. Dass hier Unfälle vorkommen, liest man selten bis nie. Warum eigentlich? Gibt es gar keine?
Steinschlag, ein ausbrechender Griff, zweifelhafte Bohrhaken, kriminelle Sicherungsabstände: Solchen Gefahren setzt sich der Hallenkletterer – von Experten auch «Homo verticalis indoorensis» genannt – nicht aus. Er muss sich um nichts kümmern. Nur um Öffnungszeiten. Regen, Wind, Kälte, Schnee und Jahreszeiten können ihm egal sein. Wenn er da ist, will er nur eines: sich sportlich austoben. Seine Kraft, Ausdauer, Technik, Taktik verbessern.
Die Wahrscheinlichkeit, sich indoor ernsthaft zu verletzen, ist zwar klein. Trotzdem kommt es vor. Vor einigen Wochen erzählte mir ein Freund, er sei gerade in der Halle gewesen, als eine Kletterin im freien Fall auf dem Teppich gelandet war. Sie hatte das Seil nicht richtig an den Klettergurt eingebunden. Was offenbar auch ihrem Partner entgangen war. Ein anderer Freund machte vor einigen Jahren selber einen Bodensturz in der Halle und lag danach monatelang im Spital. Möglicherweise hatte sein Partner das Sicherungsgerät falsch bedient. Ich selber brach mir im Boulderraum ein Bein.
Narkotikum für unser Gefahrenbewusstsein
Das Fachmagazin «Berg und Steigen» schrieb einmal, die Halle als sichersten Ort zum Klettern anzusehen, sei weit verbreitet, aber ein Irrglaube. Weil an den Plastikwänden bereits nach zwei, drei Zügen der nächste Sicherungspunkt komme und alle Routen regelmässig von den Betreibern überprüft würden, bekomme man rasch das Gefühl, sich in einem geschützten Rahmen zu bewegen. «Dieses Ambiente ist das perfekte Narkotikum für unser Gefahrenbewusstsein», so der Experte. «An keinem Ort im Bergsport ist die Einsicht unserer Verwundbarkeit so weit entfernt wie in Kletterhallen.»

An künstlichen Wänden unter freiem Himmel: «Battle in the Bubble» in Boulder, Colorado. Foto: Andrew Magill (Flickr)
Die Gefahren einer abgeschiedenen, wilden Felsroute scheinen offensichtlich. Aber der Menschenauflauf in der Halle, der dadurch verursachte Lärm, die herumrennenden oder quengelnden Kinder oder klingelnde Handys kämen uns nicht unbedingt als ernsthafte Risikofaktoren in den Sinn. Man trifft Bekannte, mit denen man plaudern muss – auch wenn man gerade am Sichern ist. Man lässt sich vom Geschehen um sich herum ablenken, und für ein paar Sekunden vergisst man den Seilpartner, der sich seit Ewigkeiten an einer Schlüsselstelle abmüht. Passieren kann ja nichts. Schliesslich verwendet man ein Sicherungsgerät, das angeblich von alleine blockiert, sollte der Partner zu fliegen kommen.
Ob drinnen oder draussen – Sportklettern ist eine wunderbare Beschäftigung. Aber wer dabei Nestwärme verspürt, sollte dringend seine Sensoren neu justieren.
Was ist Ihre Erfahrung?
12 Kommentare zu «Die unsichtbaren Gefahren in Kletterhallen»
Bin leider auch in einer Verletzungspause. Auch selbstverschuldet. Seit 10 Wochen bin ich in Reha wegen einer Schulter OP. Ich war eigentlich schon müde, wollte es aber nochmals wissen und versuchte eine Route, bei der ich sichtlich überfordert war. Sturz- aber ein dumme Reaktion von mir- ich versuchte mich noch zu halten. Meine Rotorenmanchette hielt das nicht aus, die Sehne wurde angerissen. Im Januar darf ich wieder klettern. Ein Sturztraining habe ich schon gebucht. Wie beim Autofahren ist die Konzentration fast das Wichtigste.
Die allermeisten Sportkletterunfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Falsch Anseilen, Sichern, verkehrtes einhängen in die Expressschlinge bim Vorstieg, altes Material (JA…) etc etc. Dagegen schützt auch die Halle nicht, selbst bei top-ropen. Habe selbst einen fast Bodensturz von hoch oben einer Kletterwand gesehen – der Sicherer hatte die Hand zu lange auf dem Grigri und dieses konnte im allerletzten Moment erst fassen, und einen Bodensturz – etwas abgebremst – direkt auf auf die Beine (Betonboden…) mit beiden Fersen gebrochen, hier war ein Grigri-ähnliches Sicherungssystem verkehrt eingefädelt worden… Diese beiden Vorfälle sah ich in der Kletterhalle Niederwangen, sind aber schon viele Jahre her. Daher sollte IMMER gelten, sich gegenseitig abchecken vor dem Klettern. Aber eben… wir sind menschlich… Climb safe.
Die unsichtbare Gefahr hat sich in der dicken Matte versteckt, welche den Absturz federt, und beisst dann die Ferse entzwei.
Wer ausschliesslich nur „Safety and health first“ denkt, verpasst wahrscheinlich das ganze Leben:
vom Tauchgang, zum erklimmen des Berggipfel, der Motorradtour, bis zum Skifahren, der geilen Party oder der Weltreise ohne Tourismusbüro…
Die meisten Dinge die grosse Freude bereiten sind mit einem Risiko verbunden. 0-Risiko gibt es nicht!
Die Liste der Sportverletzungen ist endlos. Auch die Folgen im Alter für die Gelenke. Man schaue sich nur mal die Statistik an!
Rein Volkswirtschaftlich müsste man Sport verbieten. Nur, es ist Lebensqualität!
Auch muss jeder für sich individuell seine Fertigkeiten und sein individuelles Risiko einschätzen. Das macht doch den Individualsport so angenehm: man entscheidet selbst was, wann und wieviel man macht.
Aber ungesichert Klettern ist auch in der Halle ein wenig krank? Ausgenommen man ist Vollprofi und muss davon ausgehen, dass so oder so in der Wand kleben bleibt.
Nun die Halle ist nicht so sicher wie sie scheint, das ist sicher Fakt. ABER Todesfälle sind mit Sicherheit auch bedeutend seltener in der Halle wie draußen.
Wenn man bedenkt wie wenig passiert in der Halle, so ist sie als sehr sicher ein zu stufen.
Meine Beobachtung ist aber die, dass in punkto richtig sichern im Klettergarten genauso oft fahrlässig gearbeitet wird wie in der Halle. Was ich da teils an Schlappseil, falscher Handhabung (Grigri) etc sehen konnte, geht auf keine Kuhhaut.
Das nicht beachten von Sturzräumen kann aber genauso fatal enden. Besonders in einer überfüllten Halle.
Getreu dem Motto „Wird schon nichts passieren und wenn dann sicher nicht mir“
Seit mein Tourenparter am Fels verunglückt ist (ich war zum Glück nicht dabei) sehe ich die Thematik mit völlig anderen Augen. Dies würde dem einem oder anderen sicher auch ganz gut tun.
Ein Problem ist, dass offenbar erfahrene Kletterer nicht weniger Fehler in der Halle machen als Anfänger, gemäss einerUntersuchung Berg & Steigen? Partnercheck beim Anbinden und das Seil zuerst in der Nachbarroute einhängen (L-Führung) ergeben hohe Reibung und Sicherheit. Der Zug bei Sturz oder Ablassen ist dann gering bei entsprechender Seilführung. Bouldern nur so hoch wie sicher zurück geklettert werden kann vermeidet hohe Absprünge und Verletzungen. Es ist wahrscheinlich auch eine Altersfrage wie stark man seine Knochen schonen will und was sie verkraften können.
Ob erfahren oder nicht spielt keine Rolle. Anfänger sind oft bedeutend mehr bei der Sache wie Veteranen. Routine kann auch
Die übelste Scene wenn es ums sichern geht, habe ich in der Halle (Ich nenne keine Namen) bei Profis gesehen.
Da war so viel Schlappseil vorhanden, dass die Kletternde Person zweimal einen Grounder hätte hinlegen können. Beim seilausgeben, blockierte sie dann auch noch das Grigri.
Als ich sie darauf ansprach reagierte sie sehr gereizt. Na ja nicht mein Problem.
„Das Fachmagazin «Berg und Steigen» schrieb einmal, die Halle als sichersten Ort zum Klettern anzusehen, sei weit verbreitet, aber ein Irrglaube.“
Welches ist denn dann der sicherste Ort zum Klettern, Frau Knecht?
Eine berechtigte Frage. Welche Optionen stehen denn noch zur Auswahl? Indoor, Outdoor, …? Mir fällt nichts ein. Ist nun Indoor weniger gefährlich als Outdoor, wäre es der sicherste Ort.
Wenn ich aus dem Bett steige, spüre ich auch keine Nestwärme mehr…
In der Halle stürzt man vielleicht einige Meter auf den Hallenboden – in Freien allenfalls hunderte Meter in die Tiefe. Klettern in der Halle ist für mich etwa so sicher resp. unsicher wie mit dem Velo zur Arbeit oder mit dem Auto in die Berge zu fahren…
Einige Meter reichen für eine Querschnittlähmung. Alles schon passiert, auch Todesfälle. In der allgemeinen Presse wird aber kaum darüber berichtet, weil es wohl nicht spektakulär genug ist.