Julien, 11 Jahre, Schluchtspezialist
Diese Woche von Thun via Heiligenschwendi auf den Blueme (BE)
Vor einiger Zeit bekam ich ein E-Mail aus dem Kanton Bern: «Hallo, ich heisse Julien und bin elf Jahre alt, kommen Sie mit mir wandern? Ich hätte Freude und Sie bestimmt auch.»
Obwohl ich bei solchen Anfragen meist Nein sage, sagte ich in diesem Fall Ja. Ich schrieb Julien, der in Münsingen wohnt, er dürfe auch noch jemanden mitbringen.
Wochen später vor dem Bahnhof Thun. Julien und sein Grossvater Heinz stehen da und winken, wir begrüssen uns und wandern gleich los, die Route haben wir vorher per Mail abgemacht. Auf den ersten Metern schon merke ich: Doch, das haut hin! Am Vortag hatte ich gedacht: Viele Kinder sind schüchtern. Wenn es ernst gilt und sie sich plötzlich mit einer fremden Person kombiniert finden, machen sie zu.
Er mustert mich und grinst
Julien ist nicht so. Er mustert mich immer wieder ernsthaft von der Seite, grinst dann, fragt mich nach meinen Routen und erzählt, dass Wandern sein Totalhobby sei. Und dass er demnächst in ein Wanderlager gehe, im Münstertal. Wir haben viel Gesprächsstoff.
Wir überqueren die Aare und halten entlang des Kanals Richtung Thunersee. Die Eleganz von Schloss Schadau wirkt französisch, man fühlt sich wie an der Loire. Bei der Schifflände Hünibach drehen wir in den Hang. Jetzt kommt die Cholerenschlucht. Wild ist dieser Geländeschlitz mit turmhohen Nagelfluhwänden. Julien freut sich. Er ist Schluchtspezialist und kennt mehr Schluchten im Land als ich. Diese, die Cholerenschlucht, könnte jederzeit den Drehort für einen Indianerfilm abgeben. Aber gibt es noch Indianerfilme?
Nach der Schlucht, einem kurzen Stück entlang einer Strasse und der Querung des Cholerengrabens auf einem schmalen Steg kommen wir in ein Gebiet der reizenden Hügel. Gegenüber die stattliche Ansiedlung sei Goldiwil, erklärt mir Heinz, auch er ein angenehmer Wanderpartner. Mit seinem Enkel zieht er fast jede Woche los, sie arbeiten eine Liste mit Ideen ab.
Wir leisten uns einen Abstecher zum evangelisch-methodistischen Kirchlein und zum Schulhaus Heiligenschwendi, neben dem ein Boot in der Wiese steht; Julien schaut sich mal kurz an Bord um. Wenig später sind wir in Schwendi, wie der eine Ortsteil der Gemeinde Heiligenschwendi offenbar heisst; kompliziert, diese Namenssache, als Nichtberner begreife ich sie nicht richtig. Im Alpenblick setzen wir uns draussen auf die Terrasse, die Aussicht ist grandios. Julien und Heinz picknicken in der Regel. Aber mir zuliebe machen sie eine Ausnahme.
Was der alles kennt!
Nach dem Essen – sehr gut! – steigen wir durch den Wald auf den Blueme. Zuerst erobern wir uns den westlich vorgelagerten Schwendiblueme, haben zu unseren Füssen das Rehazentrum Heiligenschwendi, das wir passierten. Und den Thunersee. Noch mehr Sicht bekommen wir etwas später vom Blueme-Aussichtsturm, Julien kommt gar nicht nach mit dem Benennen von Bergen, Hügeln, Dörfern. Was der alles kennt!
Ein kurzes Steilstück, dann sind wir auf einem Forststrässchen durch den Cheerwald, ein Spektakel sind die klaffenden Nagelfluh-Aufschlüsse. Bei der Säge von Schwanden endet die Unternehmung; wir freuen uns, dass das öffentliche WC offen ist, das Hahnenwasser ist angenehm kalt. Bald kommt der Bus hinab nach Sigriswil. Unten in Thun sind wir uns einig, dass wir wieder zusammen wandern wollen und werden. Wir stossen an auf unsere junge Wanderfreundschaft. Prost Julien, Prost Heinz, es war toll mit euch!
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Route: Bahnhof Thun – Holzbrücke über die Aare – Aare-Kanalweg, dann Seeuferweg bis Schifflände Hünibach – Cholerenschlucht – Sägerei – Steg über den Cholerengraben – Dörfli – Schulhaus Heiligenschwendi mit Kirchlein (kurzer Abstecher) – Schwendi – Rehazentrum – Wolfgrube – Schwendiblueme – Blueme, Turm – Cheerwald – Schwanden, Säge (Bus nach Sigriswil).
Wanderzeit: 4 3/4 Stunden.
Höhendifferenz: 900 Meter auf-, 380 abwärts.
Wanderkarte: 253 T Gantrisch und 254 T Interlaken, 1:50 000.
GPX-Datei: Hier downloaden.
Retour: Von Schwanden, Säge per Bus nach Thun mit Umsteigen in Sigriswil, Dorf.
Kürzer: Nur die erste Hälfte der Tour bis Heiligenschwendi. Das dauert 2 3/4 Stunden. 600 Meter aufwärts, 50 abwärts.
Charakter: Zuerst Flanieren am Wasser, dann eine Schluchtroute, dann Wandern im coupierten Hügelland mit viel Aussicht. Mittlere Anstrengung.
Höhepunkte: Schloss Schadau an der kanalisierten Aare. Die wilde Cholerenschlucht. Die Aussicht vom Blueme-Turm.
Kinder: Gut machbar. In der Schlucht auf dem Weg bleiben!
Hund: Keine Probleme.
Einkehr: Alpenblick, Schwendi. Sieben Tage die Woche offen, gute Küche. Am Schluss gibt es bei der Haltestelle Schwanden, Säge ein Atelier, das auch ein Café ist. Offen je nachdem.
Wanderblog: Täglich ein Eintrag auf Thomas Widmers privatem Journal.
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